Dossier

Im Gedenken

Mit Kurzbiographien soll den Mitgliedern der DPG gedacht werden, die der Mordmaschinerie des NS-Staates zum Opfer gefallen sind.

Articles

Stefan L. Wolff
08 / 2022 Seite 30

Albert Maring (1883–1943)

Anfang April 1922 erhielt Niels Bohr (1885 – 1962) in Kopenhagen einen Brief aus Köln. Absender war Albert Maring, Pater des Jesuitenordens (S. J.: Societas Jesu), der sich dem „höchstverehrten Herrn Professor“ als ehemaliger Kopenhagener Physikstudent mit dem Hinweis in Erinnerung brachte, in dessen erster Vorlesung gesessen zu haben.

Maring hatte in der dänischen „Fysisk Tids skrift“ Bohrs Vortrag vom 18. Oktober 1921 über den „Bau der Atome und die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Elemente“ nachlesen können. Er verfolgte die aktuelle Forschung und erkannte die große Bedeutung des dänischen Vortrages. Maring glaubte, hier mit seiner sprachlichen Kompetenz behilflich sein zu können: „Da meines Wissens bislang weder dieser Vortrag noch Ihre zwei Briefe an ‚Nature‘ in meiner Muttersprache veröffentlicht wurden, erlaube ich mir, Sie um die Genehmigung zu bitten, den Artikel in der Fysisk Tidsskrift für eine deutsche Zeitschrift zu übersetzen – sofern möglich die ‚Natur wissenschaften‘. Ich wäre Ihnen für die Erlaubnis sehr dankbar, oder, sofern eine Übersetzung bereits von anderer Seite vorgenommen wird, um Mitteilung darüber. Mit höchster Hochachtung, Albert Maring SJ. mag. scient.“ Maring ahnte nicht, dass die dänische Version in Göttingen schon diskutiert wurde, eine deutsche Übersetzung inzwischen bereits einen zweiten Korrekturdurchgang durchlief und eine englische Fassung in Kürze erscheinen sollte. Bohr dankte ihm für sein Angebot, konnte aber auf die inzwischen gedruckte Veröffentlichung in der „Zeitschrift für Physik“ hinweisen. Mit der Ausrichtung von Grüßen des Dozenten Hans Marius Hansen (1886 – 1956) signalisierte Bohr, dass ihnen Maring in Erinnerung geblieben war. (...)

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Stefan L. Wolff
02 / 2022 Seite 22

Erich Lehmann (1878 – 1942)

Erich Lehmann war ein Sohn des promovierten Pharmazeuten Moritz Meier Lehmann (1833 – 1902) aus dem preußischen Stargard, der als Apotheker in Berlin eine Generalagentur für Mineralbrunnen betrieb, und seiner Frau Pauline Eleonore Poppelauer (1839 – 1907), die aus einem wohlhabenden Breslauer Elternhaus stammte. Das jüdische Paar heiratete 1860 in Berlin, wo der am 9. August 1878 geborene Erich und seine Zwillings­schwester Alice mit den zwei älteren Brüdern Walter (1877 – 1936) und Franz (1864 – 1936) sowie der Schwester Margarethe (1863 – 1941) aufwuchsen.

Erich erwarb sein Abitur 1896 am Königlichen Wilhelms-Gymnasium in Berlin-Tiergarten. Er studierte anschließend an der Berliner Universität acht Semester Chemie im Hauptfach und dazu Philosophie, Physik und Paläontologie. Unter der Anleitung des Privatdozenten Wilhelm Traube (1866 – 1942) fertigte Lehmann zwischen dem Wintersemester 1898/99 und Anfang 1900 seine Dissertation „Über die Additionsreaktion der Alkylenoxyde“ an. Hans Landolt schrieb in seiner Beurteilung: „Die von dem Verfasser bearbeitete Reaction ist vollständig neu und wird an einer Anzahl durchgeführter Beispiele erläutert. Die Ausführung erforderte experimentelle Geschicklichkeit.“ Nach den mündlichen Prüfungen in den oben genannten vier Fächern am 13. Dezember 1900 kam das Promotionsverfahren am 23. Januar 1901 mit der öffentlichen Disputation der von dem Kandidaten eingereichten drei Thesen zu ihrem Abschluss. Neben Emil Berliner gehörten Lehmanns ältere, bereits in Medizin und Jura promovierten Brüder zu den drei Opponenten. (...)

