14.08.2020

Ein Zwergplanet spuckt Sole

Einzigartige Aufnahmen der Raumsonde Dawn weisen auf aktiven Kryovulkanismus auf Ceres hin.

Der Zwergplanet Ceres, der größte Körper im Asteroiden­gürtel, war bis vor eine Million Jahren Schauplatz kryo­vulkanischer Ausbrüche: Unterhalb des Einschlags­kraters Occator drängte unterirdische Sole an die Oberfläche; das Wasser verdunstete und hinterließ helle, salzhaltige Ablagerungen. Dieser Prozess dauert wahrscheinlich noch immer an. Zu diesem Schluss kommt ein Forscherteam unter Federführung des Max-Planck-Instituts für Sonnen­system­forschung (MPS) in Göttingen nach Auswertung hochaufgelöster Kamera-Aufnahmen von Ceres aus der letzten Phase der NASA-Mission Dawn. Mehrere neue Veröffentlichungen zeichnen das Bild einer einzigartigen Welt, in deren Innern sich bis heute Reste eines globalen Ozeans finden und dessen sonderbarer Kryo­vulkanismus wahrscheinlich noch immer aktiv ist. 
 

Ein Zwergplanet spuckt Sole

Kryovulkanismus galt lange Zeit als ein Phänomen des äußeren Sonnensystems, das ausschließlich auf einigen Eismonden von Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun auftritt. Durchgewalkt von den gewaltigen Gravitations­kräften ihrer Mutter­planeten bieten diese Monde in ihrem Innern so viel Wärme, dass dort Wasser trotz der beachtlichen Entfernung von der Sonne nicht vollständig gefriert und in zum Teil spektakulären Fontänen ins Weltall sprüht. Ganz anders dürfte es im Asteroidengürtel zugehen. Die vielen Millionen größerer und kleinerer Brocken, die dort zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter um die Sonne kreisen, gelten gemeinhin als einfach aufgebaute, wasserlose und inaktive Körper. 

Dass sich diese Sichtweise nicht aufrecht­erhalten lässt, beweisen jetzt die aktuellen Veröffentlichungen. Ceres, der mit einem Durchmesser von 950 Kilometern größte Bewohner des Asteroiden­gürtels, entpuppt sich darin als rätselhafter Sonderling. Die Ergebnisse der Forscher beruhen in erster Linie auf Messdaten aus der letzten Phase der NASA-Mission Dawn, die Ceres von 2015 bis 2018 aus der Nähe untersuchte. Auf einer stark elliptischen Umlaufbahn wagte sich die Raumsonde in ihren letzten fünf Monaten bis auf 35 Kilometer an die Oberfläche heran – näher als je zuvor. Dem wissenschaftlichen Kamerasystem der Dawn-Sonde, das unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut wurde, gelangen in dieser Zeit einzigartige Aufnahmen.

Besonderes Augenmerk richteten die Wissenschaftler, zu denen auch Forscher der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) in Münster und des National Institute of Science Education and Research in Bhubaneswar (Indien) zählen, auf den Occator-Krater, einen markanten Einschlags­krater auf der Nordhalbkugel von Ceres. Mit einem Durchmesser von etwa 92 Kilometern übertreffen seine Ausmaße selbst die der aller­meisten irdischen Krater. Noch auffälliger ist seine zum Teil leuchtend weiße Färbung, die bereits in der Anflugphase auf Ceres zu Spekulationen um etwaige Wasser­vorkommen anregte 

„Genau betrachtet hat der Occator-Krater eine sehr komplexe Struktur mit Erhöhungen, Absenkungen, Ablagerungen, Rissen und Furchen. In allen Einzel­heiten ist dies erst in der letzten Missions­phase deutlich geworden“, erklärt Andreas Nathues vom MPS, wissenschaftlicher Leiter des Kamerateams von Dawn. „Aus der heutigen Morphologie des Kraters können wir seine Entstehungs­geschichte rekonstruieren – und so einen Blick in die bewegte Vergangenheit von Ceres werfen“, fügt er hinzu. 

Die hochaufgelösten Aufnahmen lassen es zu, das Alter der einzelnen Krater­bereiche zu bestimmen. Zu diesem Zweck analysieren die Forscher Anzahl und Beschaffenheit kleinerer Einschläge, die jeden Körper im Sonnen­system überziehen. Je jünger eine Oberfläche ist, desto weniger Mini-Krater weist sie auf. 

