08.06.2021

Jena: Eine ganze Stadt der Physik

Die Stadt Jena wird zur EPS Historic Site gekürt.

Physikgeschichte manifestiert sich nicht nur in Biografien großer Forschergestalten oder in historischen Dokumenten und Objekten, sondern auch an ganz konkreten Orten. Daher zeichnet die Europäische Physikalische Gesellschaft (EPS) seit 2004 Forschungseinrichtungen, Labore oder wissenschaftliche Institute aus, die eine besondere Bedeutung für die Geschichte der Physik haben. In Deutschland erhielten beispielsweise die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Berlin, das Institut für Hochspannungstechnik der RWTH Aachen oder die ehemaligen Laboratorien von Gustav Robert Kirchhoff und Robert Wilhelm Bunsen in Heidelberg die Auszeichnung als „EPS Historic Site“.

Nun trägt mit Jena erstmals eine ganze Stadt dieses Prädikat. „Jena verfügt seit der Neuzeit über eine außerordentlich große Dichte an historischen Gebäuden, die für die Physik und Astronomie von unschätzbarerer Bedeutung sind,“ sagte Lutz Schröter, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG): „Daher haben wir uns bei der Europäischen Physikalischen Gesellschaft für die Auszeichnung der gesamten Stadt als historische Stätte eingesetzt“. Am 7. Juni konnte EPS-Präsident Luc Bergé die Plakette zusammen mit den Vertretern von Universität, Stadt, Land und DPG enthüllen.

„Die Auszeichnung für Jena würdigt die ganz besondere lokale Innovationskultur“, sagt Christian Forstner, der den Fachverband Geschichte der Physik in der DPG leitet. „Diese hat ausgehend vom Kaiserreich alle Systeme überdauert und ist bis heute maßgeblich für die Erfolge des Wissenschaftsstandortes.“ Forstner, der gegenwärtig als Heisenberg-Fellow an der Universität Jena lehrt, hat die Bewerbung der Stadt angestoßen. Um Besuchern Jenas die Geschichte der Physik am Ort nahezubringen, erscheint zur Verleihung ein „Reiseführer Physik“, der eine Auswahl der historischen Stätten versammelt. Neben einer zentralen Gedenktafel werden die maßgeblichen Gebäude mit einem QR-Code versehen, die Besucherinnen und Besucher direkt zu einer eigens eingerichteten Website führen, die über die physikgeschichtlichen Hintergründe des Ortes informiert.

Forstner verdeutlichte in seinem Festvortrag, worin die besondere Innovationskultur Jenas besteht. Diese ist natürlich im Bereich der Optik durch die Namen Zeiss, Schott und Abbe geprägt, weist aber auch darüber hinaus. So ergaben sich in der DDR-Zeit über das Institut für magnetische Werkstoffe intensive Kooperationen mit der Keramik- wie frühen Computerindustrie, die über die Entwicklung und Herstellung von Ferritkernspeichern zum ersten Großcomputer der DDR führte, den „Zeiss Rechenautomat 1“. Eine besondere Verbindung hat die Physik in Jena mit der Architekturgeschichte, die sich in heute noch existierenden Gebäuden zeigt, die von Architekten der Bauhaus-Schule entworfen wurden. Dazu gehört das Abbeanum und das Haus Auerbach, das der Physiker und Kunstmäzen Felix Auerbach bewohnte.

Mit der Person Auerbach, der sich zusammen mit seiner Frau im Februar 1933 durch Selbstmord den Nationalsozialisten entzog, verbinden sich auch die dunklen Aspekte der Jenaer Wissenschaftsgeschichte, denn die Universität wurde in der Zeit des Dritten Reiches zu einer Vorzeigeinstitution. Der Präsident der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Walter Rosenthal, betonte daher die große Bedeutung der Aufarbeitung der Universitätsgeschichte im Dritten Reich und in der Zeit der DDR, aber auch die enge und erfolgreiche Kopplung von Wissenschaft, technischer Innovation und industrieller Produktion in Jena: „Jena war weltweit einer der ersten Standorte, an dem aus dieser Verbindung ganze Innovationssysteme entstanden. Ihnen verdanken wir etwa Mikroskope, Teleskope, Foto- und Filmobjektive, Messtechnik und ophtalmologische Geräte.“ Die besonders hohe Dichte von Forschungseinrichtungen zeichne den Ort aus, zudem die enge Verknüpfung von Wissenschaft, wissenschaftlichem Instrumentenbau und industrieller Fertigung.

Einen kompakten Einstieg in die Physikgeschichte Jenas bietet Christian Forstners Beitrag im Rahmen der Rubrik „Streifzug“ im Physik Journal. Ein erster Rundgang führt zu besonders wichtigen Orten im „Kommunikationsraum Stadt“, so der Titel des gerade erschienen „Physik-Stadtführers“, der weitere Orte erschließt und die Hintergründe vertieft.

Damit gelangt man dann beispielsweise zum Collegium Jenense, dem Gründungsort der Universität, zur Sternwarte in der Schillergasse oder zum Hellfeldschen Haus in der Neugasse, in dem Ernst Abbe seine Mikroskoptheorie begründete. Die Vielzahl der Stationen zeigt eindrucksvoll, dass die EPS-Plakette, die am Eingang des Hauptgebäudes der Physik angebracht wird, für ganz Jena gilt.

Universität Jena / DPG / Alexander Pawlak

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