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Stefan L. Wolff
10 / 2021 Seite 52

Gertrud Rothgießer (1888 – 1944)

Mit dem Eintritt von Gertrud Rothgießer im Jahr 1912 übersprang der Anteil der Frauen bzw. „Fräuleins“ in der DPG die Ein-Prozent-Marke. Sie waren nun sieben von fast 600 persönlichen Mitgliedern. Dazu gehörten Margrete Bose, die den Titel „Frau Professor“ führte, sowie die bereits promovierten Lise Meitner und Gerta von Ubisch. Letzterer gelang nach einer Promotion in der Physik später eine Hochschulkarriere in der Biologie. Aufgrund des Vorschlags von Rothgießers Doktorvater Franz Himstedt in Freiburg gehörte auch sie für drei Jahre zu diesem kleinen Zirkel.
Es mussten besondere familiäre Randbedingungen vorliegen, um einer jungen Frau unter den damaligen Umständen ein akademisches Studium zu ermöglichen. Bei der am 21. März 1888 in Bielefeld geborenen Gertrud Rothgießer trafen die innovativen Aktivitäten ihres Vaters Georg (1858 – 1943) mit einem sich daraus ergebenden vorteilhaften ökonomischen Hintergrund zusammen. Georg Rothgießer hatte sich als vielseitiger Technikpionier seit 1878 eine Reihe von Erfindungen patentieren lassen. Nach mehreren Umzügen kam die um eine weitere Tochter und zwei Söhne angewachsene jüdische Familie 1897 schließlich nach Berlin. Im Adressbuch ließ Georg Rothgießer seinen Beruf als „Ingenieur“ eintragen. Bald betrieb er auch zwei Verlage für technische Literatur, und seine Tochter Gertrud gab mitunter „Schriftsteller“ als Berufsbezeichnung ihres Vaters an.
Nach Absolvieren der Höheren Mädchenschule und speziellen Kursen für Frauen bestand Gertrud Rothgießer am Friedrichs-Realgymnasium im Herbst 1906 die Reifeprüfung. Da Frauen in Preußen noch nicht regulär studieren durften, schrieb sie sich zunächst mit einer „Zulassungs-Verfügung“ als Gasthörerin für Mathematik und Physik ein, die ersten beiden Semester an der Technischen Hochschule in Charlottenburg und ab dem Wintersemester 1907/08 an der Berliner Universität. Während viele Frauen den „Zweck des Vorlesungsbesuches“ mit dem allgemeinen Begriff „Fortbildung“ beschrieben, verfolgte Rothgießer mit der Angabe „Staatsprüfung“ offenbar schon als Gasthörerin das Ziel, später als Lehrerin arbeiten zu können. Die Öffnung der preußischen Universitäten für Frauen ermöglichte ihr ab Oktober 1908 ein reguläres Studium als „vollimmatrikulierte“ Studentin. Sie belegte nach eigenen Angaben in ihrem ersten „normalen“ Semester nicht weniger als zehn verschiedene Veranstaltungen in Physik, Mathematik, Astronomie und Philosophie, darunter die Vorlesung „Wärme“ sowie die „mathematischphysikalischen Übungen“ bei Max Planck. Im Sommer 1909 wechselte sie für ein Semester nach Freiburg, im folgenden Winter für eines nach München; die letzten fünf Semester ging sie wieder nach Freiburg und fertigte beim dortigen Direktor des physikalischen Instituts Franz Himstedt eine Doktorarbeit an. (...)

