26.08.2020 • AstronomieAstrophysik

Sternenstaub vom Meeresgrund

Supernova-Spuren in Sedimenten aus der Tiefsee aufgespürt.

Unser Sonnensystem bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit durchs All. Dabei können geringe Spuren von inter­stellarem Material eindringen und auch auf die Erde gelangen. Ein internationales Forscherteam hat jetzt Tiefsee-Sediment­proben analysiert, die etwa tausend Kilometer vor der Südwestspitze Australiens entnommen wurden. Das Ergebnis: Die Erde wandert seit mindestens 33.000 Jahren durch eine inter­stellare Wolke.

Abb.: Anhand der Ablagerungen des interstellaren Isotops Eisen-60 in...
Abb.: Anhand der Ablagerungen des interstellaren Isotops Eisen-60 in Tiefsee-Sedimenten können Forscher mögliche Supernova-Explosionen aufspüren. (Bild: Juniks, HZDR / Adler, GSFC, NASA / Wesleyan, U. Chicago)

„Interstellare Wolken könnten Überreste früherer Supernova-Explosionen sein“, erklärt Anton Wallner, der die Forschungs­arbeiten an der Australian National University ANU in Canberra geleitet hat und jetzt am HZDR und der TU Dresden forscht. Bei Unter­suchungen von Tiefsee-Sedimenten aus dem Südost­indischen Becken waren die Forscher auf die Spur eines kontinuier­lichen Staub­eintrags aus dem interstellaren Raum gestoßen. Sedimente sind geologische Archive: Sie konservieren die Zusammen­setzung ihrer Umgebung über Millionen von Jahren hinweg. Das Haupt­augenmerk der Wissen­schaftler galt dem Gehalt der unter­suchten Sediment­schichten an einem sehr besonderen Isotop: Eisen-60.

In den letzten Jahrtausenden hat sich unser Sonnen­system durch eine dichtere Gas- und Staubwolke bewegt, die lokale inter­stellare Wolke, deren Ursprung bislang unklar ist. „Wäre diese Wolke in den letzten Millionen Jahren aus einer Supernova entstanden, würde sie Eisen-60 enthalten – deshalb interes­sieren wir uns gerade für Sedimente jüngeren Entstehungs­datums, also der Zeit, die der Reise durch die inter­stellare Wolke entspricht“, beschreibt Wallner die Grundidee des Projekts.

Eisen-60 entsteht, wenn masse­reiche Sterne als Supernova explodieren. Auf der Erde kommt es in natür­licher Form praktisch nicht vor. Eisen-60 selbst ist radio­aktiv und nach etwa 15 Millionen Jahren fast vollständig zerfallen und somit nicht mehr nach­weisbar. Auf der Erde vorhandenes Eisen-60 muss also deutlich jüngeren Ursprungs als die etwa 4,6 Milliarden Jahre alte Erde sein. Die Forscher nehmen an, dass eine nahe Supernova das Eisen-60 produziert hat, das dann seinen Weg auf den Meeres­boden und in die Sediment­ablagerungen fand.

Bereits bei früheren Unter­suchungen konnte das Team Spuren von Eisen-60 in etwa 2,6 Millionen Jahre alten Schichten und einen weiteren Eintrag vor etwa sechs bis sieben Millionen Jahren nachweisen. Ähnliche Ergebnisse lieferte außerdem vor kurzem eine Gruppe der TU München für antarkt­ischen Schnee. Das deutet darauf hin, dass die Erde in den vergangenen Jahr­millionen durch Staub­wolken reiste, die aus nahe gelegenen Supernovae entstanden sind. Aktuell nahmen die Wissen­schaftler jetzt die jüngeren Sedimente unter die Lupe. Ihre Methode der Wahl: die Beschleuniger-Massen­spektro­metrie (Accelerator Mass Spectro­metry, AMS).

Am DREAMS, dem Dresden Accelerator Mass Spectrometry-Labor des Helmholtz-Zentrums Dresden Rossendorf, bereiteten Silke Merchel und Jenny Feige zunächst die Sedimente chemisch auf. Im Anschluss daran wurde sowohl an DREAMS als auch an der AMS-Anlage VERA der Universität Wien das Alter der Proben bestimmt. Das Ergebnis: Die unter­suchten Sedimente über­streichen die letzten 33.000 Jahre und tragen demnach Informa­tionen über Veränderungen der Umwelt ab dem Jung­pleistozän in sich. Die ältesten Proben haben damit ein vergleich­bares Alter wie die ältesten bisher gefundenen fossilen Überreste früher menschlicher Bewohner des austra­lischen Kontinents.

An der HIAF-Anlage, der Heavy Ion Accelerator Facility der ANU suchten die Wissen­schaftler mit Hilfe eines äußerst empfind­lichen Beschleuniger-Massen­spektro­meters schließlich nach Eisen-60. Nur mit dieser Anlage können sie die milliarden­fach häufigeren Atome ähnlicher Masse abtrennen und einzelne Eisen-60 Atome nachweisen. Tatsächlich enthielten alle unter­suchten Sedimente Eisen-60. Die aufge­zeigten Konzen­trationen sind jedoch extrem niedrig: Insgesamt wies der Teilchen­detektor nur neunzehn einzelne Eisen-60-Atome nach.

Die Forscher schätzen, dass in den vergangenen 33.000 Jahren insgesamt nur sechzig Gramm Eisen-60 aus dem Sternenstaub verteilt über der gesamten Erde nieder­gegangen sind. Die beobachtete Verteilung des Eisen-60 im Sediment lässt sich einzelnen Epochen zuordnen und bezeugt die jüngste Reise unseres Sonnen­systems durch die lokale interstellare Wolke. Die Wissen­schaftler konnten den Eintrag des Isotops in die Sedimente zeitlich jedoch noch weiter zurück­verfolgen, in eine Zeit, als sich unser Sonnen­system außerhalb der aktuellen inter­stellaren Wolke befand.

Die mangelnde Korrelation mit der Dauer des Aufenthalts unseres Sonnen­systems in der lokalen inter­stellaren Wolke wirft Fragen auf: Wenn die Wolke selbst nicht ihren Ursprung in der Eisen-60 erzeugenden Supernova-Explosion hat, woher kam sie dann? Von früheren Supernova-Explosionen? Und warum ist Eisen-60 so gleichmäßig im lokalen inter­stellaren Raum verteilt? „In neueren Veröffent­lichungen weisen Kollegen darauf hin, dass das in Staub­partikeln einge­schlossene Eisen-60 im inter­stellaren Medium mehrmals reflektiert worden sein könnte, also gewisser­maßen herum­geschubst wurde“, erklärt Wallner. „Das nachge­wiesene Eisen-60 könnte also noch von älteren Supernova-Explosionen stammen und wir messen eine Art Echo dieser kosmischen Eruptionen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass weitere Messungen von Eisen-60 erforderlich sind, um diesen neuen Fragen nachgehen zu können.“

HZDR / RK

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