23.12.2021

Eiskalte Quantengase ganz schwerelos

Jahresrückblick Atom- und Quantenphysik 2021.

Bei der Untersuchung fundamentaler Quanteneffekte auf atomarer Basis haben sich die faszinierenden Möglichkeiten ultrakalter Quantengase wieder einmal eindrucksvoll gezeigt. Wie die Analyse der 2017 durchgeführten Forschungs­raketen-Mission Maius-1 ergab, entstand damals ein Bose-Einstein-Kondensat im All, mit dem sich dank seiner Kohärenz Atominterferometrie durchführen ließ. Die Folgemissionen sollen 2022 und 2023 starten. Aber auch in der Schwerelosigkeit des Bremer Fallturms lassen sich Bose-Einstein-Kondensate erzeugen. Dort wurden mit Hilfe eines ausgeklügelten Materie­wellen­linsensystems Temperaturen von nur 38 Pikokelvin erreicht – ein eiskalter Rekord. Die genutzte Methodik eignet sich auch für längere Phasen in der Schwerelosigkeit und macht dadurch hochpräzise Tests möglich.

 

Was passiert aber, wenn ein Ion durch solch ein Kondensat fliegt? Forscher der Universität Stuttgart haben die Mobilität eines einzelnen Ions in einem Bose-Einstein-Kondensat gemessen und so ein interessantes Modellsystem geschaffen, um Transport­phänomene zu untersuchen. Manche Quantengase können zugleich eine kristalline Ordnung einnehmen und sich suprafluid verhalten. Ein solcher zugleich fester und flüssiger Supra­festkörper konnte nun aus stark magnetischen Atomen erzeugt werden, wobei die suprasoliden Zustände wie kleine Tröpfchen aneinander gereiht waren. Dies ließ sich aber auch zu einem suprasoliden zweidimensionalen Quantengas erweitern. Damit lässt sich etwa die Bildung von Wirbeln studieren.

Seit rund zehn Jahren lassen sich nicht nur aus Atomen, sondern auch aus Licht Bose-Einstein-Kondensate herstellen. Nun ist ein neuer, bislang unbekannter Phasenübergang in einem photonischen Kondensat gefunden worden, mit einer überdämpften Phase – ein Nichtgleich­gewichtseffekt, der auch für die Quanten­kommunikation von Bedeutung sein könnte. Eine neue Technik zur Untersuchung dreidimensionaler Quantengase hat ein anderes Forschungsteam entwickelt. Mit Hilfe einer speziellen Materiewellen-Optik, die wie ein Quantenvergrößerer wirkt, lassen sich die Atome mit diesem 3D-Mikroskop für Quantensysteme bis auf einzelne Gitterplätze auflösen. Und was bislang nur für Photonen einfach möglich war, ließ sich nun auch für Atome einrichten: Eine Quelle für verschränkte Atome liefert kontrolliert hergestellte, zuverlässig verschränkte Zwillingsatome.

Elektronen und Photonen auf den Zahn gefühlt

Aber auch die Erforschung der Elektronen hat einige erhellende Erkenntnisse ergeben. So ließ sich mit Hilfe ultrakurzer Laserpulse die Photonenabsorption freier Elektronen in supraflüssigem Helium analysieren. Ebenfalls mit ultrakurzen Laserpulsen gelang es, lichtinduzierte Exzitonen­dynamik zu analysieren. Dank der Attosekunden-Transienten-Reflexions­spektroskopie konnten die Forscher nachweisen, dass Exzitonen zugleich atomare und festkörperähnliche Eigenschaften aufweisen können. Dieser duale Charakter bietet neue Möglichkeiten zur Manipulation von Materialeigenschaften. Am gegensätzlichen Ende der Zeitskala elektronischer Prozesse bewegte sich ein anderes Experiment: Die mit weitem Abstand längste Lebensdauer eines angeregten elektronischen Zustands wurde mit Hilfe einer neuen Oszillations­methode gemessen. Die ermittelten 1,58 Jahre des ersten angeregten Zustands eine Ytterbium-Ions ist 6000 Mal länger als der bisherige Rekordhalter.

