15.03.2019

Zweiter Schall in Graphit

Quanteneffekt ermöglicht effizienten Wärmetransport in Wellen.

Wärme breitet sich in Festkörpern meistens gleichmäßig von wärmeren zur kälteren Bereichen über Diffusion aus. Doch in Suprafluiden tritt bei tiefen Temperaturen ein weiterer, wellenartiger Wärmetransport über Dichtewellen von Phononen auf. Wegen der Ähnlichkeit zu klassischen Schallwellen wird dieser Effekt auch „zweiter Schall“ genannt. Bisher konnte dieser Effekt im Helium-3-Isotop bei unter einem Kelvin, in Bismut bei bis zu vier Kelvin und in Natriumflourid bei 11 bis 14 Kelvin nachgewiesen werden. Doch nun entdeckten Wissenschaftler vom Massachusetts Institute of Techology den zweiten Schall auch in Graphit bei verblüffend hohen Temperaturen von über 100 Kelvin.

 

Abb.: Zweiter Schall in Graphit lässt sich über ein Pump&Probe-Experiment mit...
Abb.: Zweiter Schall in Graphit lässt sich über ein Pump&Probe-Experiment mit kurzen Laserpulsen nachweisen. (Bild: S. Huberman et al. / AAAS)

Wärmetransport über den zweiten Schall fällt in einen Bereich zwischen ballistischer Wärmeleitung ungestreuter Phononen und der Diffusion auf makroskopischer Skala bei Raumtemperatur. Theoretische Abschätzungen legten bereits nahe, dass der zweite Schall in Graphen und Graphit bei relativ hohen Temperaturen auftreten könnte. Allein fehlten dazu bisher experimentelle Belege. Genau dies gelang nun Keith Nelson vom MIT-Department of Chemisty und seinen Kollegen mit einer ausgeklügelten, laserbasierten Methode zur Messung des Wärmetransports.

Nelson wählte als Messmethode die „Transient Thermal Grating Technique“ (TTG). Dabei kreuzten sich zwei unter sechzig Pikosekunden kurze Laserpulse auf der Oberfläche der Graphitprobe. Die Laserpulse wärmten die Probe einerseits auf. Andererseits konnte über die Analyse optischer Interferenzmuster der Wärmetransport mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung bis in den Nanosekundenbereich ermittelt werden.

Bei Raumtemperatur beobachteten die Forscher an der polykristallinen und hochreinen Graphitprobe wie erwartet einen kontinuierlichen, exponentiell abfallenden Temperaturverlauf. Dieser entspricht einem Wärmetransport über Diffusion, der parallel zur flachen Anordnung der Kohlenstoffatome deutlich höher war als senkrecht zwischen mehreren Graphitlagen. Abgekühlt auf 85 Kelvin jedoch änderte sich das Verhalten drastisch. Die Messungen ergaben einen wellenförmigen Wärmetransport mit einem Temperaturverlauf analog zu gedämpften Schwingungen eines Oszillators. Für eine kurze Zeit floss Wärme von einer kälteren Region zu einer wärmeren. Kurz darauf drehte sich diese Transportrichtung wieder um. „Genau das entspricht einer Wellenbewegung“, sagt Nelson. Insgesamt bildete sich eine thermische stehende Welle aus Phononen-Dichtewellen aus.

Diese thermische Welle breitete sich mit einer Geschwindigkeit von 3200 Metern pro Sekunde aus. Damit war sie deutlich schneller als akustische Wellen (1480 m/s), verhielt sich sonst aber vergleichbar mit einer gedämpften Schallwelle. Diese thermische Welle des zweiten Schalls blieb bis Temperaturen von knapp 150 Kelvin erhalten und verschwand bei weiterer Erwärmung. Unterhalb von 50 Kelvin verschwand sie ebenfalls und der Wärmetransport ging in den ballistischen Bereich über. Alle Messungen zeigten auch eine gute Übereinstimmung mit theoretischen Modellen für den zweiten Schall. Die Effizienz des Wärmetransports erwies sich zudem als deutlich höher als über klassische Diffusionsprozesse.

Der Wärmetransport über den zweiten Schall könnte in Zukunft sogar handfeste Anwendungen mit sich bringen. Denn Forscher erwarten, dass dieser Effekt in anderen zweidimensionalen Materialien auftreten könnte, die für die Konstruktion zukünftiger Elektronikschaltkreise geeignet sind. „Wir hoffen, unsere Beobachtungen bis auf Raumtemperatur ausweiten zu können, besonders in Graphen und anderen zweidimensionalen Materialien“, sagt Nelson. Der zweite Schall böte damit eine Methode, um hochgetaktete elektronische Schaltkreise aus 2D-Materialien effizienter zu kühlen als mit herkömmlichen Methoden.

Jan Oliver Löfken

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