12.02.2024

Unkonventionelle Supraleitung im Magnetfeld

Uranditellurid bleibt auch in extrem hohen Magnetfeldern supraleitend.

Supraleitung ist seit mehr als hundert Jahren bekannt und für konven­tionelle Supraleiter mittlerweile gut verstanden. Neueren Datums hingegen sind unkonven­tionelle Supraleiter, bei denen nicht eindeutig geklärt ist, wie sie funk­tionieren. Ein Team des HZDR hat gemeinsam mit Kollegen der Forschungs­einrichtung CEA, der Universität Tōhoku und des Max-Planck-Instituts für Chemische Physik fester Stoffe neue Erkennt­nisse gewonnen. Die Befunde könnten erklären, warum ein neuartiges Material auch in extrem hohen Magnet­feldern supraleitend bleibt – eine Eigenschaft, die bisher undenkbare techno­logische Anwendungen ermög­lichen könnte.

Abb.: Illustration einer Probe für elektrische Messungen an unkonventionellen...
Abb.: Illustration einer Probe für elektrische Messungen an unkonventionellen Supraleitern. Gold und Platin werden dabei für die Kontaktierung verwendet. Elektronen koppeln paarweise über Schwingungs- oder magnetische Fluktuationen.
Quelle: B. Schröder, HZDR

„Uranditellurid oder kurz UTe2 ist ein Senkrecht­starter unter den supraleitenden Materialien“, sagt Toni Helm vom Hochfeld-Magnet­labor (HLD) am HZDR. „Seit 2019 ist bekannt, dass die Verbindung den elektrischen Strom verlustfrei leitet – doch auf eine andere Art als konven­tionelle Supraleiter.“ Seither interessieren sich Forschungs­gruppen weltweit für dieses Material. Dazu gehört auch das Team um Helm, das einem Verständnis dieses Stoffes nun ein ganzes Stück nähergekommen ist. „Um den Hype rund um das Material zu verstehen, müssen wir uns die Supraleitung ein wenig genauer anschauen. Dieses Phänomen ist eine Folge der Elektronen­bewegung im Material“, sagt der Physiker und ergänzt: „Denn immer dann, wenn sie gegen das Kristallgitter stoßen, geben sie Energie in Form von Wärme ab. Das macht sich als elektrischer Widerstand bemerkbar. Den können Elektronen vermeiden, indem sie sich zu Cooper-Paaren zusammenfinden.“ 

Dabei agieren zwei Elektronen bei extrem tiefen Temperaturen gemeinsam im Verbund, um sich komplett reibungsfrei durch einen Festkörper zu bewegen. Schwingungen der Atome in ihrer unmittel­baren Umgebung können sie so als eine Art Welle nutzen, auf der sie ohne Energieverlust surfen. Diese Atoms­chwingungen erklären die konventionelle Supraleitung. „Seit einigen Jahren sind aber auch Supraleiter bekannt, bei denen sich Cooper-Paare durch noch nicht komplett verstandene Effekte bilden“, sagt Helm. Eine mögliche Form unkonven­tioneller Supraleitung ist die Spin-Triplett-Supraleitung, die sich magnetische Fluktuationen zu Nutze macht. „Weiterhin gibt es Materialien, in denen sich die äußeren Elektronen der Atome kollektiv zusammen­finden“, erklärt der Physiker. „In diesem Fall schirmen sie nicht nur den Magnetismus des Materials ab, sie haben auch eine – für Elektronen – extrem hohe Masse.“ 

Diese Materialien werden als Schwere-Fermionen-Supraleiter bezeichnet. UTe2 könnte deshalb beides sein: sowohl ein Spin-Triplett- als auch ein Schwere-Fermionen-Supraleiter, worauf aktuelle Experimente hindeuten. Und es ist gleichzeitig Schwergewichts­weltmeister. Denn im Moment ist kein anderer Schwere-Fermionen-Supraleiter bekannt, der bei höheren Magnetfeldern noch supra­leitend ist. Auch das haben die Experimente gezeigt. Extrem robust in Magnetfeldern Supraleitung wird von zwei Faktoren bestimmt: der Sprungtemperatur und dem kritischen Magnetfeld. Wird die Sprung­temperatur unterschritten, fällt der Widerstand auf null und das Material wird supraleitend. Auch äußere Magnet­felder beeinflussen die Supraleitung. Überschreiten diese eine kritische Größe, bricht der Effekt zusammen. 

„Physiker haben dafür eine Faustregel“, berichtet Helm: „Bei vielen konventionellen Supraleitern entspricht der Wert der Sprungtemperatur in Kelvin in etwa dem Ein- bis Zweifachen des Wertes der kritischen Magnetfeldstärke in Tesla. In Spin-Triplett-Supraleitern ist dieses Verhältnis oft sehr viel höher.“ Mit ihren Messungen am Schwergewicht UTe2 konnten die Forschenden die Messlatte nun noch höher legen: Bei einer Sprungtemperatur von 1,6 Kelvin liegt die kritische Magnetfeldstärke mit 73 Tesla bei etwa dem 45-fachen – ein Rekord. „Bisher waren Schwere-Fermionen-Supraleiter für technische Anwendungen wenig interessant“, erklärt der Physiker. „Sie haben eine sehr niedrige Sprungtemperatur und der deshalb notwendige Aufwand, sie zu kühlen, ist entsprechend hoch.“ 

Die Unempfindlichkeit gegenüber äußeren Magnetfeldern könnte dieses Manko ausgleichen. Denn der verlustfreie Stromtransport wird heute vor allem in supraleitenden Magneten angewandt, etwa in Kernspintomographen. Doch die Magnetfelder beeinflussen auch den Supraleiter selbst. Ein Material, das sehr hohen Magnetfeldern Stand hält und den elektrischen Strom trotzdem verlustfrei leitet, würde einen großen Fortschritt darstellen. „Nun lässt sich aus UTe2 natürlich keine Spule für einen Magneten fertigen“, sagt Helm. „Denn erstens kommt der Stoff aufgrund seiner Materialeigenschaften dafür nicht infrage, und zweitens ist er radioaktiv. Doch er eignet sich perfekt dafür, die Physik hinter der Spin-Triplett-Supraleitung zu ergründen.“ 

Auf Basis ihrer Experimente entwickelten die Forschenden ein Modell, das als Erklärung für Supraleitung mit einer extrem hohen Stabilität gegenüber Magnetfeldern dienen könnte. Dafür haben sie mit wenige Mikrometer dicken Proben gearbeitet, die nur etwa 70 Mikrometer messen. Die von der Probe emittierte radioaktive Strahlung bleibt deshalb viel geringer als die des natürlichen Hintergrunds. Um eine so winzige Probe zu erhalten, hat Helm einen hochpräzisen, nur wenige Nanometer durchmessenden Ionenstrahl als Werkzeug verwendet. Damit hat er die gewünschte Probenform ausgeschnitten. 

Da UTe2 ein luftempfindliches Material ist, präpariert Helm seine Proben im Vakuum und versiegelt sie im Anschluss mit Epoxidkleber. „Für den endgültigen Beweis, dass wir es bei unserem Material mit einem Spin-Triplett-Supraleiter zu tun haben, müssten wir es spektroskopisch untersuchen, während es dem Magnetfeld ausgesetzt ist. Doch bei Magnetfeldern oberhalb von vierzig Tesla versagen heutige Spektroskopie-Verfahren noch. Neben anderen Teams arbeiten auch wir daran, neue zu entwickeln. Damit könnten wir dann auch den endgültigen Beweis erbringen“, gibt sich Helm zuversichtlich.

HZDR / JOL

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