In Materialien mit hoher Elektronendichte kann es zu besonderen Effekten kommen. Dann wechselwirken Elektronen nicht direkt miteinander, sondern über Phononen. Ein solcher hydrodynamischer Elektronenfluss ließ sich bereits in zweidimensionalen Materialien abbilden. Aber auch in 3D-Materialien können Elektronen auf diese Weise fließen, etwa in Wolfram­ditellurid. Das wirft auch Fragen zur Definition von Metallen auf. In Halbleiter-Nanostrukturen hingegen können sich Elektronen so verhalten, als besäßen sie eine negative Masse. In atomar dünnem Wolfram­diselenid tauchte dieser Effekt auf, der neuartige elektronische Bauelemente möglich machen könnte.

Doch nicht nur Elektronen, auch Photonen haben manchmal einen sprunghaften Charakter. Einen spannenden Effekt hat dabei ein italienisch-deutsche Kollaboration gefunden. Ähnlich wie bei der Anderson-Lokalisierung in der Festkörper­physik kann auch Licht durch Unordnungseffekte lokalisiert werden. Das Licht wurde auf einen engen Raumbereich begrenzt, sobald der Energie­austausch mit der Umgebung zufällig wurde. Dabei kann etwa der hellste Lichtpunkt in einem langen optischen Leiter plötzlich an einen anderen Ort springen – ein interessanter Effekt, der auch für Schall oder Elektronen relevant sein sollte. Photonen lassen sich aber nicht nur lokalisieren. Falls man sie geschickt interferiert, können sie sich gegenseitig verstärken oder auslöschen. Eigentlich sollten Photonen ununterscheidbar sein, damit es zu einer Auslöschung kommen kann. Aber selbst wenn Photonenpaare zeitlich verzögert eintreffen, kann es zu Interferenz­effekten kommen. Eine nur teilweise Ununterscheidbarkeit reicht also zur Entstehung quantentypischer Auslöschungs­effekte.

Auch bei der Kontrolle von Spins gab es dieses Jahr einige Fortschritte zu verzeichnen. Einem russisch-deutschen Forschungsteam ist es gelungen, Elektronenspins gezielt durch Schallwellen zu manipulieren. Mit einer solchen akustischen Kontrolle lassen sich insbesondere Spins in Farbzentren beeinflussen. Das bietet sich insbesondere an, um Quanten­informationen in künftigen Quantenchips zu verarbeiten. Ein anderes Team konnte die rollende Bewegung einer Nanoschallwelle nachweisen. Dabei wurden die Elektronen im Innern eines Nanodrahts durch den transversalen Spin der Schallwelle auf Kreisbahnen gezwungen. Farbzentren in Diamanten eignen sich auch als Gyroskope. Dies ließ sich nun nachweisen, allerdings nutzen die Forscher dazu nicht den Elektronenspin, sondern den Kernspin als Gyroskop-Sensor. Spins längerfristig zu kontrollieren, ist für viele Anwendungen in der Grundlagen­forschung und Informations­technologie entscheidend. Mit Hilfe von Floquet-Engineering konnte nun ein Team nicht nur die Stärke, sondern auch die Art der Wechselwirkung gezielt kontrollieren. Diese Methode aus dem Gebiet der Kernspinresonanz nutzt spezielle Mikrowellenpulse, um atomare Spins zu manipulieren.

Quantenrekorde und der Zeitpfeil

Ein heißes Glaskügelchen ans Quantenlimit haben österreichische Forscher gebracht. Obwohl das winzige Kügelchen, das mit intensiven Laserstrahlen festgehalten wurde, selbst eine Temperatur von mehreren hundert Grad Celsius hatte, ließ sich die Bewegung des Schwerpunkts des Kügelchens extrem stark reduzieren. Sie lag dank komplexer Regelungstechnik am Ende bei nur noch dem 1,7-fachen des planckschen Wirkungs­quantums, ein Rekord für derart makroskopische Objekte. Aber nicht nur mit Kugeln, auch mit Nadeln lassen sich Quantenexperimente vollführen – wie bei Rasterkraft­mikroskopen. Deren Funktionsprinzip lässt sich umkehren, indem man die Nadel in Ruhe lässt und stattdessen das Substrat mit den Proben darauf schwingen lässt.

