24.02.2022 • AtmosphärenphysikUmweltphysik

Ozonschädigende Substanzen im atmosphärischen Fahrstuhl

Wie sich kurzlebige organische Chlorverbindungen global in der unteren Stratosphäre ausbreiten.

Atmosphären­physiker der Bergischen Universität Wuppertal haben während einer Messkampagne mit dem Forschungs­flugzeug HALO stark erhöhte Konzen­tra­tionen ozon­abbauender Substanzen in der unteren Stratosphäre über dem Nordatlantik beobachtet und die Transport­wege dieser Luftmassen bis zu ihren Ursprungs­regionen am Boden analysiert. An der Studie waren auch Wissen­schaftler vom Forschungs­zentrum Jülich und der Uni Mainz beteiligt. Die Ergebnisse belegen erstmals durch direkte Beobachtung, dass kurzlebige organische Chlor­verbindungen, die hauptsächlich in Asien produziert und in die Atmosphäre abgegeben werden, im Sommer durch den asiatischen Monsun wie in einem atmo­sphärischen Fahrstuhl auf über 14 Kilometer Höhe trans­portiert und dann global in der unteren Stratosphäre weiter verteilt werden, wo sie zum Abbau der Ozonschicht beitragen.

Abb.: Atmosphären­physiker der BU Wuppertal führten mit dem...
Abb.: Atmosphären­physiker der BU Wuppertal führten mit dem Forschungs­flugzeug HALO erneut Messungen in bis zu 15 Kilometer Höhe durch – dieses Mal vom irlän­dischen Shannon aus. (Bild: V. Lauther)

Um der fortschreitenden Schädigung der strato­sphärischen Ozonschicht entgegen­zuwirken, ist die Herstellung ozon­abbauender Substanzen schon seit den späten 1980er Jahren durch inter­nationale Abkommen reguliert. Daraufhin wurde insbesondere die Produktion der sehr langlebigen und schädlichen Fluor­chlor­kohlen­wasser­stoffe, kurz FCKWs, fast vollständig eingestellt. Hingegen wurde die Herstellung sehr kurzlebiger chlorierter Kohlen­wasser­stoffe, darunter Dichlor­methan und Chloroform, bis heute nicht reguliert. Da diese Substanzen in der unteren Atmosphäre, also unter acht Kilometern Höhe, binnen weniger Monate abgebaut werden, wurde bislang angenommen, dass sie nur in sehr geringen Mengen in die Stratosphäre gelangen. Allerdings hat sich die Produktion dieser beiden Substanzen in Asien, insbesondere in China, in den letzten zwanzig Jahren stark erhöht, sodass neuere Modell­simulationen der Erdatmo­sphäre eine starke Zunahme dieser Substanzen auch in der unteren Stratosphäre prognos­ti­zieren. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, könnte sich die erwartete Erholung der Ozonschicht in den nächsten Jahr­zehnten signifikant verzögern.

Das Team unter Leitung von Michael Volk hat in den vergangenen Jahren das neue Instrument HAGAR-V entwickelt, um damit auf dem Forschungs­flugzeug HALO bis 15 Kilometer Höhe direkte und räumlich hoch aufgelöste Messungen einer ganzen Reihe klima­wirksamer und ozon­schädigender Spurengase durch­zu­führen. Im Rahmen der vom Forschungs­zentrum Jülich und der Uni Mainz koordinierten HALO-Mission WISE wurden damit im September und Oktober 2017 vom irländischen Shannon aus über dem Nordatlantik unter anderem die Konzen­tra­tionen von Dichlor­methan und Chloroform gemessen.

Bei mehreren von insgesamt 15 Messflügen wurden – gegenüber typischen Hinter­grundwerten – um bis zu 150 Prozent erhöhte Konzen­tra­tionen festge­stellt. Mithilfe von Berechnungen zur Luftbewegung sowie Modell­simulationen am Forschungs­zentrum Jülich konnte gezeigt werden, dass diese stark mit Dichlor­methan und Chloroform angereicherten Luftmassen größten­teils aus boden­nahen Schichten im süd- und ostasia­tischen Raum stammen. Sie stiegen im Bereich des asiatischen Monsuns schnell auf über 14 Kilometer, dann langsamer noch einige Kilometer weiter in die Stratosphäre auf, bis sie östlich über den Pazifik und Nordamerika trans­portiert wurden und schließlich nach insgesamt sechs bis elf Wochen Transport­zeit über dem Nordatlantik beobachtet wurden.

„Unsere Messungen und Analysen zeigen, wie stark die Zusammen­setzung der Luft in der unteren Stratosphäre durch den asiatischen Monsun bestimmt wird und wie die globale Ausbreitung der durch den Monsun eingetragenen Luftmassen im Detail funktioniert“, erklärt Volk. „Bodennahe Luftmassen aus ganz Süd- und Ostasien, die mit Luft­schad­stoffen und Treibhaus­gasen angereichert sind, werden durch den Monsun auf direktem Weg in die untere Stratosphäre katapultiert, wo sie sich anschließend weltweit verteilen. Weil dieser Transport so schnell geht, bleibt auch bei kurzlebigen Schadstoffen wie Dichlor­methan und Chloroform nicht genügend Zeit für chemischen Abbau, sodass sie die Stratosphäre fast unvermindert erreichen.“

Einen weiteren rasanten Transportweg in die Stratosphäre haben die Forscher über Zentral­amerika identifiziert, hier in Verbindung mit dem nord­ameri­ka­nischen Monsun oder punktuell durch Hurrikane. „Auf mehreren Flügen haben wir Luftmassen beobachtet, die wenige Wochen vorher vom Hurrikan Maria in der Karibik direkt senkrecht auf über 14 Kilometer Höhe geschleudert wurden. Danach querten sie nordöstlich in die Stratosphäre über dem Nord­atlantik“, erläutert Team-Mitglied Valentin Lauther. „Anders als in Asien steht der Fahrstuhl in die Stratosphäre hier aber nicht in einer Region mit starken Emissions­quellen am Boden. Die Luft, die aus dem zentral­ameri­ka­nischen Raum in die Stratosphäre gelangt, ist vergleichs­weise sauber.“

Vor allem der asiatische Sommer­monsun stellt also eine effiziente Kopplung der wichtigsten industri­ellen Quellregionen von Dichlor­methan und Chloroform mit der unteren Stratosphäre dar. Die Zukunft der Ozonschicht wird damit maßgeblich von der Entwicklung der Emissionen dieser Gase im süd- und ostasia­tischen Raum abhängen.

BU Wuppertal / RK

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