Vom Qubit zum Qutrit

Jahresrückblick Atom-, Molekül-, Quanten- und Festkörperphysik 2019.

Wie schwer können verschränkte Objekte sein? Deutlich leichter als Katzen vermutlich – oder ist das alles nur eine Frage des Experimentiergeschicks? Forschern der Universität Wien ist es gelungen, Moleküle aus 2000 Atomen und mit insgesamt über 25.000 atomaren Masseneinheiten in eine schwergewichtige Überlagerung zu bringen. Die Moleküle blieben für länger als sieben Millisekunden in diesem Zustand, was ausreichend Zeit lässt, um verschiedene Quantenmodelle an solch großen Molekülen zu testen. In einem anderen Interferenz-Experiment konnten Wissenschaftler erstmals auch Antimateriewellen bei Positronen nachweisen. Vom Aufbau her entsprach dies einem Doppelspalt-Experiment, wobei die Forscher das entstehende Interferenzmuster mit Mikrometer-Präzision bestimmen konnten. Aber auch mit Röntgenstrahlen lässt sich Interferenz betreiben, insbesondere um kristalline Strukturen aufzuschlüsseln. Eine neue Röntgenspektroskopie-Methode erlaubt es nun, auch die elektronische Struktur von Festkörpern zu untersuchen. Bei der resonanten inelastischen Röntgenstreuung dienen Dimere im Objekt als Doppelspalte, deren Symmetriecharakter sich in den inelastisch gestreuten Röntgenphotonen niederschlägt.

Elektronen, die sich frei bewegen, können in der Nähe einer Oberfläche anscheinend doch stehende Wellen ausbilden. Wie ein spanisches Forscherteam herausfand, weisen Elektronen über einem mit einer organischen Schicht bedeckten Kupferkristall eine überraschende Periodizität auf. Diese Elektronen sind also frei und doch diskret in ihren Zuständen, was die Möglichkeit eröffnet, mit sorgfältig strukturierten Supergittern neuartige elektronische Bauteile zu entwerfen. Die Verschränkung ist auch einer der Gründe dafür, warum Quantensysteme auf andere Weise zur Ruhe kommen als klassische Systeme. Noch ist nämlich nicht gut verstanden, wie mikroskopische Systeme sich hin zu Gleichgewichtszuständen bewegen.

Elektronen können auch eine gespaltene Persönlichkeit aufweisen. Zwingt man sie dazu, sich in nur einer Dimension wie auf einer Kette hintereinander zu bewegen, spalten sich ihre Eigenschaften auf. Die stehenden Spin- und Ladungsdichtewellen, die sich dann herausbilden, trennen sich voneinander, so dass Elektronen sich in einer solchen Tomonaga-Luttinger-Flüssigkeit wie Quasiteilchen aus diesen beiden Wellen verhalten. Auch eine andere Gruppe hat Elektronen wie auf einer Perlenkette eindimensional aufgereiht. Dazu nutzten die Forscher Quantenpunktkontakte in topologischen Isolatoren. Eine andere, lange gesuchte Art von Quasiteilchen ist gleich mehreren Forschergruppen ins Netz gegangen: Rarita-Schwinger-Fermionen wurden schon 1941 vorhergesagt, ließen sich aber erst jetzt in einem chiralen und zugleich topologischen Material finden.

Phononen dank Tunneltrick und dreidimensionales Graphen

Technologisch interessant ist die Entwicklung eines Phononen-Lasers, der auf einem echten nanomechanischen Oszillator basiert. Mit Hilfe eines Kohlenstoff-Nanoröhrchens, das zwischen zwei Kontakte eingespannt ist und per Tunnelstrom einzelner Elektronen zu vibrieren beginnt, ließ sich so nun lasertypisches Verhalten erzielen – allerdings noch ohne gerichtete Aussendung der Phononen. Das Bauprinzip könnte durchaus auch als Kraftsensor einsetzbar sein. Auch der Wärmetransport in Suprafluiden bei tiefen Temperaturen tritt wellenförmig über Phononen auf. Diesen Effekt – aufgrund der Ähnlichkeit zu Schallwellen auch zweiter Schall genannt – konnten Forscher des MIT nun auch bei Graphit bei überraschend hohen Temperaturen nachweisen. Dabei kehrte sich wie bei einer Wellenbewegung die Richtung des Wärmeflusses für gewisse Zeit wieder um. Dieser zweite Schall könnte vielleicht in Graphen für eine effiziente Kühlung elektronischer Bauteile führen. Die mechanischen Oszillationen von Ionen hingegen standen im Fokus einer anderen Forschergruppe. Dank einer ausgeklügelten Ionenkontrolle konnten die Wissenschaftler Beryllium-Ionen bis hin zu Schwingungsquantenzahlen von 100 anregen und Überlagerungszustände von Grundzustand und angeregtem Zustand bis hin zu Schwingungsquantenzahlen von 18 erzielen, was sowohl für die Quanteninformationsverarbeitung wie für metrologische Zwecke einen wichtigen Fortschritt darstellt.

