07.05.2024

Stofftrennung trifft auf Energiewende

Anpassung der Anlagen an ungleichmäßige Verteilung der verfügbaren Energie notwendig.

Destillationsanlagen sind das Rückgrat der chemischen Industrie. Ganze Produktpaletten, wie etwa die der Petrochemie, sind ohne sie nicht denkbar. Solche Anlagen sind typischerweise mehrstufig aufgebaut: In den etagenartig aufgebauten Kolonnen laufen mehrere Destillationsschritte unmittelbar hintereinander ab. Verglichen mit einer einfachen Destillation lässt sich so eine deutlich bessere und energieeffizientere Trennung erreichen. Die steigende Nutzung erneuerbarer Energiequellen bringt nun jedoch neue Anforderungen für einen flexibleren Betrieb solcher Anlagen mit sich. Im Projekt ColTray haben sich Forscher des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf, der Ruhr-Universität Bochum und der TU München des Problems angenommen.

Abb.: Strömungsuntersuchungen mit dem HZDR-Feldsensor in der Versuchskolonne...
Abb.: Strömungsuntersuchungen mit dem HZDR-Feldsensor in der Versuchskolonne an der TU München.
Quelle: F. Engel, TUM

Die Einbauten in der Kolonne, wie etwa Böden mit Hochleistungsventilen, verbessern den Austausch von Stoffen und Energie zwischen Dampf und Flüssigkeit. Die Sicherstellung optimaler Strömungsbedingungen auf diesen Ventilböden und ihre zuverlässige Konzeption werden zunehmend wichtiger. Dabei ist es eine Herausforderung, die Anlagen an die heutzutage ungleichmäßige Verteilung der verfügbaren Energie über den Tag hinweg anzupassen. Früher waren die Anlagen für ein gleichmäßigeres Energieangebot optimiert. Auf Verbraucherseite erfordert dies eine kluge Steuerung des Energiebedarfs, zum Beispiel durch die zeitliche Anpassung des Spitzenverbrauchs.

„Moderne Prozesse in der chemischen Industrie müssen daher flexibler sein, um auch bei variabler Last effizient zu arbeiten. Dafür müssen die Strömungsbedingungen im gesamten Lastbereich optimal eingestellt werden können. Weil die Strömungen äußerst schwierig vorhersagbar sind, entwickeln wir neue Methoden dafür“, erläutert Projektkoordinator Philipp Wiedemann vom Institut für Fluiddynamik am HZDR.

Die Entwicklung von Böden und Ventilen sowie deren hydraulische Auslegung erfolgt in erheblichem Maße durch kleine und mittelständische Equipment-Hersteller und Ingenieur­Dienstleister. Da ihnen bislang keine verlässlichen Simulationstools für Hochleistungsböden zur Verfügung standen, bearbeiteten die ColTray-Partner gemeinschaftlich das Forschungsprojekt „Werkzeuge und Methoden zur verbesserten fluiddynamischen Auslegung von Querstromböden mit Hochleistungsventilen“, das von 2020 bis 2023 lief. Ein projektbegleitender Ausschuss mit Vertretern aus elf Unternehmen der Branche unterstützte das Vorhaben.

ColTray war in drei aufeinander aufbauende methodische Schritte gegliedert. Im ersten Arbeitsschwerpunkt haben die Projektpartner Versuchsinfrastruktur an den Forschungseinrichtungen auf- und umgebaut sowie Messtechnik für die experimentellen Arbeiten entwickelt. Hierzu zählt der Umbau einer Versuchskolonne im Technikumsmaßstab, die an der TU München für umfangreiche Untersuchungen mit dem Stoffsystem Wasser/Luft zum Einsatz kam. Speziell für diese Kolonne wurden am HZDR Feldsensoren zur dreidimensionalen Vermessung und Visualisierung der Strömung auf den Kolonnenböden entwickelt und aufgebaut. Darüber hinaus wurde an der Uni Bochum ein Laborversuchsstand konstruiert, mit dem die Bodenüberströmung mit organischen Stoffsystemen untersucht und somit der Einfluss der Eigenschaften industrietypischer Fluide erforscht werden kann.

Der zweite Arbeitsschwerpunkt lag auf Experimentalstudien, die zu einer umfangreichen Datenbasis für die Entwicklung und Validierung von Auslegungs­werkzeugen führten. „An unserer Versuchskolonne haben wir zahlreiche Messungen an unterschiedlichen Ventilböden gemacht, wobei der Fokus einerseits auf der Untersuchung der Betriebsgrenzen lag. Diese treten auf, wenn die Kolonnen bei Über- oder Unterlast betrieben werden. Die Folge ist ein Durchregnen beziehungsweise ein Mitreißen von Flüssigkeitsgemisch, welches eigentlich geregelt von Stufe zu Stufe in der Destillationskolonne herabströmen sollte. Darüber hinaus konnten wir durch den Einsatz der Feldsensoren detaillierte Erkenntnisse über Strömungsstrukturen und die Überströmung mit Flüssigkeit gewinnen“, beschreibt Sebastian Rehfeldt die Arbeiten an der TU München.

Am Versuchsstand der Uni Bochum wiederum fanden vergleichende Untersuchungen zur Bodenhydraulik für ein wässriges und ein organisches System statt. „Dabei haben wir neben dem Druckverlust auch das Durchregnen und die sich über dem Kolonnenboden aufbauende Zweiphasenschichthöhe analysiert. Zusätzlich haben wir den Blasenbildungsprozess für unterschiedliche Stoffsysteme untersucht“, fasst Marcus Grünewald die Arbeiten seines Teams zusammen.

Der dritte Arbeitsschwerpunkt umfasste die Entwicklung von Modellen zur verbesserten fluiddynamischen Auslegung der Ventilböden. Am HZDR haben die Forscher hierzu mit Hilfe der numerischen Strömungsmechanik einen Ansatz zur schnellen Simulation der Bodenüberströmung entwickelt. An der TU München wurden auf Basis der gewonnenen Messdaten Modelle zur Vorhersage des Durchregnens, des Tropfenmitrisses sowie der zu erwartenden Zweiphasenschichthöhe geschaffen.

ColTray wurde von der Forschungs-Gesellschaft Verfahrens-Technik GVT für die herausragenden Ergebnisse, die Qualität der Bearbeitung und die wirtschaftliche Relevanz für kleine und mittlere Unternehmen als „Projekt des Jahres 2024“ ausgezeichnet.

HZDR / RK

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