Wie sich zeigte, entstand der Occator-Krater vor etwa 22 Millionen Jahren durch einen großen Einschlag. Wie in vielen anderen Einschlags­kratern auf der Erde und auf anderen Planeten bildete sich dabei ein Zentralberg, der allerdings nach einiger Zeit wieder einstürzte. Vor etwa 7,5 Millionen Jahren stieg unter den Resten des Zentralbergs Sole aus dem Innern an die Oberfläche empor. Das Wasser verdunstete und bestimmte Karbonate lagerten sich ab. Sie sind für die markanten hellen Ablagerungen, genannt Cerealia Facula, im Zentrum des Occator-Kraters verantwortlich. Durch den Material­verlust im Innern sackte der innere Teil des Kraters ab. Es bildete sich eine runde Vertiefung mit einem Durchmesser von etwa 15 Kilometern. 

In den folgenden Jahrmillionen konzentrierte sich die Aktivität vor allem auf den östlichen Bereich des Kraterbodens. Durch Risse und Furchen quoll auch dort Sole an die Oberfläche und erzeugte weitere helle Ablagerungen, die Vinalia Faculae. Vor etwa zwei Millionen Jahren wachte das Zentrum des Kraters wieder auf: Erneut drang Sole an die Oberfläche, innerhalb der zentralen Vertiefung wölbte sich eine Kuppe aus hellem Material nach oben. „Dieser Prozess dürfte mindestens bis vor einer Million Jahre angedauert haben“, fasst Nico Schmedemann von der WWU die Ergebnisse zusammen. 

„Bemerkenswert ist vor allem, wie lange der Occator-Krater aktiv war und möglicherweise noch immer ist“, so Nathues. Theorien, wonach die ausgetretene Flüssigkeit ausschließlich auf Schmelzwasser vom ursprünglichen Einschlag zurückzuführen ist, sieht er dadurch widerlegt. Die Wärme, die bei einem solchen Einschlag entsteht, hätte sich nicht über so viele Millionen Jahre im Inneren halten können. 

Stattdessen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sich tief unterhalb des Occator-Kraters Reste eines globalen, salzigen Ozeans finden. Ähnlich wie Streusalz im Winter sorgt das gelöste Salz dafür, dass die Sole trotz der tiefen Temperaturen im Inneren des Körpers flüssig bleibt. Diese Interpretation stützt eine zweite Studie. Darin werten Wissenschaftler unter Leitung des Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA Dawns Gravitations­messungen aus. Ihrer Analyse zu Folge liegt eine Blase aus flüssiger Sole etwa vierzig Kilometer unterhalb des Occator-Kraters.

Möglich ist sogar, dass aus dem Zwergplaneten noch immer Wasser austritt und verdampft. Bereits 2014 hatten Messungen mit dem Weltraum­teleskop Herschel Anzeichen einer extrem dünnen, wasser­haltigen und möglicherweise nur sporadisch auftretenden Exosphäre gefunden. Im Zuge der späteren Dawn-Mission fanden Nathues und sein Team Hinweise auf eine Art dünnen Dunst, der täglich über dem Occator-Krater liegt. Zu diesen Puzzlestücken gesellt sich nun die Veröffentlichung des Spektrometer-Teams von Dawn unter Leitung des Istituto di Astrofisica Spaziale e Fisica Cosmica in Rom. Die Forscher konnten in dem hellen, abgelagerten Material unter anderem Salz­verbindungen nachweisen, die Wasser enthalten. Das nur leicht gebundene Wasser verdunstet an der Oberfläche von Ceres jedoch innerhalb von Wochen; die Ablagerungen können somit nicht alt sein. 

„Wir gehen davon aus, dass Ceres noch immer gelegentlich kryovulkanisch aktiv ist“, folgert Nathues. Während einiges dafür spricht, dass die Ausbrüche in der frühen Entwicklungsphase des Occator-Vulkanismus teilweise geradezu explosiv waren, dürfte sich Ceres‘ Kryovulkanismus mittlerweile deutlich beruhigt haben. Die Forscher vermuten, dass Wasser nun in erster Linie durch Verdampfen entweicht. „Ein solcher Kryovulkanismus ist nach bisherigem Kenntnis­stand im Sonnen­system einzigartig“, so Schmedemann. 

MPS / DE
 

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