01.03.2016

Aus der Kernphysik in den Knast und zurück

Vor 50 Jahren starb der vielseitige Physiker Fritz Houtermans, dessen Leben in besonders wechselvollen Bahnen verlief.

Als der Physiker Fritz Houtermans im September 1940 einen halbseitigen Aufsatz bei der Zeitschrift „Naturwissenschaften“ veröffentlichte, war dies mehr als nur eine Publikation. Für seine Freunde im Ausland bedeutete es ein lang erwartetes Lebenszeichen. Die angegebene Privatadresse in Berlin zeigte, dass der Verfasser wieder auf freiem Fuß war. Houtermans hatte nämlich drei Jahre als angeblicher deutscher Spion in sowjetischen Gefängnissen verbracht, war dann nach Deutschland abgeschoben und von der Gestapo gleich wieder inhaftiert worden. Nach vier bangen Monaten hatte Max von Laue seine Freilassung erwirkt. Houtermans war zu dieser Zeit 37 Jahre alt, seine Frau und seine beiden Kinder waren in den USA und er war um eine politische Illusion ärmer.

Seine Sympathie für die kommunistische Idee hatte ihm bereits mit 17 Jahren einen Schulverweis an seinem Wiener Gymnasium eingebracht, sodass er die beiden letzten Schuljahre in einem Internat in Thüringen verbringen musste. 1925 trat er während seines Studiums in Göttingen in die KPD ein. 1930 reiste er anlässlich des Ersten Allunions-Physikerkongresses zusammen mit anderen deutschen Physikern erstmals in die Sowjetunion. Unter den 800 Teilnehmern waren Arnold Sommerfeld, Rudolf Peierls und Wolfgang Pauli. Letzterer war auch Trauzeuge von Fritz Houtermans, als dieser während einer Exkursion an die Schwarzmeerküste die Physikochemikerin Charlotte Riefenstahl heiratete, die er bereits als Student verehrt hatte.

In Berlin, wo Houtermans bei Gustav Hertz an der Technischen Hochschule Charlottenburg arbeitete, führte das Paar ein gastfreundliches Haus, erleichtert durch die Zuwendungen des Vaters von Houtermans, eines holländischen Bankiers. Unter den Gästen, die sich zur „kleinen Nachtphysik“ trafen, waren Wolfgang Pauli, George Gamow, Lev Landau, Leo Szilard, Eugen Wigner, aber auch der Schriftsteller Manès Sperber. „Fritz zog Menschen magisch an. Er sprühte vor Ideen. Er hatte einen unerschöpflichen Vorrat an Geschichten und scharfsinnigen Aussprüchen und eine Menge verschiedenster Interessen – Physik, Musik, Ökonomie, Politik“, schilderte ihn seine Frau. Und der holländische Physiker Hendrik Casimir sagte: „Er war eine schillernde Persönlichkeit – so schillernd, dass man zuweilen vergaß, dass er auch ein ausgezeichneter Physiker war.“

Fritz Houtermans 1927 im Labor in Göttingen

Houtermans studierte zur Blütezeit der Göttinger Schule bei Koryphäen wie David Hilbert, James Franck und Max Born. 1927 promovierte er bei Franck über die Bandenfluoreszenz des Quecksilberdampfes. Als junger Assistent in Göttingen hat er mit George Gamow an dessen Theorie zum Alphazerfall gearbeitet. 1932, als Oberassistent an der TH Berlin Charlottenburg, machte er sich mit dem englischen Astronom Robert d’Escourt Atkinson Gedanken über die Entstehung der Elemente in den Sternen. Zu einer Zeit, als das Neutron noch nicht bekannt war, schlugen die beiden den Protoneneinfang als erste Erklärung für die Energieerzeugung in Sternen vor. Gemeinsam mit Gamow prägten sie den Begriff der thermonuklearen Reaktion. In Berlin meldete Houtermans zusammen mit Max Knoll auch die Idee einer Linse für ein Elektronenmikroskop zum Patent an.

