20.08.2020

Feuchtigkeit schützt

Niedrige Luftfeuchtigkeit begünstigt Ausbreitung von Coronaviren.

Die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 über Aerosole in Innenräumen wird offenbar stark von der Luftfeuchtigkeit beeinflusst. Das schließen Forscher des Leibniz-Instituts für Troposphären­forschung (Tropos) in Leipzig und des CSIR-National Physical Laboratory in New Delhi aus der Analyse von zehn internationalen Studien zum Thema. Sie empfehlen daher neben den bisher üblichen Maßnahmen wie Abstand und Masken auch, die Raumluft zu kontrollieren. Eine relative Feuchte von vierzig bis sechzig Prozent könne die Ausbreitung der Viren und die Aufnahme über die Nasen­schleimhaut reduzieren. 
 

Abb.: Forscher aus Indien und Deutschland empfehlen, neben den bisher üblichen...
Abb.: Forscher aus Indien und Deutschland empfehlen, neben den bisher üblichen Maßnahmen wie Abstand und Masken auch die Raum­luft zu kontrollieren, damit die Luft­feuchtigkeit nicht unter vierzig Prozent sinkt. (Bild: T. Arnhold, Tropos)

Daher sei es für die Eindämmung der COVID-19-Pandemie sehr wichtig, Standards für die Luftfeuchte in Innenräumen mit vielen Menschen wie Kranken­häusern, Groß­raumbüros oder dem öffentlichen Nahverkehr zu schaffen und umzusetzen. 

Nach Angaben der WHO hat das Coronavirus SARS-CoV-2 in über einem halben Jahr global zu mindestens 21 Millionen Infizierten und über 750.000 Toten geführt. Die gesund­heitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie stellen praktisch alle Länder vor große gesellschaftliche Herausforderungen. Weltweit wird daher nach Wegen gesucht, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, um drastische Maßnahmen wie Ausgangs­beschränkungen und Kontaktsperren zu vermeiden. Als Haupt­übertragungs­weg für das Virus galt lange der direkte Kontakt von Mensch zu Mensch, wenn Infizierte durch Niesen oder Husten Sekret mit Viren abgeben und dieses von anderen Personen über die Nasen­schleimhäute aufgenommen wird. Da diese Tropfen relativ groß und schwer sind, fallen sie relativ schnell zu Boden und können nur sehr kurze Strecken in der Luft zurücklegen. 

Die Empfehlung einen Mindestabstand von 1,5 bis 2 Meter einzuhalten (Social Distancing) basiert auf dieser Annahme. In letzter Zeit wurden jedoch auch COVID-19-Ausbrüche registriert, die offenbar auf die gleichzeitige Anwesenheit vieler Personen in einem Raum zurückzugehen scheinen (Chorproben, Schlacht­betriebe und andere). Ein Sicherheits­abstand von 1,5 Metern reicht offenbar nicht aus, wenn sich Infizierte und Gesunde über längere Zeit gemeinsam in einem Raum aufhalten. So konnten niederländische Forschende beispielsweise inzwischen nachweisen, dass winzige Tropfen von fünf Mikrometer Durchmesser, wie sie beim Sprechen entstehen, bis zu neun Minuten in der Luft schweben können. Im Juli haben sich daher 239 Wissenschaftler aus 32 Ländern – darunter auch Hartmut Herrmann von Tropos – mit einem Appell an die Weltgesundheits­organisation WHO gewendet, die langlebigen, in der Luft schwebenden infektiösen Teilchen stärker in den Fokus zu nehmen. Um die Ausbreitung über die in der Luft schwebenden Aerosole einzudämmen, empfehlen die Forscher neben dem weiteren Tragen von Masken vor allem eine gute Belüftung von Innenräumen.

Ein indisch-deutsches Forscherteam weist jetzt auf einen weiteren Aspekt hin, der bisher wenig beachtet wurde und in der nächsten Grippesaison besonders wichtig werden könnte: die Luftfeuchtigkeit in Innenräumen. Die Physiker des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung in Leipzig und des CSIR-National Physical Laboratory in New Delhi untersuchen seit Jahren die physikalischen Eigenschaften von Aerosol-Partikeln, um die Auswirkungen auf die Luftqualität oder die Wolkenbildung besser abschätzen zu können. „In der Aerosol­forschung ist bereits lange bekannt, dass die Luft­feuchtigkeit eine große Rolle spielt: Je feuchter die Luft ist, umso mehr Wasser haftet an den Partikeln und umso schneller können sie wachsen. Wir waren daher neugierig: was gibt es bereits an Studien dazu?“, erklärt Dr. Ajit Ahlawat vom Tropos. 