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Stefan L. Wolff
07 / 2021 Seite 28

Franz Pollitzer (1885–1942)

Als die „Carl von Linde Denkmünze“ des Deutschen Kälte- und Klimatechnischen Vereins am 25. September 1952 in Stuttgart verliehen wurde, fiel in der Dankesrede des Preisträgers Franz Simon (1893 – 1956) unerwartet der Name von Franz Pollitzer. Im Auditorium spürte man, wie das konzentrierte Zuhören für einen Moment einem betretenen Schweigen wich. Simon, der 1933 nach England emigriert war, wollte mit Pollitzer an einen befreundeten Kollegen erinnern, der die an ihn verliehene Medaille für die Anwendung der Tieftemperaturphysik in der Industrie eigentlich weitaus mehr verdient hätte. Aber Franz Pollitzer war in Auschwitz ermordet worden.
Pollitzers Vater Adam (1835 – 1899), der aus Ungarn stammte, ließ sich in Wien nieder, wo er seit 1867 ein Kurzwarengeschäft betrieb, 1868 Pauline Spitzer (1847 – 1903) heiratete und dann hauptsächlich mit Kurrentwaren handelte, also mit Erzeugnissen aus Seide, Stoff oder Wolle. Mit wenigstens zwei Söhnen zog die Familie 1872 nach Gablonz in Böhmen um, wo sie sich weiter vergrößerte, zuletzt am 14. November 1885 mit der Geburt des fünften und jüngsten Kindes Franz. 1891 gingen die Pollitzers nach Berlin. Franz besuchte dort die Luisenstädtische Ober­realschule, an der er zu Ostern 1904 die Reifeprüfung ablegte. Inzwischen hatte er schon beide Eltern verloren. 
Im Sommersemester 1904 begann er sein Studium der Chemie und Physik an der Berliner Universität. Im Winter ging er für ein Semester nach Wien an die Technische Hochschule und die Universität, hörte unter anderem bei Ludwig Boltzmann und konvertierte im März 1905 zum Katholizismus. Ab Ostern 1905 setzte er sein Studium wieder an der Berliner Universität fort. Pollitzer promovierte bei Walther Nernst mit einer im April 1909 abgeschlossenen Untersuchung über das Gleichgewicht zwischen Schwefelwasserstoff und Jod, die unter Abscheidung von Schwefel und Bildung von Jodwasserstoff reagieren. Nernst würdigte diese Arbeit abschließend mit den Worten: „… da sowohl die Darstellung wie insbesondere die theoretische Verarbeitung der erhaltenen Ergebnisse überall eine gute Begabung und ein ungewöhnlich tiefes Verständnis erkennen läßt (sic), so bringe ich das Prädikat „valde laudabile“ in Vorschlag.“ Die vier mündlichen Prüfungen absolvierte ­Pollitzer am 15. Juli 1909 ebenfalls mit sehr gutem Ergebnis, wobei er in der Physik von Max Planck Fragen über Prinzipien der Mechanik sowie in der Elektrizität etwa über die galvanische Kette oder das Ohmsche Gesetz zu beantworten hatte. Mit dem Druck der Arbeit erfolgte die Promotion am 9. Oktober 1909. (...)

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Stefan L. Wolff
06 / 2021 Seite 20

Lewin Leopold Ehrlich (1882 – 1942)

Mit (Lewin) Leopold Ehrlich erinnern wir an ein Mitglied der DPG, das weder im industriellen noch im universitären Wissenschaftsbetrieb oder in der Publizistik, sondern in dem für die Fachwelt weniger sichtbaren Beruf eines Studienrats im Schulwesen tätig gewesen war. Außerdem gehörte Ehrlich zu den Mitgliedern, die ohne Promotion oder andere Publikationen keinen Eintrag in einem Nachschlagewerk wie dem „Biographisch-literarischen Handwörterbuch“ von Poggen­dorff erhielten und somit auch keinen „akademischen Fußabdruck“ hinter­lassen haben. (...)

