26.08.2020

Ein brillanter Start

Gestern hat die Extremely Brilliant Source als erstes Hochenergie-Synchrotron der vierten Generation an der ESRF in Grenoble ihren Betrieb aufgenommen.

20 Monate nach Abschaltung des bisherigen Synchrotrons an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble startete mit der Inbetriebnahme der Extremely Brilliant Source (EBS) am 25. August genau im Zeitplan erneut der Nutzerbetrieb – trotz wochenlanger Schließung aufgrund der Corona-Pandemie. Die EBS stellt einen hundertmal brillanteren Röntgenstrahl als die bisherige Quelle sowie eine vollständig neue Instrumentierung zur Verfügung. Sie läutet eine neue Ära für die Wissenschaft ein und ermöglicht es, die Komplexität von Materialien und lebender Materie auf der Nanoskala zu verstehen. Damit soll sie unter anderem zur Entwicklung neuer Arzneimittel oder (Bio-)Materialien beitragen. Die Extremely Brilliant Source entstand in internationaler Zusammenarbeit von 22 Ländern, inklusive den USA und Japan. Die Investitionskosten betrugen 150 Millionen Euro.

Bereits Ende November 2019 hatten die Vorbereitungen für die Inbetriebnahme begonnen. Mitte März waren sie abgeschlossen – fünf Monate vor dem eigentlichen Zeitplan. Zwischen Mitte März und Mitte Mai wechselten allerdings die meisten der 600 Mitarbeitenden der ESRF ins Homeoffice. Nur zwei bis maximal zehn Personen durften das Gelände betreten, um die wichtigsten Dienste am Laufen zu erhalten und den Neustart im August vorzubereiten. Laut ESRF-Generaldirektor Francesco Sette habe die aktuelle Pandemie die Bedeutung exzellenter Forschung gezeigt: „Der ESRF kommt mit der neuen EBS eine Schlüsselrolle dabei zu.“

An der European Synchrotron Radiation Facility (Foto: ESRF/Stef Candé) in...
An der European Synchrotron Radiation Facility (Foto: ESRF/Stef Candé) in Grenoble hat nun die erste Synchrotronstrahlungsquelle der vierten Generation ihren Betrieb aufgenommen.

Die Extremely Brilliant Source ist im 844 Meter langen Beschleunigertunnel der bisherigen Synchrotronquelle untergebracht. Beim Umbau galt es, 200 Kilometer Kabel zu trennen und 1720 Tonnen Geräte auszubauen. Anschließend wurden rund zehntausend Komponenten mit einer relativen Genauigkeit von weniger als 50 Mikrometern über mehrere Kilometer ausgerichtet. In der neuen Anlage wird ein bandförmiger, zwei Mikrometer hoher und 20 Mikrometer breiter Elektronenstrahl zirkulieren. Das entspricht dem Dreißigstel der Breite des bisherigen Strahls. Um das zu erreichen, war ein neuartiges „Hybrid-Multi-Bend-Achromat-Gitter“ notwendig, das tausend Magnete enthält, welche die Elektronen führen und fokussieren. Der resultierende Röntgenstrahl ist dadurch hundertmal brillanter und kohärenter als bisher.

Damit ist es möglich, ein menschliches Organ mit extrem hoher Auflösung zu scannen, um beispielsweise den Infektionsprozess bei Krankheiten wie Covid-19 besser zu verstehen. Seit April haben Forscherinnen und Forscher den EBS-Strahl bereits genutzt, um das Virus SARS-CoV-2 zu untersuchen. Andere Anwendungsmöglichkeiten sind die Abbildung des menschlichen Gehirns auf Synapsenebene, der Nachweis von Nanopartikeln in Alltagsprodukten mit verbesserter Nachweisgrenze oder die Beobachtung von Lithiumatomen während des Batteriezyklus.

„Die neuartige Beschleunigertechnologie der ESRF-EBS öffnet die Tür zu revolutionären Einsichten in die molekulare Maschinerie komplexer Materialien und biologischer Systeme. Sie ist das neue Werkzeug für die Entwicklung zukünftiger Technologien und besserer Medikamente und damit von höchster Relevanz für die Zukunft der europäischen Gesellschaft“, unterstreicht Helmut Dosch, stellvertretender Vorsitzender des ESRF-Councils.

Blick in den Beschleunigertunnel der Extremely Brilliant Source (Bild:...
Blick in den Beschleunigertunnel der Extremely Brilliant Source (Bild: ESRF/Stef Candé)

Das weltweite Interesse an der neuen Synchrotronstrahlungsquelle ist groß: So gab es bis Ende März mehr als 1200 Anträge auf Strahlzeit, welche ein Team aus 120 externen Expertinnen und Experten begutachtet hat. Vorzug haben zunächst Experimente an Proben, welche die Belegschaft der ESRF handhaben kann und welche sich per remote-Zugang untersuchen lassen.

Trotz einiger Beschränkungen durch die Pandemie ist der Nutzerbetrieb mit der größtmöglichen Anzahl an Strahlführungen gestartet. „Dies ist ein Moment, der die gesamte Synchrotron-Community stolz macht“, sagt Francesco Sette. „Mit der Eröffnung dieser brandneuen Generation von Hochenergie-Synchrotronen setzt das ESRF seine Vorreiterrolle fort und stellt Wissenschaftlern ein beispielloses Instrument zur Verfügung, mit dem die Grenzen der Wissenschaft durchbrochen und wichtige Herausforderungen unserer heutigen Gesellschaft wie Gesundheit, Umwelt und Energie angegangen werden.“

Maike Pfalz

Hinweis: Der Artikel wurde am 10. September korrigiert. In der ersten Fassung war die Rede von "der ersten Synchrotronstrahlungsquelle der vierten Generation". Es handelt sich bei der EBS aber um das erste Hochenergie-Synchrotron der vierten Generation.

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