Graphen gilt als klassisches Beispiel für ein zweidimensionales Material. So können sich die Elektronen im Graphen nur in einer Ebene bewegen. Abgesehen von den Ladungsträgern besteht Graphen aber auch aus einem Kristallgitter und ist insofern ein gewöhnlicher Festkörper. Neue Einsichten in seine mechanischen Eigenschaften konnte nun ein internationales Forscherteam entlocken. In der Tat: Mechanisch gesehen ist Graphen eher eine Kartonpappe als ein Blatt Papier. Wie ein anderes Forscherteam herausgefunden hat, kann intensives Laserlicht auch in Graphen zu topologischem Elektronenverhalten führen. Wenn zirkular polarisiertes Licht auf Graphen trifft, erzeugt es topologische Ladungsströme, was für schnelle Sensoren interessant sein könnte. Immer mehr Anwendungsbereiche findet die Terahertzstrahlung. Ein Team von Wissenschaftlern aus Harvard hat nun ein neues Konzept für einen Terahertzlaser vorgestellt, der auf Molekülgasen basiert und über einen großen Bereich durchstimmtbar ist.

Exotische Materialien

Aber auch bei echten topologischen Materialien gab es im vergangenen Jahr wichtige Fortschritte. So ließen sich zwei Weyl-Semimetalle anhand ihrer Bandstruktur identifizieren. Dank ihrer exotischen Eigenschaften kann man an ihnen chirale magnetische Effekte oder ungewöhnlich starke anomale Hall- und Quanten-Hall-Effekte studieren. Und an den Rändern von nur eine Atomlage dünnen Eiseninseln auf supraleitendem Rhenium finden sich störungsunempfindliche Majorana-Zustände. Dies sind vielversprechende Neuigkeiten für die Entwicklung neuartiger Komponenten für Quantencomputer.

Bislang ging man davon aus, dass ferromagnetische Stoffe Festkörper zu sein haben. Ferrofluide verlieren ihre magnetischen Eigenschaften üblicherweise bei Abschalten eines externen Magnetfeldes. Jetzt konnten Forscher aber flüssige, magnetische Nanotröpfchen erzeugen, die nicht nur ihre magnetischen Eigenschaften stets beibehalten, sondern auch noch formbar sind. Und in einer ferromagnetischen Eisenschicht ließ sich ein ultraschneller Einstein-de-Haas-Effekt nachweisen. Bei der laserinduzierten Entmagnetisierung wird der Spin durch Flip-Prozesse auf das Gitter übertragen.

Quantencomputing

Für leistungsfähige Quantencomputer benötigt man möglichst langlebige und robuste Qubits, die sich durch nichts so schnell aus der Kohärenz bringen lassen. In einem Uranditellurid-Einkristall ließ sich eine ungewöhnliche supraleitende Phase mit möglichen Majorana-Anregungen auffinden. Eventuell ist dieser Stoff ein topologischer Supraleiter mit sogar mehreren supraleitenden Phasen, was ihn zu einem interessanten Kandidaten für schwergewichtige Qubits machen würde. Aber auch neutrale Atom können als Qubits dienen. Per Stern-Gerlach-Messung lässt sich etwa ihr Zustand in einem optischen Gitter elegant über die räumliche Aufspaltung auslesen. Dieses System besticht unter anderem durch eine geringe Fehlerrate.

Wenn man schnelle Schaltbarkeit und lange Speicherdauer miteinander kombinieren will, könnten sich hybride Quantenpunkt-Qubits als interessante Lösung erweisen. Wie ein japanisch-deutsches Forscherteam herausfand, lassen sich über die Verschränkung innerhalb weniger Nanosekunden Informationen zwischen unterschiedlichen Qubits-Typen austauschen. Man kann die Informationsdichte bei der Quanteninformationsverarbeitung aber auch dadurch erhöhen, dass man keine Qubits, sondern Qutrits als Basiseinheit wählt. Statt einer Münze mit ihren zwei Seiten entspricht dies einem Würfel mit drei Dimensionen. Forscher aus Österreich konnten einen solchen komplexen Quantenzustand erstmals von einem Photon auf ein anderes übertragen.

Will man Quantencomputer verknüpfen oder Quantenkommunikation betreiben, müssen die empfindlichen Quanteninformationen aber auch durch ein Netzwerk übertragen werden. Ein mit Materie verschränktes Lichtteilchen konnte durch ein fünfzig Kilometer langes Glasfaserkabel geschickt werden. Damit lassen sich im Prinzip bereits regionale Quantennetzwerke mit bis zu hundert Kilometer Reichweite aufbauen. Über kürzere Distanz von 35 Zentimetern ließen sich verschränkte Zustände über Mikrowellen übertragen. Diese sind wesentlich störungsanfälliger als Infrarot-Photonen, wie sie üblicherweise in Glasfaserkabeln genutzt werden. Dafür eignen sie sich gut zur Kommunikation zwischen Quantencomputern, die supraleitende Qubits nutzen. Ebenfalls wichtig für die Quantentelekommunikation sind leistungsfähige Knotenpunkte. In Diamant eingebettete Silizium-Fehlstellen-Zentren besitzen eine Reihe interessanter Eigenschaften, dank derer man sie ein langlebiges Quantenregister koppeln könnte. Die Diamant-Nanophotonik bietet insgesamt ein weites Feld, von dem in den nächsten Jahren noch mehr zu hören sein wird.

Dirk Eidemüller

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