 

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Stefan L. Wolff
04 / 2021 Seite 42

Edith Johanna Hella Josephy (1899 – 1942)

Für jüdische Emigranten aus Deutschland waren die Niederlande eines der wichtigsten Fluchtziele, wenn oft auch nur Durchgangsstation. Aber viele von denen, die blieben, wurden nach der deutschen Besetzung deportiert und ermordet, darunter auch die Chemikerin Edith Johanna Hella Josephy.

Edith Josephy stammte aus Schwaan in Mecklenburg, wo 1749 erstmals ein Jude gegen die Entrichtung von Schutzgeld an den Landesherrn das Aufenthaltsrecht erhielt. Er war der Ahnherr der später weit verzweigten Familie Josephy.1) Durch den frühen Tod des Kaufmanns Rudolph Josephy (1869 – 1911) verloren dessen Ehefrau Frieda (1877 – 1943) und die beiden Töchter Edith und Lilli (1901 – 1945)  ihre ökonomische Absicherung. Die kleine Gemeinde von Schwaan war damals mangels Mitglieder schon fast in Auflösung begriffen, was kurze Zeit später dann auch offiziell geschah. Die verwitwete Mutter zog in dieser Situation mit ihren Kindern nach Berlin.

Edith hatte seit 1906 in Schwaan eine höhere Töchterschule besucht. Um ihr trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten weiterhin eine gute Ausbildung zu ermöglichen, gab ihre Mutter sie in die Betreuung des von Baruch Auerbach begründeten jüdischen Waisenhauses in der Schönhauser Allee. In dessen Obhut besuchte Edith seit 1911 zunächst das Sophien-Lyzeum und ab 1915 eine Oberrealschule, an der sie im Februar 1919 die Reifeprüfung bestand. (...)

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Stefan L. Wolff
03 / 2021 Seite 46

Emil Kolben (1862 – 1943)

Emil Kolben gehörte mit seiner Firmengründung von 1896 zu jenen Pionieren, die auf der Grundlage ihrer technisch-wissenschaftlichen Aus­bildung am Ende des 19. Jahrhunderts Fabrikationsstätten im Bereich der Elektrotechnik wie des Maschinenbaus etablierten und so die Industrialisierung Europas maßgeblich beförderten.

Die jüdischen Vorfahren von Emil Kolben lassen sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts im Prager Vorort Stranice nachweisen. Emil war das älteste von neun Kindern seines Vaters Joachim (1828 – 1912), der dort ein kleines Unternehmen führte. Nach der Matura studierte Emil an der Deutschen Technischen Hochschule in Prag von 1881 bis 1886 Elektrotechnik, die damals noch im Fach Maschinenbau integriert war. Nach einer kurzen praktischen Tätig­keit konnte er mit einem Reisestipendium 1888 in die USA gehen, wo er sich nach ausgedehnten Fahrten durch das Land spontan bei den „Edison Machine Works“ bewarb und umgehend angestellt wurde. Schon ein Jahr darauf stieg er zum Chef­ingenieur der technischen Abteilungen der „Edison General Electric“ in Schenectady auf. Dort entwickelte er vor allem Dynamos und Motoren. Die Begegnung mit ­Nikola Tesla überzeugte ihn von der Bedeutung des Wechsel­stroms, der damals noch weitgehend abgelehnt wurde, unter anderem auch von Edison. (...)

 

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Stefan L. Wolff
01 / 2021 Seite 40

Richard Jacoby (1877 – 1941)

