26.03.2021

Gefrorene Blitze im Staub der Sterne

Die DEFA feiert 75-jähriges Gründungsjubiläum. Dazu gibt es unter anderem ab 26. März einen Spielfilm über Peenemünde zu sehen.

Im April 1990 fand sich in den Physikalischen Blättern eine Suchmeldung des DEFA-Studios für Dokumentarfilme in Berlin/DDR. Das Studio suchte nach Fotos des Physikers Alexander Weissberg für einen Dokumentarfilm über das Schicksal von Weissberg und Friedrich Georg Houtermans. Die beiden deutschen Physiker waren in den 1930er-Jahren in die Sowjetunion gegangen, wo sie in der Zeit der großen Säuberung verhaftet und nach Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes an Hitlerdeutschland ausgeliefert wurden. Kurz zuvor hatte die DEFA auch einen Dokumentarfilm über den deutschen Atomphysiker und Spion Klaus Fuchs produziert.

Das volkseigene Filmunternehmen der DDR wurde im Mai 1946 in der damals sowjetisch besetzten Zone gegründet. Das filmische Erbe der DEFA, das rund 700 Spielfilme, 750 Animationsfilme sowie 2250 Dokumentar- und Kurzfilme umfasst, wird seit 1998 durch die von der Bundesregierung errichtete DEFA-Stiftung bewahrt und gepflegt.

Physik- und Wissenschaftsgeschichte gehörte sicher nicht zu den zentralen Themen von DEFA-Produktionen, aber im Rahmen des 75. Gründungsjubiläums gibt es am 26. März um 0 Uhr (Nacht von Freitag auf Samstag) eine der aufwändigsten und teuersten DEFA-Produktionen zu sehen: den zweiteiligen Spielfilm „Die gefrorenen Blitze“ von János Veiczi aus dem Jahr 1967 über die Raketenversuchsanstalt Peenemünde. Die „gefrorenen Blitze“ beziehen sich auf die Ausstoßwolken, die nach dem Abschuss von V2-Raketen am Himmel zu sehen waren und die durch die Luftbewegungen gezackte Formen erhielten.

In Peenemünde arbeiteten während des Zweiten Weltkriegs auch zahlreiche Physiker, darunter Pascual Jordan, der 1942 dorthin abkommandiert worden war, oder der Kernphysiker Ernst Stuhlinger, der enger Mitarbeiter von Wernher von Braun wurde und mit diesem nach Kriegsende im Rahmen des „Unternehmens Paperclip“ in die USA ging, um wie von Braun eine leitende Position bei der NASA einzunehmen.

Der zweieinhalbstündige Film beginnt im ersten Teil „Target Peenemünde“ mit der Enthüllung des im Jahr 1939 anonym an den britischen Geheimdienst gesandten „Oslo-Report“ über geheime Rüstungsprojekte des Deutschen Reiches. Die Briten schenken dem Bericht, der auch Informationen über die deutsche Entwicklung von Fernraketen enthält, zunächst keinen Glauben. Über Widerstandsgruppen und einen polnischen Spion, der in Peenemünde eingeschleust wird, verdichten sich jedoch die Hinweise auf das V2-Projekt und die Briten entschließen sich zu einem Luftangriff auf Peenemünde, der verheerende Schäden anrichtet.

Der zweite Teil des Films („Password Paperclip“) zeigt, wie sich der in Peenemünde tätige Raketeningenieur „Dr. Grunwald“ (eine fiktive Gestalt mit realen Vorbildern) wegen wachsender Gewissensbisse gegen den „Raketenbaron“, den nicht namentlich genannten Wernher von Braun, wendet und sich auf die Seite des Widerstands begibt.

Die Produktion wird von Peenemünde in eine seit langem vorbereitete unterirdische Anlage im Harz verlegt, wo KZ-Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen. Mit organisierter Sabotage versuchen die Antifaschisten, die Raketen untauglich zu machen. Während sie sich auch von brutalsten Vergeltungsschlägen der SS nicht einschüchtern lassen, bereitet sich der „Raketenbaron“ darauf vor, sich den anrückenden Amerikanern als Experte anzudienen, was im Rahmen des Unternehmens „Paperclip“ auch gelingt.

