05.01.2021 • Sonnensystemforschung

Raumsonden erforschen das Sonnensystem und seine Entstehung 

Jahresrückblick Sonnensystemforschung und Geophysik 2020.

Am 10. Februar 2020 startete die Raumsonde Solar Orbiter ihre Reise zur Sonne. Zwischen Mitte März und Mitte Juni wurden die zehn Instrumente an Bord eingeschaltet und getestet, kurz darauf konnten die beteiligten Wissenschaftler zum ersten Mal alle Instrumente gemeinsam prüfen. Bereits die ersten Bilder, die Solar Orbiter von der Sonne aufgenommen hat, enthüllten bislang unbekannte Details: Die Aufnahmen zeigen zahlreiche kleine Sonnen­eruptionen, die aufgrund ihres Erscheinungs­bilds „Lagerfeuer“ genannt werden.

Und bereits am 30. September wurden die ersten Daten von Solar Orbiter am Datenzentrum der Europäischen Weltraum­organisation ESA online gestellt. Wissenschaftler auf der ganzen Welt können seither die neuen und einzigartigen Daten analysieren und neue Erkenntnisse über unser Zentral­gestirn gewinnen. Dass die Daten bereits sieben Monate nach dem Start der Raumsonde und drei Monate nach der Kalibrierungsphase veröffentlicht werden, ist ungewöhnlich: Bei den meisten Weltraummissionen werden die Daten erst ein halbes oder gar ein ganzes Jahr nach Erhalt auf der Erde veröffentlicht, um den Teams, die die Instrumente gebaut haben, eine exklusive Frist für die Analyse einzuräumen. Doch Solar Orbiter soll eine der offensten Weltraum­missionen sein – offen für die ganze Welt, nicht nur für die Instrumenten­teams.

Wie die Erde rotiert – und bebt

Erdbeben senden Signale aus, die sich mit Licht­geschwindigkeit ausbreiten und lange vor den relativ langsam seismischen Wellen aufgezeichnet werden können: plötzliche Änderungen der Schwerkraft, hervorgerufen durch eine Verlagerung der Masse im Erdinneren. Bisher gab es keine direkte und exakte Methode, um die Erzeugung dieser Signale im Computer zu simulieren. Forscher des Deutschen Geoforschungs­zentrums haben einen neuen Algorithmus entwickelt, mit das künftig möglich sein könnte. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Signale Rückschlüsse auf Stärke, Dauer und Mechanismus sehr großer Erdbeben erlauben. In Zukunft könnte man mit diesem Verfahren beispiels­weise bereits während eines Erdbeben­bruchs feststellen, ob es sich um ein Starkbeben handelt, das einen Tsunami auslösen könnte.

Ein anderes Team des GFZ konnte zeigen, dass sich Glasfaser­kabel von Telekommunikations­netzen für die Erfassung der seismischen Aktivität eignen. Bei Versuchen auf Island registrierte das dortige Glasfasernetz zuverlässig die vulkanische und seismische Aktivität. Das Verfahren eröffnet neue Wege zur Abbildung und Überwachung des geologischen Untergrundes, besonders im städtischen Raum.

Ein einzigartiges Instrument für die Geophysik findet sich westlich von München inmitten von Feldern und Äckern nahe der Stadt Fürstenfeldbruck: Der Ringlaser ROMY – die Abkürzung steht für „Rotational Motions in Seismology“ – erlaubt es, die vollständigen Rotations­bewegungen der Erde erstmals hochgenau an der Erdoberfläche direkt zu messen. Erste Probemessungen bestätigten, dass ROMY das weltweit genaueste Instrument zur Messung von Boden­rotationen ist. Diese Bewegungen sind auch für das Entkoppeln hochpräziser Mess­einrichtungen für Gravitationswellen von seismischem Rauschen von Bedeutung. Die hoch­genauen Ergebnisse von ROMY sollen außerdem künftig VLBI-Auswertungen ergänzen und zentrale Basiswerte für Geodäsie und Seismologie liefern.

Das heutige Magnetfeld der Erde entsteht durch Konvektion im äußeren Erdkern, der hauptsächlich aus flüssigem Eisen und Nickel besteht. Der Ursprung des Geodynamos ist aber immer noch unklar. Ein Forschertrio aus den USA und Großbritannien hat Hinweise darauf gefunden, dass sich der Geodynamo zunächst im unteren, basal­tischen Erdmantel herausgebildet hat, um dann nach Milliarden von Jahren der langsamen Abkühlung weiter nach unten in den äußeren, eisenhaltigen Erdkern zu wandern. Mit Messungen der magnetischen Feldstärke und Feldrichtung an Milliarden Jahre alten Gesteinen könnte sich ein solcher Wechsel von einem silikat- zu einem eisen­getriebenen Dynamo nachweisen lassen.