In der Beleuchtungsindustrie der Zwanzigerjahre bildeten sich interdisziplinäre Arbeitsgruppen, in denen Physiker, Chemiker und Mathematiker fachüber greifend zusammenwirkten. Der Chemiker Richard Jacoby leitete ein solches Laboratorium bei Osram, was ihn auch in die DPG führte. Während eine Reihe seiner jüdischen Kollegen noch rechtzeitig emigrieren konnte, verhinderten besondere Umstände dies in seinem Fall.
Richard Jacoby wuchs in einer jüdischen Familie in Berlin auf. Er war das älteste von vier Kindern des aus Perleberg stammenden Kaufmanns Leopold (1835 – 1903) und dessen Frau Mathilde (1854 – 1925). Jacoby bestand zu Ostern das Abitur am renommierten Königlichen Wilhelmsgymnasium. Anschließend absolvierte er / seinen Dienst als „Einjährig Freiwilliger“ und studierte dann neun Semester Chemie als Hauptfach in Freiburg, Würzburg und Berlin, wo er seine von dem Privatdozenten Richard Joseph Meyer angeregte Dissertation einreichte. Sie behandelte „Die Doppelnitrate des vierwertigen Ceriums und des Thoriums“. Hans Heinrich Landolt lobte in seinem Gutachten die Sorgfalt bei der Durchführung der Versuche sowie die schriftliche Ausarbeitung. In der von ihm vorgenommenen mündlichen Prüfung attestierte er Jacoby „in allen berührten Gebieten, auch den schwierigeren, vorzügliche Kenntnisse“. Für das Nebenfach Physik befragte Max Planck ihn zu optischen Phänomenen und Messungen galvanischer Ströme. Nach dessen Urteil bewies er „allenthalben sehr gute Kenntnisse“. Dazu gab es Prüfungen in Mineralogie und Philosophie. Jacoby erhielt insgesamt das Prädikat „magna cum laude“. (...)

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Stefan L. Wolff
12 / 2020 Seite 53

Herbert Pese (1899 − 1943)

Herbert Pese forschte und unterrichtete an der Universität Breslau. Finanziert wurde er durch Gelder der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Obwohl Pese damit formal nicht unter das Berufsbeamtengesetz fiel, verlor er wie andere in der gleichen Situation dennoch sein Stipendium. Damit war er neben Professor Fritz Reiche und der Privatdozentin Hedwig Kohn (siehe Physik Journal, November 2020, S. 36/37) der dritte Physiker, dessen Laufbahn an der Universität Breslau 1933 abrupt endete.

Herbert Pese wurde 1899 in Gleiwitz als Sohn eines Kaufmanns geboren, der ein „Damenputz-Spezialhaus“ betrieb, das er 1905 nach Breslau verlagerte. Pese durchlief dort die Schule bis zum Abitur (1919), studierte dann an mehreren Universitäten, zuletzt an der TH Breslau, wo er sich zwi-schen 1924 und 1926 bei Erich Waetzmann mit Membranen und der Analyse von akustischen Schwingungen beschäftigte. Am 25. Juni 1925 trat er der DPG bei, die er 1931 wie-der verließ. 1927 wechselte er an das von Clemens Schäfer geleitete physikalische Institut der Universität Breslau, was mit einer Umorientierung zur Optik verbunden war. Schäfer verschaffte ihm bald ein Stipendium der Notgemeinschaft. (...)

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Stefan L. Wolff
11 / 2020 Seite 35

Alfred Byk (1878 − 1942)

Alfred Byk war der älteste Sohn von Heinrich Byk, der 1873 in Berlin eine chemische Fabrik errichtet hatte, die er 1885 nach Oranienburg verlegte. Der Onkel Eugen Bamberger mütterlicherseits war seit 1893 Professor für allgemeine Chemie am Polytechnikum in Zürich. Alfred und seine drei Geschwister wuchsen in Berlin auf. Nach dem Abitur am französischen Gymnasium begann er mit dem Studium der Chemie, das er nach elf Semestern in Freiburg und Berlin 1902 mit einer Dissertation abschloss.

In den folgenden Jahren verschob sich sein Interesse zunächst in die physikalische Chemie und über die damit zusammenhängenden thermodynamischen Fragen schließlich in die Physik, in der er sich 1906 an der Berliner Universität bei Max Planck habilitierte. Im Jahr zuvor hatte er schon an der Technischen Hochschule Berlin eine Privatdozentur für physikalische Chemie und 1910 den Titel Professor erhalten. Als Nachfolger Max von Laues war Byk zwischen 1909 und 1912 Assistent von Planck. Lise Meitner folgte ihm in dieser Position. An der Universität wie an der Technischen Hochschule wurde Byk 1921 bzw. 1922 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. Planck schätzte ihn, fand ihn „sehr gebildet, sehr belesen“ und befürwortete als Herausgeber der „Annalen der Physik“ die Aufnahme seiner Arbeiten. (...)

