01.12.2022

Wie Amöben die Robotik inspirieren

Modell beschreibt komplexe Strukturbildung durch Selbstorganisation.

Amöben gehören zu den Einzellern. Per Selbstorganisation können sie komplexe Strukturen formen, und zwar ausschließlich über lokale Wechsel­wirkungen: Haben sie viel Nahrung, verteilen sie sich gleichförmig in einem Nährmedium. Wird ihr Futter jedoch knapp, senden sie den Botenstoff cyclisches Adenosin­mono­phosphat (cAMP) aus. Dieses chemische Signal führt dazu, dass sich Amöben an einem Ort sammeln und einen vielzelligen Verband bilden. Daraus entsteht ein Fruchtkörper.

 

Abb.: Phasen­diagramm der dynamischen Zustände (Bild: A. Ziepke et al., Nat....
Abb.: Phasen­diagramm der dynamischen Zustände (Bild: A. Ziepke et al., Nat. Commun. 2022 / Springer Nature)

„Das Phänomen ist bekannt“, sagt Erwin Frey von der LMU-Fakultät für Physik. „Bislang hat jedoch keine Arbeitsgruppe untersucht, wie sich ganz allgemein Informations­verarbeitung auf die Aggregation von Systemen aus Agenten auswirkt, wenn einzelne Agenten, hier die Amöben, einen eigenen Antrieb haben.“ Mehr Wissen über diese Mechanismen sei auch deshalb interessant, um sie dann auf synthetische technische Systeme zu übertragen.

Zusammen mit weiteren Forschern beschreibt Frey nun, wie sich aktive Systeme, die Informationen ihrer Umgebung verarbeiten, nutzen lassen – entweder technologisch oder biologisch. Es geht nicht darum, alle Details der Kommunikation zwischen einzelnen Agenten zu verstehen. Vielmehr bilden sie aufgrund der Selbst­organisation bestimmte Strukturen. Das gilt für Amöben – oder auch für bestimmte Roboter. Die Arbeit ist zusammen mit Igor Aronson entstanden, der Humboldt-Preisträger an der LMU ist.

Inspiriert von biologischen Systemen schlagen Frey und seine Koautoren ein neues Modell vor. Dabei kommunizieren Agenten mit eigenem Antrieb miteinander. Sie erkennen chemische, biologische oder physikalische Signale auf lokaler Ebene und treffen anhand ihrer internen Maschinerie individuelle Entscheidungen zur kollektiven Selbst­organisation. Dadurch entstehen zielgerichtet größere Strukturen, die sich über mehrere Längen­skalen erstrecken können.

Grundlage ihrer Überlegungen ist das neue Paradigma der kommunizierenden aktiven Materie. Lokale Entscheidungs­findungen als Reaktion auf ein Signal beziehungsweise die Übertragung von Informationen führen zu einer kollektiv kontrollierten Selbst­organisation. Das neue Modell ist geeignet für den Entwurf von Roboter­systemen in der Nanotechnologie, um die kollektiven Eigenschaften von Roboterschwärmen zu beschreiben. Als möglichen Einsatzbereich des neuen Modells sieht Frey Softroboter, also Roboter, die aus weichen Materialien bestehen und sich eignen, um beispielsweise im Körper von Menschen Aufgaben zu erledigen. Sie können über elektro­magnetische Wellen mit anderen Softrobotern kommunizieren, etwa, um an bestimmten Stellen Medikamente zu verabreichen.

„Es reicht, grob zu verstehen, wie einzelne Agenten miteinander kommunizieren; der Rest läuft dann per Selbst­organisation“, so Frey. „Gerade in der Robotik ist das ein Paradigmen­wechsel – hier versuchen Forscher genau das Gegenteil, sie wollen eine extrem hohe Kontrolle erreichen.“ Doch das gelinge nicht immer. „Unser Vorschlag ist hingegen, die Fähigkeit der Selbst­organisation auszunutzen.“

LMU / DE

 

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