17.01.2024

Energieintensive Industriezweige auf regenerativen Strom umstellen

Projekt Citadel untersucht Möglichkeiten für diesen technischen Transformationsprozess.

Unter Leitung des Instituts für Fluiddynamik am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf sucht ein internationales Team nach Möglichkeiten, energieintensive Industriezweige auf regenerativen Strom umzustellen. Insgesamt 14 Forschungseinrichtungen und Unternehmen aus sieben europäischen Ländern fokussieren sich dabei auf die Produktion von feuerfesten Materialien, Glas, Stahl, Kupfer sowie auf das Betonrecycling. Das von der Europäischen Union mit 13,5 Millionen Euro geförderte Projekt ist auf vier Jahre angelegt und soll in den Bau von fünf Demonstrationsanlagen münden.

Abb.: Stahlgießen ist einer der energieintensiven Industrieprozesse, für die...
Abb.: Stahlgießen ist einer der energieintensiven Industrieprozesse, für die das Projekt Citadel Einsparpotentiale ergründen will.
Quelle: HZDR / AVANGA

Etwa ein Fünftel aller Treibhausgasemissionen in Deutschland entsteht in der Industrie. Insbesondere Hochtemperaturprozesse wie die Herstellung von Stahl oder Glas werden heute üblicherweise durch fossile Energieträger befeuert. „Um die Klimaziele zu erreichen und der Erderwärmung zu begegnen, müssen wir einen enormen technischen Transformationsprozess in diesem Industriesektor anstoßen“, sagt Sven Eckert, Leiter der Abteilung Magnetohydrodynamik am Institut für Fluiddynamik des HZDR und Koordinator des Projekts „Substitution of fossil combustion in industrial high-temperature processes by advanced electrical and plasma heating technologies“, kurz Citadel.

„Am Ende dieses Prozesses muss eine Industrie stehen, die im Wesentlichen auf treibhausgasneutralen Energieträgern basiert“, so Eckert weiter. Eine Möglichkeit dabei ist die Umstellung der Heizprozesse von Erdöl, Gas oder Kohle auf elektrisch betriebene Mikrowellen-, Plasma-, Induktions- oder Widerstandsheizungen, die mit CO2-arm erzeugtem Strom gespeist werden. Wie das in Industrieprozessen konkret umgesetzt werden kann, soll Citadel ergründen.

„Es geht um sehr viel mehr, als einfach nur eine Heizung auszutauschen“, sagt Eckert. „Die Heiztechnik ist integraler Bestandteil ausgeklügelter Technologien, die oft über Jahrzehnte hinweg optimiert wurden. Jede Änderung ist deshalb kritisch hinsichtlich ihrer Auswirkung auf Produktqualität, Prozessstabilität und Kosten.“ In der Transformation liegt aber auch eine Chance. Etablierte und bewährte Technologien werden von den Unternehmen unter normalen Bedingungen nicht zur Disposition gestellt. Eckert hat vielfach die Erfahrung gemacht, dass in Unternehmen die Devise herrscht: „Never change a running system“. „Die Wissenschaft hat es meist schwer, grundlegend neue Ideen und Herangehensweisen im Pilot- oder Demonstrationsmaßstab oder gar an einer funktionierenden Anlage zu testen, die Bestandteil der Produktion ist“, so der Forscher.

Angesichts der anerkannten Klimaziele wächst aber die Bereitschaft, bisherige Technologien zu hinterfragen und neu aufzusetzen. Deswegen sollen im Projekt fossilbeheizte Prozesse unter die Lupe genommen und Potenziale für eine Neuentwicklung identifiziert und ausgeschöpft werden. Elektrische Heiztechnologien bieten dabei einige bemerkenswerte Vorteile. Beispielsweise sind sie rasch und flexibel steuerbar, Temperaturverteilungen und Energieeintrag sind sehr gut kontrollierbar. Außerdem ist eine Kopplung mit innovativen Methoden zur Prozessüberwachung vorgesehen.

„Meine Arbeitsgruppe Magnetohydrodynamik hat viel Erfahrung mit unterschiedlichen Formen elektrischen Heizens, aber auch mit Messtechniken in heißen Flüssigkeiten“, sagt Eckert. „So haben wir eine weltweit einzigartige Magnetfeldtomografie entwickelt. Mit deren Hilfe können aus Messungen des Magnetfeldes in unmittelbarer Umgebung eines elektrisch betriebenen Apparats in Echt-Zeit Informationen zur Stromverteilung im Inneren und dementsprechend zum Prozessverlauf und dem Zustand des Produkts gewonnen werden.“

Die größten Einsparpotenziale sind laut Eckert an fossilen Energieträgern und folglich bei den Treibhausgasemissionen bei den energieintensiven Industrieprozessen, die bei Temperaturen zwischen 600 und 1600 Grad Celsius ablaufen, zu erzielen. „Wir wollen einen möglichst großen Bereich abdecken“, sagt Eckert. „Deshalb werden wir uns auf Prozesse aus der Stahlerzeugung, der Herstellung von Kupferdrähten, der Glaserzeugung, der Produktion von feuerfesten Materialien und auf das Recycling von Beton konzentrieren.“

Für jeden dieser fünf Anwendungsfälle konnten europäische Unternehmen aus den jeweiligen Industriezweigen als Kooperationspartner gewonnen werden. Bei diesen Partnern wird im Laufe des Projekts je eine Demonstrationsanlage entstehen, an der Machbarkeit und Leistungsvermögen der elektrischen Heiztechnologien im realen industriellen Umfeld nachgewiesen werden sollen. Daneben vervollständigen drei weitere Industriepartner und fünf Forschungsinstitute und Universitäten das Projektkonsortium. Während die zusätzlichen Partner aus der Industrie als spezialisierte Ausrüster für Hochtemperaturprozesse fungieren, beschäftigen sich die akademischen Partner mit der Technologieentwicklung sowie der Überwachung und Steuerung der Prozesse.

Gleichzeitig schauen die Forscher aber auch darauf, wie die elektrifizierten Prozesse optimal in die zukünftigen Energieversorgungssysteme eingebunden werden können, denn die Elektrifizierung der energieintensiven Prozessindustrie hat nur dann den gewünschten Effekt, wenn ausreichend CO2-arm produzierter Strom zu jeder Zeit und zu vertretbaren Kosten zur Verfügung steht.     

HZDR / RK

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