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Stefan L. Wolff
11 / 2020 Seite 29

Entrechtet, verfolgt, vertrieben und ermordet

Dieser Artikel ist denjenigen Mitgliedern der DPG gewidmet, die der Mordmaschinerie des NS-Staates zum Opfer gefallen sind. Dazu sollen auch alle zählen, die angesichts ihrer ausweglos erscheinenden Lage in den Suizid getrieben wurden. Ihr Tod stand am Ende einer Entwicklung, denn Opfer waren sie schon zuvor geworden, hatte man sie doch ihres sozialen Umfeldes, ihrer ökonomischen Sicherheit sowie in manchen Fällen auch ihrer zuvor deportierten Eltern und Geschwister beraubt.

Schon im April 1933 hatte die von der NSDAP dominierte Koalitionsregierung, dank des Ermächtigungsgesetzes vom 23. März frei von der Notwendigkeit parlamentarischer Zustimmung, ein Gesetz „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen. Es sah unter anderem vor, dass Menschen mit allein schon einem jüdischen Großelternteil (als „nichtarisch“ bezeichnet) aus dem öffentlichen Dienst und damit auch aus allen Universitäten oder staatlichen Forschungseinrichtungen wie den meisten Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft verbannt wurden. Das fand bald ebenfalls Anwendung auf das gesamte nichtbeamtete wissenschaftliche Personal. Der Beamtenstatus half nur noch denen, die ihn bereits vor dem Ersten Weltkrieg besessen hatten oder jenen, die aufgrund von „Feindberührung“ in jenem Krieg den „Frontkämpferstatus“ erhielten. Diese Ausnahmebestimmungen wurden restriktiv ausgelegt, manchmal ignoriert und sollten mit den „Nürnberger Gesetzen“ von 1935 gänzlich aufgehoben werden. Darin wurde der Begriff „jüdisch“ dann mit mindestens drei jüdischen Großeltern gegenüber der „Nichtarierdefinition“ deutlich enger, aber weiterhin völlig unabhängig von einer religiösen Zugehörigkeit definiert. Es handelte sich demgemäß um eine Fremdbestimmung, die von der Abstammung abgeleitet wurde und nicht auf der Selbstwahrnehmung beruhte. Aber auch jene, die dieses Attribut für sich akzeptierten, bildeten deshalb allein noch keine abgrenzbare soziale Gruppe mit einem spezifischen Zusammenhalt. Es gab lediglich eine häufige Zugehörigkeit zum gehobenen Bürgertum. Der von Max Planck retrospektiv geschilderte Besuch bei Hitler enthielt insoweit eine zutreffende Charakterisierung des gesellschaftlichen Status der meisten betroffenen Kollegen, wenn er sie als „alte Familien mit bester deutscher Kultur“ beschrieb [1]. Ähnlich sah es Thomas Mann, der von falschen Klischeevorstellungen abrücken musste, als er 1904 seinem Bruder nach einem Besuch bei den Pringsheims (er heiratete 1905 mit Katia eine Schwester des Physikers Peter Pringsheim) mitteilte [2]: „Kein Gedanke an Judenthum kommt auf, diesen Leuten gegenüber; man spürt nichts als Kultur.“