Die Richtung des Zeitpfeils in der Quantenphysik ist eine hochkomplexe Angelegenheit. So konnte ein Forschungsteam eine spontane Brechung der Zeitumkehr­invarianz in einem Quantengas aus ultrakalten bosonischen Atomen im zweiten Bloch-Band eines hexagonalen Lichtgitters feststellen. Dieses mit dem Quanten-Hall-Effekt verwandte Verhalten führt zu kollektiver Rotation und der Ausbildung eines Gitters aus mikroskopischen Wirbeln, deren Drehsinn durch zufällige Quantenfluktuationen bestimmt wird. Wie eine theoretische Untersuchung zeigt, hängt die Ausprägung von Zeitpfeilen auch im Quantenbereich mit dem Umsatz an Entropie in Verbindung. Das trifft – wenig überraschend – auch auf Uhren zu. Atomuhren ticken also umso genauer, je mehr Arbeit sie verrichten. Komplexität bedingt Irreversibilität. Wie eine weitere theoretische Arbeit bestätigt, kann Wigners Freund keine persistente Realität in seinen Empfindungen besitzen. Wie sich zeigen lässt, muss eine der drei Grund­annahmen einer klassisch-realistischen Interpretation der Quantenphysik verletzt sein – eine interessante Ergänzung zur Diskussion über die Grundlagen der Quantenphysik, die Einstein, Podolski und Rosen mit ihrem bahnbrechenden Paradoxon im Jahr 1935 angestoßen hatten.

Neue Technologien für das Quantencomputing

Quantencomputer sind längst nicht mehr nur ein Spielzeug der Wissenschaft. Mächtige geostrategische und wirtschaftliche Interessen sind mit dieser Technologie verknüpft. Doch viele technologische Fragen sind noch kaum geklärt. Einen Vorschlag, Loch-Spins in Silizium-Germanium-Schichten als Quantenbits zu nutzen, hat nun ein Forschungsteam gemacht. Diese lassen sich dank der niedrigen notwendigen magnetischen Felder sogar mit Supraleiter kombinieren und besitzen eine hohe Verarbeitungs­geschwindigkeit. Bei einem anderen Ansatz dienten freie Elektronen als Qubits. Die Forscher kreuzten den Elektronenstrahl eines Transmissions­elektronen­mikroskops mit dem elektrischen Feld von Laserlicht und erzeugten so ein Zwei-Niveau-Qubit. Lange Kohärenzzeiten für Qubits sind zwar wünschenswert, doch ebenso wichtig ist eine Fehlertoleranz, gerade bei größer skalierten Quantencomputern. In einem Ionenfallen-Quantencomputer mit zehn Ionen konnten Forscher per „Gitterchirurgie“ zwei kodierte Qubits miteinander verschränken und die Übertragung von Quantenzuständen zwischen zwei Quantenbits demonstrieren.

Aber nicht nur bei den einzelnen Komponenten von Quantencomputern gibt es Fortschritte. Auch die Integration der Gesamtsysteme kommt voran. Einer der entscheidenden Faktoren für einen kommerziell nutzbaren Quantencomputer ist eine effektive Quanten-Fehlerkorrektur. Bei diesem anspruchsvollen Prozess konnte ein System nun einen Fehler automatisch so gut korrigieren, dass das Ergebnis der Quantenoperation für weitere Rechnungen verwendet werden konnte – und zwar gelang dies bei beiden fundamentalen Fehlertypen, die bei Quantencomputern auftreten. Und wenn sich die Technik für einen Quantencomputer nicht einfach auf engem Raum unterbringen lässt, könnte ein spezielles Modul Abhilfe schaffen. Mit Hilfe eines sechzig Meter langen Glasfaserkabels konnten Forscher zwei Qubits zu einem logischen Gatter verschalten und damit einen verteilt rechnenden Quantencomputer realisieren. Ein anderes Problem ist es, Quantencomputern zu prüfen, deren Ergebnisse sich mit Hilfe klassischer Computer nicht mehr testen lassen – schließlich sollen Quantenrechner die Leistung Letzterer eines Tages massiv überflügeln. Auch für die Entwicklung künstlicher Intelligenz sollen Quantencomputer ja eines Tages eingesetzt werden. Nun gibt es ein neues Verfahren, Quantencomputer im Kollektiv zu testen, um ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen. Was mit einem Quantencomputer passieren soll, der aus der Reihe tanzt, darf allerdings noch von einer Ethikkommission ausgeklügelt werden.

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