07.05.2020

Zu viel Kohlenstoff im Mond

Daten der japanischen Raumsonde Kaguya werfen Fragen zur Entstehung des Erdtrabanten auf.

Jahrzehntelang waren die Mondforscher davon überzeugt, dass der Erdtrabant „trocken“ ist, also keine signi­fikanten Mengen flüchtiger leichter Elemente von Wasserstoff bis Kohlen­stoff enthält. Diese Überzeugung basierte ursächlich auf den damaligen Analysen der Gesteinsproben, die von 1969 bis 1972 von den Apollo-Astronauten zur Erde gebracht worden waren. Die Abwesenheit leichter Elemente im Mondgestein galt auch als eines der Schlüssel­argumente für die Hypothese vom „giant impact“, dem großen Einschlag. Danach ist der Mond aus den Trümmern der Kollision eines marsgroßen Himmels­körpers mit der Ur-Erde entstanden. Das durch die Wucht des Zusammen­pralls ausgeworfene Material war, so die Überlegung, so heiß, dass alle leichten Elemente ins Weltall verdampften.

Abb.: Die japanische Raumsonde Kaguya im Orbit um den Mond, im Hintergrund die...
Abb.: Die japanische Raumsonde Kaguya im Orbit um den Mond, im Hintergrund die Erde. (künstl. Darstellung; Bild: JAXA)

Zwar zeigten spätere Messungen von Mondsonden wie dem US-amerikanischen Lunar Reconnais­sance Orbiter gefrorenes Wasser in ewig verschatteten Regionen an den Polen des Mondes, sowie Wasserstoff und Helium in den oberen Regolith­schichten der Mond­oberfläche – aber diese Vorkommen ließen sich leicht durch den Einfall von Kometen und durch den Sonnenwind erklären. Schwer­wiegender war der Nachweis von Wasserstoff und Spuren von Kohlenstoff in vulkanischen Gläsern in den Apollo-Gesteinsproben, die in den vergangenen Jahren mit neuen, moderneren Untersuchungs­methoden gelang. Damit geriet das Bild vom trockenen Mond erstmals ins Wanken. 

Doch da es sich um Gesteinsproben von einigen wenigen Orten auf dem Mond handelt, war bislang unklar, ob diese Ergebnisse tatsächlich repräsentativ für die gesamte Oberfläche des Erd­trabanten sind. Eine Kartierung der gesamten Oberfläche gab es zunächst nur für Wasserstoff – und die Häufigkeit dieses Elements in den oberen Gesteinsschichten ließ sich mit dem Zustrom der Protonen des Sonnenwinds erklären. Und auch als der japanische Mond­orbiter Kaguya, der von 2007 bis 2009 den Erdtrabanten umkreiste, mit seinem Ionen-Massen­spektrometer von der Mondoberfläche stammende Kohlen­stoff-Ionen nachwies, sahen die Forscher zunächst den Sonnenwind und Mikro-Meteoriten als Quelle dieses Elements an.

Shiochiro Yokota von der Universität Osaka in Japan und seine Kollegen haben jetzt diese Kaguya-Daten einer neuen Analyse unterzogen – und kommen zu einem anderen Schluss: Mit einer Intensität von 50.000 Kohlen­stoff-Ionen pro Quadrat­zentimeter und Sekunde stoße der Mond erheblich mehr Kohlenstoff aus, als sich durch einen Zustrom von außen erklären lasse. Und es gibt noch ein weiteres Argument, dass gegen einen äußeren Ursprung des Kohlenstoffs spricht: Über den dunklen Maren des Mondes hat Kaguya signifikant mehr Kohlen­stoff-Ionen gemessen als über den hellen Hochland-Regionen. Solche regionalen Unterschiede lassen sich jedoch nicht mit einem Zustrom von außen erklären, sondern nur mit einem höheren Anteil von Kohlenstoff im Basalt­gestein der Mare. Yokota und seine Kollegen folgern daher, der Mond müsse erheblich mehr Kohlenstoff enthalten als mit dem „trockenen“ Modell der Mond­entstehung verträglich.

„Unsere Ergebnisse bieten die Gelegenheit, die Entstehung und Entwicklung des Mondes im Rahmen einer ´feuchten´ Theorie weiter­zuentwickeln“, erläutert Yokota. „Wir gehen davon aus, dass die bisherigen Modelle der großen Kollision zu einfach waren. Vielleicht war der Zusammen­stoß schwächer oder der ganze Vorgang kompli­zierter.“ Es gäbe bereits erste Computer­modelle, die mit dem Vorhanden­sein leichter Elemente in der Materie des Erdtrabanten in Einklang sind, so der Forscher.

Rainer Kayser

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