11.03.2021

Fukushima – mehr als eine nukleare Katastrophe

Vor zehn Jahren verwüsteten ein Erdbeben und ein Tsunami die japanische Region Tōhoku. In Deutschland führte die folgende Reaktorkatastrophe zum Ausstieg aus der Kernenergie.

Am 11. März 2011 um 14:46 Uhr Ortszeit erschütterte ein Seebeben vor der Sanriku-Küste die japanische Region Tōhoku. Das Beben mit einer Magnitude von 9,0 MW gehörte zu den weltweit stärksten Erschütterungen, die jemals registriert wurden. Es löste mehr als 30 Meter hohe Tsunamiwellen aus, die etwa 550 Quadratkilometer der japanischen Pazifikküste überfluteten. Ein Tsunami traf auch die Reaktorblöcke des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi. Die anschließende Unfallserie mündete in einer nuklearen Katastrophe, die in Europa zu einem Umdenken bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie führte.

Satellitenaufnahme eines japanischen Küstenabschnitts am 5. September 2010 und...
Satellitenaufnahme eines japanischen Küstenabschnitts am 5. September 2010 und am 12. März 2011: Die Schäden durch den Tsunami nach dem Tōhoku-Erdbeben sind deutlich zu erkennen. (Bild: DLR, CC-BY 3.0)

Auch ohne die nukleare Katastrophe waren die Auswirkungen des Erdbebens und der Tsunami-Flutwellen für die Region Tōhoku verheerend: Von den 600.000 betroffenen Personen kamen fast 20.000 ums Leben, mehr als 2500 gelten seither als vermisst. Der vollständige oder teilweise Einsturz von etwa 400.000 Gebäuden und die Evakuierung von rund 470.000 Menschen trafen den landwirtschaftlich geprägten Norden der größten japanischen Insel Honshū besonders, da die Region schon zuvor unter einer schrumpfenden Wirtschaft und zunehmender Überalterung litt. Bis heute konnten 37.000 Menschen nicht in ihre Heimatstädte zurückkehren. Die japanische Regierung hat die Kosten mit umgerechnet mehr als 130 Milliarden Euro beziffert.

Nicht eingerechnet ist dabei der Schaden durch die nukleare Katastrophe. Schon mit dem Seebeben brach die externe Stromversorgung des Kraftwerks zusammen. Als etwa 50 Minuten darauf eine 15 Meter hohe Flutwelle die Anlage erreichte, fielen in den Reaktorblöcken die Notstrom-Dieselgeneratoren und teilweise die batteriegepufferte Gleichstromversorgung aus. Von da an war eine Überwachung oder gar Regelung der Reaktoren nur noch stark eingeschränkt möglich. Trotz größter Anstrengungen kam es in den folgenden Tagen zu Kernschmelzen und Wasserstoffexplosionen in den Blöcken 1 bis 3. Dabei wurden so große Mengen Radioaktivität freigesetzt, dass der Unfall auf der internationalen Bewertungsskala INES auf Stufe 7 eingeordnet wurde – wie zuvor nur der katastrophale Unfall in Tschernobyl 1986.

Die Reaktorblöcke 1 bis 4 (von rechts nach links) des Kernkraftwerks Fukushima...
Die Reaktorblöcke 1 bis 4 (von rechts nach links) des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi am 16. März 2011 nach mehreren Explosionen und Bränden (Bild: Digital Globe, CC BY-SA 3.0)

Die Aufräumarbeiten folgen einem dreiphasigen Plan und sollen bis in die 2050er-Jahre andauern. In den ersten beiden Jahren nach dem Unfall ist es gelungen, eine weitere Freisetzung radioaktiver Stoffe einzuschränken. Für dieses Jahr ist es angestrebt, die Lagerbecken für die Brennelemente vollständig zu leeren. Danach sollen erste Versuche starten, das Material der Kernschmelze zu bergen. Außerdem gilt es, die provisorischen Lagerstätten mit radioaktiv verseuchtem Wasser und Erdreich zu räumen.

Während in Tschernobyl ein außerhalb der Sowjetunion wenig genutzter Reaktortyp havarierte, handelte es sich in Fukushima Daiichi um Leichtwasserreaktoren, die weltweit sehr verbreitet sind. Entsprechend bewerteten die Staaten der Europäischen Union ihre Anlagen im Hinblick auf Sicherheit und Robustheit nach der Katastrophe neu. Die deutsche Bundesregierung verabschiedete bereits zwei Tage nach dem Unfall ein Moratorium, dass unter anderem die im Dezember 2010 festgelegte Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke aussetzte. Letztlich sorgte die Katastrophe von Fukushima dafür, dass der ursprünglich schon 2002 beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie nun doch konsequent umgesetzt wird: Die letzten Reaktoren gehen Ende 2022 vom Netz.

Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung hat in einem...
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung hat in einem Fachbericht die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Folgen der Reaktorkatastrophe von Fukushima zusammengestellt. (Bild: BASE)

Auch die Forschungsreaktoren in Mainz, München und Berlin mussten sich ab Sommer 2011 einer Überprüfung unterziehen. Aufgrund der geringen thermischen Leistung arbeiten deren Kühlsysteme bei niedrigem Druck und Temperatur; die Gefahr einer Kernschmelze ist deutlich reduziert. Auch nach einer zweiten Überprüfung erhielten die drei Anlagen im März 2017 eine Betriebsgenehmigung. Dass der Forschungsreaktor BER II am 11. Dezember 2019 den Betrieb einstellte, begründete das Helmholtz-Zentrum Berlin denn auch mit den hohen Kosten der damals knapp 50-jährigen Anlage.

Doch auch wenn 2022 in Deutschland die letzten Kernkraftwerke vom Netz gehen, bleibt die Frage, wohin mit den radioaktiven Abfällen. Derzeit gibt es lediglich Zwischenlager für hochradioaktives Material, Endlager existieren nur für schwach- bis mittelradioaktive Abfälle. Die Suche nach einem geeigneten Standort erfolgt in mehreren Phasen und soll die Öffentlichkeit von Beginn an miteinbeziehen. Nach Abschluss der ersten Phase ist die ursprünglich „weiße Landkarte“ seit September 2020 eingefärbt. Auch ohne die fatalen Auswirkungen einer Kernschmelze wie in Fukushima sorgt die friedliche Nutzung der Kernenergie dafür, dass die nachfolgenden Generationen mit der erzeugten Radioaktivität umgehen müssen.

Kerstin Sonnabend

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