09.07.2015

Weltrekord für Elektronen-Kameras

Forscher filmen Kristallschwingungen mit einer Aufnahmezeit von unter einer billionstel Sekunde.

Filme in Zeitlupe machen Bewegungen sichtbar, die für das menschliche Auge zu schnell sind. Dafür müssen viele einzelne Bilder aufgenommen werden, von denen jedes nur einen Bruchteil einer Sekunde belichtet wird, zum Beispiel eine tausendstel Sekunde bei Sportaufnahmen. Forscher der Uni Kassel führten nun ein Experiment durch, das wie eine Kamera mit Belichtungszeiten kleiner als eine billionstel Sekunde funktioniert. Damit untersuchen die Wissenschaftler um Thomas Baumert und Arne Senftleben winzige Bewegungen von Kohlenstoff-Atomen in einem Graphitkristall. Wird der Kristall erwärmt, so schwingen die Atome im Material hin und her. Solche Schwingungen oder andere Änderungen der Kristallstruktur kann das neue Experiment filmen, das war bislang nicht möglich.

Abb.: Schematischer Blick in die Elektronen-Kamera: Der rote Laser regt den Kristall (gold) zum Schwingen an. Der hellblaue Laser erzeugt ein Elektronen-Paket (dunkelblau), das durch den Kristall fliegt und auf dem schwarzen Schirm (hinten) ein Beugungsbild erzeugt. Dieses enthält Informationen über die Kristallstruktur. Man erkennt direkt die charakteristische Sechseck-Struktur von Graphit. (Bild : U. Kassel)

Die Kamera arbeitet nicht mit Licht, sondern mit Elektronen. Es entstehen daher auch keine Fotografien im herkömmlichen Sinne, sondern Beugungs­bilder, aus denen sich die Anordnung der Atome im Kristall berechnen lässt. Zum Filmen von Kristallschwingungen benötigt man Pakete von Elektronen, die schneller durch das Graphit fliegen, als die Atome schwingen. Diese brauchen weniger als eine billionstel Sekunde, um einmal hin und her zu schwingen. Elektronenpakete von noch kürzerer Zeitdauer sind äußerst schwierig zu erzeugen, da sie sich durch die gegenseitige Abstoßung der Elektronen ausdehnen. Den Forschern ist genau das jedoch gelungen, und zwar vor allem dadurch, dass sie die wichtigsten Komponenten des Experiments möglichst dicht zusammen gerückt haben. „So haben die Elektronenpakete schlicht weniger Zeit, um sich auszudehnen“, stellt Baumert fest, der das Fachgebiets Femtosekunden-Spektroskopie und ultraschnelle Laserkontrolle an der Uni Kassel leitet.

Die neue Kristallkamera arbeitet mit Elektronen-Paketen, die im besten Fall nur 120 billiardstel Sekunden lang sind. „Laut Aussagen anderer Forscher hält unser Experiment damit den aktuellen Weltrekord für vergleichbare Anlagen“, berichtet Christian Gerbig. Er hat die Arbeiten im Rahmen seiner Doktorarbeit maßgeblich vorangetrieben. Zwar gibt es schnellere Kameras, die ausschließlich mit Lichtpulsen arbeiten. Diese sind kürzer als Elektronen­pulse und haben nicht das Problem der Ausdehnung der Pulse. Nur Elektronen- oder Röntgenstrahlen können jedoch die innere Struktur eines Kristalls sichtbar machen. Röntgenkameras mit vergleichbar kurzen Belichtungszeiten erfordern sehr aufwändige Maschinen.

Zurzeit untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Elektronen-Kamera weitere Materialien. Die Forscher interessieren sich unter anderem dafür, wie sich Schwingungen in aufeinander geklebten Kristallen verschiedener Struktur ausbreiten.

UK / RK

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