10.09.2021

Warum Fußgänger zusammenstoßen – oder eben nicht

Zwei der zehn diesjährigen Ig Nobel-Preise gehen an Arbeiten, die das Verhalten von Fußgängern untersucht haben.

Bereits zum zweiten Mal musste die Verleihung der Ig Nobel-Preise rein virtuell erfolgen. Der Zeremonie, die normalerweise in ebenso festlichem wie skurrilem Rahmen an der Harvard University stattfindet, tat dies jeden keinen Abbruch. Um Forschungsarbeiten zu ehren, die erst zum Lachen und dann zum Nachdenken anregen, legten sich Moderatorinnen und Moderatoren mächtig ins Zeug. Selbst die obligatorischen Papierflieger-Attacken blieben nicht aus.

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Die Preise in Physik und Kinetik scheinen auf den ersten Blick an zwei Arbeiten zu gehen, die sich grundsätzlich widersprechen. Denn in der Physik wurde ein Paper ausgezeichnet, das untersucht, warum Fußgänger nicht ständig mit anderen zusammenstoßen. Und in der Kinetik eines, das der Frage nachgeht, warum Fußgänger aneinander rempeln.

In der Physik erhielten Forschende aus den Niederlanden, den USA und Italien den Preis. Sechs Monate lang hatten sie Fußgänger „in freier Wildbahn“ am Bahnhof von Eindhoven beobachtet und ihre Trajektorien hochaufgelöst verfolgt. Damit wollten sie die Interaktionen der Fußgänger untereinander dokumentieren, mit denen diese einen Zusammenstoß vermeiden.

Der Bahnhof von Eindhoven diente sechs Monate lang als Versuchsfeld für das...
Der Bahnhof von Eindhoven diente sechs Monate lang als Versuchsfeld für das Verhalten von Fußgängern. (Bild: Phys. Rev. E 98, 062310 (2018)

Ziel war es, ein Modell weiterzuentwickeln, das von Fußgängern ausgeht, die nicht interagieren. Um Modell und Wirklichkeit zu vergleichen, ist es wichtig, zwischen dem beabsichtigten und dem tatsächlichen Weg zu unterscheiden. Diese sind nahezu identisch, wenn nur wenige Fußgänger unterwegs sind und ungestört ihres Weges gehen. Sobald sich mehr Personen gleichzeitig in der Passage aufhalten, reicht eine paarweise Interaktion aus, um das Verhalten des Ausweichens zu beschreiben.

So banal das Ergebnis klingen mag, so weitreichend können seine Folgen sein. Modelle, die Personenströme vorhersagen, kommen beispielsweise zum Einsatz, um Fluchtwege in öffentlichen Gebäuden zu gestalten. Allerdings ist es schwierig, ihre Gültigkeit am realen Fallbeispiel zu verifizieren. Ein wichtiger Schritt war es daher, aus den gemessenen Trajektorien ohne Informationsverlust Graphen zu erstellen, die sich mathematisch verschiedenen Klassen zuordnen lassen.

Ein japanisches Team erhielt den Preis in der Kategorie Kinetik. Hier nutzten die Forschenden eine Versuchsanordnung mit einstellbaren Parametern. Zum einen bewegte sich eine vorgegebene Anzahl von Fußgängern auf der Teststrecke von rechts nach links und umgekehrt. Zum anderen mussten Personen auf einer bestimmten Position in ihrer Gruppe beim Gehen auf ein Smartphone schauen. Es stellte sich heraus, dass sowohl die abgelenkten Fußgänger als auch ihre Gegenüber Probleme hatten, Zusammenstöße zu vermeiden. Auch das deutet daraufhin, dass die Dynamik der gesamten Gruppe letztlich durch die Interaktion von Paaren zustande kommt.

Die japanische Gruppe hat die Fußgänger auf einer eigens angelegten...
Die japanische Gruppe hat die Fußgänger auf einer eigens angelegten Teststrecke beobachtet: Gelb markierte Personen bewegen sich von links nach rechts, rot markierte umgekehrt. (Bild: Sci. Adv. 7, eabe7758 (2021)

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