Als die Situation für den bekennenden Kommunisten in Deutschland 1933 zu gefährlich wurde, emigrierte Houtermans mit Frau und Tochter nach England, wo er am Television Laboratory der EMI (Electrical Musical Instruments) eine gut bezahlte Stelle in der Forschung erhielt. Doch das abgeschiedene Leben im ländlichen Hayes, Middlesex, langweilte ihn. Daran konnte auch sein Engagement im Academic Assistance Council, das verfolgten Wissenschaftlern zu einer neuen Stelle im Ausland verhalf, auf Dauer nichts ändern.

Das machte Houtermans empfänglich für die Werbung eines ukrainischen Gastwissenschaftlers, der vom Physikalisch-Technischen Institut in Charkow kam. So siedelte die Familie 1935 trotz der Warnung ihrer Freunde in die Ukraine über. Zu Anfang gefiel ihm das Umfeld mit exzellenten Physikern, doch 1937 wurden immer mehr ausländische Wissenschaftler am Institut aufgrund der Stalinschen Säuberungsaktionen inhaftiert. Houtermans bat um die Erlaubnis zur Ausreise, wurde aber mit Zollformalitäten hingehalten und im Dezember 1937 vom Geheimdienst NKWD festgenommen. Seine Frau reiste über Riga und Kopenhagen in die USA aus. Sie versuchte, ihrem Mann zu helfen, indem sie Niels Bohr von dessen Schicksal berichtete. Europäische Physiker wie der ebenfalls kommunistisch eingestellte Frederic Joliot-Curie setzten sich für ihn ein. Sie konnten seine Freilassung nicht erwirken, verhinderten aber möglicherweise seine Hinrichtung.

Als Houtermans nach sieben Jahren im Exil wieder in Berlin war, vermittelte ihm Max von Laue bald eine Stelle im Labor Manfred von Ardennes. Dieser betrieb im Auftrag des ehrgeizigen Reichspostministers und in Konkurrenz zum „Uranverein“ Kernforschung. Aufgrund seiner bisherigen Arbeiten war Houtermans für diese Aufgabe bestens qualifiziert. So hatte er eine Methode zur Isotopentrennung in Diffusionskaskaden entwickelt: Einfallsreich leitete er die Anreicherung des Isotops aus dem Spektrum ab. Mit seiner Arbeit „Über die Isotopie-Hyperfeinstruktur am Neon“ hatte er sich am Institut von Gustav Hertz habilitiert. In Charkow hatte Houtermans an Themen gearbeitet, die später für den Bau von Kernreaktoren bedeutsam werden sollten: die Absorption von Neutronen in wasserhaltigen Moderatoren.

Nach drei Jahren Haft war Houtermans Schaffenskraft ungebrochen. Im August 1942 verfasste er eine Arbeit „Zur Frage der Auslösung von Kernkettenreaktionen“. Darin sagte er voraus, dass das hypothetische Transuran 94, später Plutonium genannt, besser durch die Auslösung einer Kettenreaktion spaltbar sein sollte als natürliches Uran. Es könne in einem Reaktor durch den Beschuss von Uran mit Neutronen erbrütet werden. Die als „streng vertraulich“ eingestufte Arbeit wurde den Mitgliedern des Uranvereins zugänglich gemacht, von diesen aber gegenüber der militärischen Führung verschwiegen.

Nach dem Krieg kehrte Houtermans an seinen Studienort Göttingen zurück. Er blieb der Kernphysik treu, erweiterte seine Forschung aber auf die kosmische Höhenstrahlung, die Geochemie und die Meteoritenforschung.1950 erhielt er in Göttingen eine außerplanmäßige Professur. 1952, im Alter von 49 Jahren, erhielt Houtermans schließlich eine ordentliche Professur in Bern. Dort baute er mit seinen Schülern ein Institut auf, in dem er noch einmal eine Phase fruchtbarer Forschung erlebte. Er starb am 1. März 1966 im Alter von 63 Jahren an Lungenkrebs.

Anne Hardy

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