Auch der Mond der Erde besaß in seiner Frühzeit einen Kerndynamo. Zwar hat der Erdtrabant heute kein inneres Magnetfeld mehr. Doch auf seiner Oberfläche gibt es Regionen von bis zu mehreren Hundert Kilometern Größe, in denen ein starkes Magnetfeld herrscht. Einem inter­nationalen Forscherteam gelang es zu zeigen, dass der Mond in seiner Frühzeit ein inneres Magnetfeld gehabt haben muss – und die heutigen magnetischen Regionen ein Überbleibsel davon sind. Mithilfe von Computer­simulationen konnten die Wissen­schaftler ausschließen, dass die lokalen Magnetflecken eine Folge von Magnetisierungs­prozessen sind, die durch Einschläge massiver Körper auf die Mond­oberfläche ausgelöst wurden. 

Neues über die Entstehungsgeschichte des Sonnensystems

Neue Computermodelle eines Forscherteams aus Deutschland zeigen, dass der Mond mit 4,425 Milliarden Jahren etwas jünger ist als bislang angenommen. Die Planeten­geophysiker berück­sichtigten erstmals umfassend die Vorgänge bei der Kristalli­sation des Magmaozeans. Das Ergebnis legt nahe, dass die junge Erde etwa 140 Millionen Jahre nach der Geburt des Sonnensystems von einem Protoplaneten getroffen wurde.

Einschlüsse in Meteoriten haben für die Entstehung des Sonnensystems unterdessen eine neue Datierung geliefert. Demnach ist das Sonnensystem in weniger als 200.000 Jahren entstanden. Die ersten Festkörper, die sich im Sonnensystem bildeten, finden sich noch heute als mikrometer- bis zentimeter­große kalzium- und aluminiumreiche Einschlüsse in Meteoriten und liefern eine direkte Aufzeichnung der Entstehung des Sonnensystems. Wie ein inter­nationales Forscherteam anhand dieser Einschlüsse zeigen konnte, ist das Material, aus dem sich die Sonne und das Sonnensystem bildeten, schnell akkumuliert, während sich gleichzeitig die ältesten datierten Festkörper bildeten – eben in weniger als 200.000 Jahren.

Eingeschlossen in Meteoriten finden sich auch winzige Diamanten. Bislang gingen die Planeten­forscher davon aus, dass diese Diamanten tief im Inneren von mindestens merkurgroßen Planeten entstanden sein müssten. Doch ein internationales Forscherteam hat jetzt in Meteoriten Diamanten entdeckt, die mit einigen Zehntel Millimetern zu groß für diesen Entstehungs­prozess sind. Diese Diamanten müssen in der Frühzeit unseres Sonnen­systems während der Kollision von Kleinplaneten miteinander oder mit großen Asteroiden entstanden sein.

Bodenproben von Kometen und Asteroiden

Auch die genaue Untersuchung von Asteroiden und Kometen kann den Wissenschaftlern Infor­mationen über die Frühgeschichte des Sonnensystems liefern. Deshalb hat die Untersuchung von Material­proben dieser Himmelskörper hohe Priorität. Die japanische Raumsonde Hayabusa-2 erreichte bereits 2018 den Asteroiden Ryugu. Nach der Entnahme von zwei Bodenproben machte sich das Raumfahrzeug im November 2019 auf den Rückweg zur Erde. Am 5. Dezember 2020 ging eine Kapsel mit dem Asteroiden­material sicher im vorgesehen Gebiet, der Wüste des Woomera-Test­geländes für Luft- und Raumfahrt im Süden Australiens, nieder. 

Weitere Bodenproben entnahm die US-Sonde OSIRIS-REx am 20. Oktober 2020 auf dem Asteroiden Bennu. OSIRIS-REx war 2016 gestartet und hatte den kleinen Himmelskörper 2018 erreicht. Im März 2021 soll sich die Sonde auf den Rückweg zur Erde machen und im September 2023 in Erdnähe eine Rückkehr­kapsel aussetzen, die dann auf dem Utah Test and Training Range in den USA niedergeht. 

Leben auf dem Mars?

In den Daten des Radargeräts Marsis an Bord der ESA-Sonde Mars Express hat ein inter­nationales Team von Wissenschaftlern Hinweise auf die Existenz mehrerer Gewässer gefunden, die unter der Südpol­kappe des Mars verborgen sind. Vermutlich senkt ein hoher Salzgehalt den Gefrierpunkt des Wassers ab: Es bleibt so trotz geschätzter Temperaturen von minus 68 Grad Celsius flüssig.

Mit der Existenz von flüssigem Wasser steigt die Chance, dass auf dem Mars nicht nur in einer wärmeren Frühzeit Leben entstanden ist, sondern in den Wasser­reservoirs bis heute überdauert hat. Die Arbeitsgruppe des Astrobiologen Dirk Schulze-Makuch an der TU Berlin konnte im Experiment nachweisen, dass bestimmte Mikroben in mars­ähnlichen, salzhaltigen Böden nicht nur überleben, sondern auch Stoffwechsel betreiben können. Das könnte auch erklären, warum die Konzentration von Methan in manchen Regionen auf dem Mars jahres­zeitlich schwankt – denn Methan kann ein Stoffwechsel­produkt von Mikroben sein. 

Rainer Kayser

 

 

JOL

 

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