10.11.2021

Astronomischer Wunschzettel

Die Astronomie-Community in den USA veröffentlicht ihre Prioritäten und Ziele für die Jahre 2023 bis 2033 und darüber hinaus.

Die Community der US-amerikanischen Astronomie, Astrophysik und Weltraumforschung veröffentlicht etwa alle zehn Jahre einen ausführlichen Ausblick auf ihre Forschungsprogramme und Projekte des kommenden Jahrzehnts. Zuletzt war dies 2010 der Fall. Die Veröffentlichung des neuen „Decadal Survey on Astronomy and Astrophysics 2020“, kurz Astro2020, verzögerte sich durch den Shutdown der Regierungsbehörden zum Jahreswechsel 2018/19 und durch die Corona-Pandemie.

Astro2020 führt auf über 600 Seiten nicht nur die Prioritäten für Projekte, Programme und Missionen auf, sondern steckt den Finanzierungsbedarf ab und formuliert langfristige Ziele. Das wird auch immer notwendiger, denn die Zeitpläne für die großen Forschungsmissionen der NASA und die größten astronomischen Observatorien umfassen mittlerweile mehrere Forschergenerationen. So begannen die ersten Planungen für das James-Webb-Weltraumteleskop, das am 18. Dezember in den Weltraum starten soll, bereits im Jahr 1989.

Die wissenschaftliche Vision von Astro2020 umfasst drei große Themen, die an die wichtigsten Fortschritte in der Astronomie der vergangenen zwei Jahrzehnte anknüpfen:

  • „Worlds and Suns in Context“ baut auf den Entdeckungen bei der Beobachtung von Exoplaneten und Sternen auf und zielt darauf zu verstehen, wie sie entstehen, sich entwickeln und miteinander verbunden sind, einschließlich der Suche nach potenziell bewohnbaren Systemen wie dem unseren.
  • „New Messengers and New Physics“ widmet sich der Untersuchung der energiereichsten Prozesse im Universum und der Natur der Dunklen Materie, Dunklen Energie und der kosmologischen Inflation. Dazu sollen die Gravitationswellenobservatorien, Anlagen zum Nachweis kosmischer Strahlung und die zeitliche Überwachung des Himmels über das gesamte elektromagnetische Spektrum dienen. Besonders die Multi-Messenger-Beobachtung, die unterschiedliche Methoden vereint, verspricht neue Erkenntnisse über viele bislang noch unverstandene Prozesse im Universum und könnte auch Hinweise auf Physik jenseits der Standardmodelle von Teilchenphysik und Kosmologie liefern.
  • Der Themenbereich „Cosmic Ecosystems“ befasst sich mit Beobachtungen und Modellierung von Sternen, Galaxien, Gas und energetischen Prozessen, die diese bei ihrer Entstehung und Entwicklung miteinander verbinden, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Entstehung von Planeten, auf denen Leben möglich ist. Solche Planeten aufzuspüren und zu charakterisieren, ist eines der Ziele, in die dabei vorrangig investiert werden solle.

Bereits im Survey „Astronomy and Astrophysics in the New Millennium“ von 2001 stand ein Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von etwa 30 Metern auf dem Wunschzettel der US-Astronomie. In „Astro2020“ sind es nun zwei solche Großteleskope: Das Thirty Meter Telescope (TMT) auf Hawaii und das Giant Magellan Telescope (GMT) für Nordchile.

Damit stünde auf beiden Hemisphären je ein Teleskop der Top-Kategorie zur Verfügung, die den gesamten Himmel abdecken mit einem Überlapp von rund 50 Prozent, der kombinierte Beobachtungen ermöglicht. Beide Projekte sind kleiner als das Extremely Large Telescope (E-ELT) der Europäischen Südsternwarte ESO, das derzeit in der chilenischen Atacama-Wüste gebaut wird und mit seinem 39-Meter-Spiegel 2027 in Betrieb gehen soll. Mittlerweile gibt es aber den Vorschlag, TMT und GMT unter dem Namen „US-ELT“ gemeinsam zu betreiben. Dafür werden rund 1,8 Milliarden US-Dollar von der National Science Foundation benötigt. Die Entwicklung wie auch die Herstellung von Schlüsselkomponenten der beiden US-Großteleskope haben begonnen. Derzeit wird erwartet, dass diese in der Mitte der 2030er-Jahre in Betrieb gehen könnten.

Zur weiteren Priorität der US-Astronomie gehört ein Programm aus kleineren und mittleren Missionen, die Beobachtungen in der Zeit-Domäne und im Multi-Messenger-Bereich ermöglichen. Für das nächste Jahrzehnt steht dann ein Weltraumobservatorium für das ferne Infrarot oder den Röntgen-Bereich auf dem Wunschzettel, das die Mission Athena (Advanced Telescope for High-ENergy Astrophysics) der Europäischen Weltraumagentur ergänzen soll.

Weitere Projekte, die allerdings noch im ersten Planungsstadium stecken, sind ein erdgebundenes Observatorium für die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (Cosmic Microwave Background Stage 4 Observatory, MB-S4), ein Next Generation Very Large Array (ngVLA) für Beobachtungen im Zentimeter-Wellenlängenbereich und das Neutrino-Observatorium IceCube-Generation 2, das die Möglichkeiten der bestehenden IceCube-Anlage in der Antarktis stark erweitern soll.

Neben der Fülle an Forschungsprogrammen und -projekten, die in Astro2020 vorgestellt und empfohlen werden, geht es darin auch um die Menschen, die diese Forschungen erst ermöglichen. Hier soll die Förderung des Nachwuchses für eine möglichst große Diversität und damit eine besonders innovative Kultur innerhalb der Astronomie sorgen.

Eine wesentliche Herausforderung bleibt natürlich, eine ausgewogene und verlässliche Finanzierung der vielfältigen und höchst unterschiedlich großen Projekte zu gewährleisten. Dass dies nicht einfach ist, muss derzeit die NASA feststellen, die ihre ehrgeizigen Pläne für eine neue bemannte Landung auf dem Mond um mindestens ein Jahr verschiebt, da die vom US-Kongress in Aussicht gestellten Mittel nicht für eine Realisierung im Jahr 2024 ausreichen.

Alexander Pawlak

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