Der mit 5,1 Millionen DDR-Mark außergewöhnlich teure Geschichtsfilm beruht auf dem Buch „Das Geheimnis von Huntsville“ von Julius Mader. Buch wie Film sollten den vermeintlich tadellosen Ruf des in den USA erfolgreichen Wernher von Braun zerschlagen und seine Verstrickung in die nationalsozialistischen Verbrechen offenlegen, insbesondere sein Wissen um die Zwangsarbeit bei der Herstellung der V2, die geschätzt 20.000 Menschenleben forderte.

„Die gefrorenen Blitze“ ist als Mischung von Spionage-, Partisanen- und Geschichtsfilm auch heute noch sehenswert, selbst wenn viele Darstellungen heutigem Wissen nicht mehr standhalten oder allzu kolportagehaft inszeniert sind. Der Film stellt aber einen interessanten frühen Beitrag zur Aufarbeitung des deutschen Raketenprojekts und speziell der Rolle Wernher von Brauns dar. Über diesen war bereits 1960 die (west-)deutsch-amerikanische Koproduktion „Wernher von Braun: Ich greife nach den Sternen“ (Regie: J. Lee Thompson) mit Curd Jürgens in der Hauptrolle gedreht worden. Diese Arbeit blendet viele Aspekte wie die unterirdische Raketenfabrik „Mittelbau Dorau“ aus, die in dem DEFA-Film „Die gefrorenen Blitze“ wohl erstmals ausführlich filmisch thematisiert wurde.

Wissenschaft und Phantastik

Kurze Lehr- und Dokumentarfilme, wie ein Porträt des renommierten theoretischen Physikers Hans-Jürgen Treder, gehörten durchaus, wenn auch im geringem Umfang zum Portfolio der DEFA, ebenso wie Science-Fiction-Filme. Diese wurden in der DDR eher als „wissenschaftlich-phantastische“ bzw. „utopische“ Filme bezeichnet.

Den Anfang machte 1960 „Der schweigende Stern“ (Regie: Kurt Maetzig) über eine internationale Expedition zur Venus nach einem frühen Roman des polnischen Autors Stanislaw Lem. Der Film bietet für die Zeit erstaunliche Schauwerte, moderne elektronische Musik und verbrauchte angeblich die gesamte Leimproduktion der DDR für Trickaufnahmen der sich auflösenden Venus-Oberfläche. Auch wenn Dramaturgie und Schauspieler*innen etwas hölzern wirken, erst recht aus heutiger Perspektive, und der sozialistisch-internationalistische Pathos allzu forciert wird, ist der Film immer noch ein interessantes Zeitzeugnis und ein Meilenstein des deutsch-deutschen Science-Fiction-Films.

Hier hatte die DDR durchaus die Nase vorn. In Westdeutschland fand das Genre erst mit der Fernsehserie „Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“ (1966) einen Platz. Ernstzunehmende Spielfilmproduktionen gab es dagegen erst ab Ende der 1970er-Jahre mit Filmen wie „Operation Ganymed“ (1978, Regie: Rainer Erler) oder „Das Arche-Noah-Prinzip“ (1984, Regie: Roland Emmerich).

Die DEFA wagte in den 1970er-Jahren drei weitere Weltraumabenteuer, auch als Reaktion auf anspruchsvolle und international erfolgreiche Beispiele des Genres wie Stanley Kubricks „2001 – A Space Odyssey“ (1968) oder Andrei Tarkowskis „Solaris“ (1972). Die Filme „Eolomea“ (1972, Regie: Herrmann Zschoche) und „Im Staub der Sterne“ (1976, Regie: Gottfried Kolditz) sind derzeit online in der MDR-Mediathek frei anschaubar. Letzterer war die einzige Spielfilmproduktion der Arbeitsgruppe „DEFA Futurum“, die sich von 1971 bis 1981 filmisch mit Zukunftsthemen auseinandersetzte. Beispiele für Kurzfilme und dokumentarische Features sind ebenfalls online zu finden.

Das Genre-Kino ist auch Thema einer Fachtagung, welche die DEFA-Stiftung zum 75. DEFA-Jubiläum am 19. und 20. Mai im Berliner Zeughauskino ausrichtet. Aufgrund der wegen der Corona-Pandemie vermutlich eher geringen Zahl der Teilnehmer*innen vor Ort wird die Veranstaltung über den YouTube-Kanal der DEFA-Stiftung live übertragen.

Alexander Pawlak

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