Peter Pringsheim gehörte 1933 zu den etwa 15 Prozent der Mitglieder der DPG, die jüdische Vorfahren hatten und im Sinn der erwähnten Gesetzgebung „Nichtarier“ waren bzw. die zu den etwa 13 Prozent zählten, die ab 1935 nach den Kriterien der Nürnberger Gesetze als „Juden“ galten. Für letztere wurde ihr Status spätestens ab 1938 zu einer tödlichen Gefahr. Wie Pringsheim war etwa die Hälfte der Betroffenen entweder schon christlich aufgewachsen oder hatte das Judentum inzwischen verlassen. Die erwähnten Maßnahmen von 1933 betrafen gemäß der obigen Definition einen Personenkreis, aus dem einige bis dahin nicht einmal von ihrer nun problematischen Herkunft gewusst hatten. Im Jahr 1937 kamen noch alle hinzu, die mit einem „nichtarischen“ Ehepartner verheiratet waren, darunter mindestens 13 Mitglieder der DPG. Wenn eine solche Heirat erst nach 1933 geschlossen wurde, war eine Anstellung im öffentlichen Bereich von vornherein nicht mehr möglich. Die Umsetzung der Maßnahmen zu Beginn des Sommersemesters 1933, die gerade viele der jüngeren Wissenschaftler betraf, weil diese schon zwangsläufig unter keine der beiden Ausnahmeregelungen fallen konnten, gestaltete sich unübersichtlich. Herkunft und Fronteinsatz waren in eigens dafür entwickelten Fragebögen zu belegen. (...)

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Christian Forstner
11 / 2020 Seite 3

Verantwortung aus der Vergangenheit

Die Geschichte der DPG in der NS-Zeit gilt es stets, aufs Neue zu bewerten.

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Jan Oelering
03 / 2008 Seite 8

Kontroverse um Peter Debye: Ende der Debatte?

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Stefan L. Wolff
03 / 2007 Seite 14

Die Legende vom Ausschluss

Zu: ''Kein Ruhmesblatt'' von Stefan Jorda, Januar 2007, S. 51

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Stefan Jorda
01 / 2007 Seite 51

Kein Ruhmesblatt - Die DPG im 3. Reich

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Dieter Hoffmann und Mark Walker
03 / 2006 Seite 53

Zwischen Autonomie und Anpassung - Die DPG im Dritten Reich

In einem von der DPG initiierten und finanzierten Forschungsprojekt versucht eine international zusammengesetzte Gruppe von Physikhistorikern die Geschichte der Deutschen Physikalischen Gesellschaft im Dritten Reich zu bilanzieren.

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News

DPG

Gedenktafel für NS-Opfer Alfred Byk

03.02.2023 -

Der Berliner Professor für Physik und physikalische Chemie Alfred Byk (1878 − 1942) gehört zu den DPG-Mitgliedern, die Opfer des Nationalsozialismus wurden.

DPG

Verantwortung und Gedenken

29.10.2020 -

Auch DPG-Mitglieder wurden Opfer des NS-Systems.

Panorama

Verfolgt und vertrieben

25.09.2020 -

Ein Symposium befasst sich mit dem Schicksal jüdischer Mitarbeiter der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt im Nationalsozialismus.

Forschung

Die DPG im Nationalsozialismus

05.12.2006 -

Physiker zwischen Autonomie und Anpassung: Ein neues Buch beleuchtet die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) in der Zeit von 1933 bis 1945.

Forschung

Zum 50. Todestag von Peter Debye

02.11.2016 -

Der niederländische Physik-Nobelpreisträger und ehemalige DPG-Präsident Peter Debye starb am 2. November 1966 in den USA.

Panorama

In memoriam Lise Meitner

25.10.2018 -

Zum 50. Todestag erinnert die Deutsche Physikalische Gesellschaft an die bedeutende Physikerin.

Forschung

Forscherdrang mit Gewissen

21.05.2014 -

Vor 50 Jahren starb der Physik-Nobelpreisträger James Franck (1882 – 1964).

Forschung

Einsteins treuer Astronom

24.07.2014 -

Erwin Freundlich, der erste Direktor des „Einsteinturms“, starb vor 50 Jahren.

Panorama

Düstere DFG-Geschichte

28.09.2006 -

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ist dabei, ihre Einbindung und die Verstrickung von Wissenschaftlern in die Nazi-Diktatur aufzarbeiten.

Forschung

Dunkles Erbe

23.03.2005 -

Die Max-Planck-Gesellschaft untersuchte ihre Historie.

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