21.05.2021

Vom Bombenentwickler zum Bürgerrechtler

Zum 100. Geburtstag des russischen Physikers und Friedens-Nobelpreisträgers Andrej Sacharow

Andrej Sacharow gilt als „Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe“ und leistete wichtige Beiträge zur Kosmologie, Elementarteilchenphysik und zur friedlichen Nutzung der Kernfusion. Sein mutiger Einsatz für politisch Verfolgte, für Meinungsfreiheit und die Einhaltung der Menschenrechte ließen ihn zum geistigen Wegbereiter der Demokratisierung in der Sowjetunion werden.

So charakterisiert Michael Schaaf, studierte Physiker und promovierter Wissenschaftshistoriker, den am 21. Mai 1921 in Moskau geborenen Physiker in der Mai-Ausgabe des Physik Journal. In seinem Artikel zeichnet Schaaf die Karriere Sacharows als Physiker wie auch als Bürgerrechtler nach und schildert seine persönliche Begegnung mit Sacharow kurze Zeit vor dessen Tod am 14. Dezember 1989.

Andrej Sacharow in späteren Jahren (Bild: Sacharow Zentrum Moskau)
Andrej Sacharow in späteren Jahren (Bild: Sacharow Zentrum Moskau)

Bereits vor dem Erhalt des Friedensnobelpreises 1975 war Sacharow ein weltbekannter Dissident der Sowjetunion. Den Preis nahm seine Frau Jelena Bonner für ihn entgegen, da Sacharow nicht nach Stockholm reisen durfte. Eine Forderung seiner Rede, die von seiner Frau verlesen wurde, war die Freilassung aller politischen Gefangenen weltweit.

Der Ausnahmewissenschaftler hatte eine erfolgreiche Karriere in der Physik vorzuweisen. Er war Teil des Wissenschaftlerteams, das die sowjetische Wasserbombe entwickelt hatte, die 1953 erfolgreich getestet wurde. Zu seinen bedeutendsten wissenschaftlichen Arbeiten zählt sein 1967 veröffentlichter Aufsatz zur Baryonen-Asymmetrie im Universum. Darin formulierte er drei notwendige Bedingungen für die Entstehung der Dominanz von Materie gegenüber Antimaterie: Abweichungen vom thermischen Gleichgewicht in der Expansionsphase des heißen Universums, die Verletzung der CP-Invarianz und eine Verletzung der Baryonenladungserhaltung.

In anderen wichtigen Arbeiten befasste er sich mit einer „induzierten Gravitation, d. h. mit der Idee, dass die Gravitation (und hier insbesondere die Allgemeine Relativitätstheorie) nicht „fundamental“ im Sinne der Teilchentheorie sei, sondern aus der Quantenfeldtheorie entstehe, so wie sich beispielsweise die Hydrodynamik aus der Molekülphysik ergibt.

Als Ausnahmephysiker konnte Sacharow in der Sowjetunion zunächst ein privilegiertes Leben führen. Er nutzte diese Privilegien, etwa den Zugang zu ausländischer Literatur und zu den Staats- und Parteiführern, um die Konsequenzen seines Handelns kritisch zu hinterfragen – und das auch von den führenden Politikern zu verlangen. So forderte er sehr früh ein Verbot von Atomtests und legte sich dafür mit dem Partei- und Staatschef Nikita Chruschtschow an.

Sacharow setzte sich auch in der Breschnew-Zeit für politisch Verfolgte ein. Sein Manifest „Gedanken über Fortschritt, friedliche Koexistenz und geistige Freiheit“ machte ihn 1968 weltberühmt – und zum Abtrünnigen in den Augen der Staatsführung. Seine Forderungen sind heute so aktuell wie damals: Es kann nur dauerhaften Frieden geben, wenn sich die USA und die UdSSR (heute Russland) einander annähern. Mit den Ressourcen ist sorgfältig umzugehen, der Planet darf nicht geplündert werden. Und nur Meinungs- und Pressefreiheit sorgen dafür, dass sich Menschen nicht von Propagandisten und Volksverhetzern verführen lassen.

1980 wurde Sacharow nach Gorki verbannt, von wo ihn Gorbatschow erst 1986 zurückholte. Kurz vor seinem Tod 1989 konnte er als Abgeordneter noch seine politischen Ideen im Volksdeputiertenkongress präsentieren. Seine Verfassungsentwürfe, an denen er als Mitglied einer Parlamentarierkommission bis zuletzt arbeitete, sollten sein Vermächtnis werden.

Zu Sacharows 100. Geburtstag zeigt die Universität Bremen auf dem Boulevard vor der Staats- und Universitätsbibliothek eine Ausstellung über den Friedensnobelpreisträger. Studierende der Geschichtswissenschaft haben dafür 21 Stelen des Sacharow Zentrums Moskau übersetzt und bearbeitet. In acht Abschnitten wird Sacharows Leben in kurzen Texten und großformatigen Fotos sowie Originalquellen dargestellt: Jeweils eine Tafel erläutert den historischen Hintergrund und eine zweite Sacharows Lebensstationen.

Die Stelen sind vom 21. Mai bis 16. Juli 2021 zu sehen, können aber auch online in einer PDF-Version aufgerufen werden. Die Ausstellung wird zeitgleich auch in Moskau und Kaunas eröffnet und soll ebenfalls im Europaparlament gezeigt werden. Die „Bremer“ Fassung wandert weiter nach Berlin und Köln.

„Trotz oder vielleicht gerade weil er die produktivsten Jahre seines Lebens der geheimen Kernwaffenforschung gewidmet hatte, verkörperte er danach wie kaum ein anderer die Einheit von Wissenschaft, Politik und Moral“, schreibt Michael Schaaf. „Er erkannte, dass im Nuklearzeitalter unpolitische und unmoralische Wissenschaft ebenso wie unwissenschaftliche und unmoralische Politik die Menschheit in den Abgrund führen können.“

Physik Journal / Universität Bremen / Alexander Pawlak

 

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