Daher werteten sie insgesamt zehn internationalen Studien aus, die zwischen 2007 und 2020 den Einfluss der Luftfeuchtigkeit auf das Überleben, die Ausbreitung und Infektion mit den Erregern der Grippe und der Coronaviren SARS-CoV-1, MERS und SARS-CoV-2 untersucht haben. Ergebnis: Die Luftfeuchtigkeit beeinflusst die Ausbreitung der Coronaviren in Innenräumen über drei Wege: (a) das Verhalten der Mikroorganismen innerhalb der Virus­tröpfchen, (b) das Überleben oder Inaktivierung des Virus auf Oberflächen und (c) die Rolle der trockenen Innen­raumluft bei der Übertragung von Viren über die Luft. Niedrige Luft­feuchtigkeit lässt die Tröpfchen mit Viren zwar schneller austrocknen, aber die Überlebensfähigkeit der Viren scheint trotzdem noch hoch zu bleiben. Das Team schlussfolgert, dass andere Prozesse für die Infektion wichtiger sind: „Liegt die relative Luftfeuchtigkeit der Raumluft unter vierzig Prozent, dann nehmen die von Infizierten ausgestoßenen Partikel weniger Wasser auf, bleiben leichter, fliegen weiter durch den Raum und werden eher von Gesunden eingeatmet. Außerdem werden bei trockener Luft auch die Nasen­schleimhäute in unseren Nasen trockner und durchlässiger für Viren“, fasst Ajit Ahlawat zusammen.

Die neuen Erkenntnisse sind besonders für die kommende Wintersaison von Bedeutung, wenn sich auf der Nordhalbkugel Millionen Menschen in beheizten Räumen aufhalten werden. „Das Erwärmen der Frischluft sorgt auch dafür, dass diese trocknet. In kalten und gemäßigten Klimazonen herrscht daher in Innenräumen während der Heizsaison meist ein sehr trockenes Raumklima. Dies könnte die Ausbreitung der Coronaviren fördern“, warnt Alfred Wieden­sohler vom Tropos. Die Luftfeuchte entscheidet, wieviel Wasser ein Partikel binden kann. Bei höherer Luftfeuchte verändert sich die Oberfläche der Partikel stark: Es bildet sich eine Art Wasserblase – also ein Mini-Ökosystem mit chemischen Reaktionen. Der Flüssig­wassergehalt von Aerosolen spielt bei vielen Prozessen in der Atmosphäre eine wichtige Rolle, da sie die optischen Eigenschaften beeinflussen, was etwa zu Dunst oder veränderten Auswirkungen von Aerosolen auf das Klima führt.

Bei höherer Luft­feuchtigkeit wachsen die Tröpfchen also schneller, fallen früher zu Boden und können weniger von Gesunden eingeatmet werden. „Eine Luftfeuchtigkeit von mindestens vierzig Prozent in öffentlichen Gebäuden und im Nahverkehr würde daher nicht nur die Auswirkungen von COVID-19 reduzieren, sondern auch die von anderen Virus­erkrankungen wie beispielsweise der saisonalen Grippe. Die Behörden sollten den Faktor Luft­feuchtigkeit in künftigen Richtlinien für Innenräume einarbeiten“, fordert Sumit Kumar Mishra vom CSIR-National Physical Laboratory in New Delhi. Für Länder in kühlen Klimazonen empfehlen die Forscher eine Mindest-Luftfeuchtigkeit in Innenräumen. Länder in tropischen und heißen Klimazonen sollten dagegen darauf achten, dass Innenräume nicht durch Klima­anlagen extrem unterkühlt werden. Wenn die Luft extrem abgekühlt wird, trocknet sie die Feuchtigkeit aus der Luft und den Partikeln. Dadurch fühlen sich die Menschen im Raum wohl, aber die trockenen Partikel bleiben jedoch auch länger in der Luft.

Aus Sicht der Forscher sollte der Innenraumluft mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, um künftige Krankheits­ausbrüche zu vermeiden. Der Feuchte­gehalt der Raumluft ist ein wichtiger Aspekt aber nicht der Einzige. Daneben kann frische Außenluft das Übertragungsrisiko senken. Und natürlich die bereits bekannten und praktizierten Maßnahmen: Abstand halten, möglichst wenig Personen pro Raumvolumen und Masken tragen. Das geringste Infektions­risiko herrscht nach wie vor dort, wo keine Viren in der Luft sind. 

Tropos / DE
 

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