10.10.2019

Simulierte Moleküle

Quantensimulator soll die Quantenchemie von Molekülen nachahmen.

Neue Wirkstoffe suchen, neue Verfahren in der chemischen Industrie entwickeln: Computer­simulation von Molekülen oder Reaktionen sollen derlei beschleunigen. Doch selbst Supercomputer stoßen dabei schnell an Grenzen. Einen alternativen, analogen Weg zeigen nun Forscher des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching MPQ. Ein inter­nationales Team um Javier Argüello-Luengo, Doktorand am Institute of Photonic Sciences ICFO, Ignacio Cirac, Direktor und Leiter der Theorie­abteilung am MPQ, Peter Zoller, Direktor am Institut für Quantenoptik und Quanten­information in Innsbruck IQOQI, und andere hat nun erstmals eine Blaupause für einen Quanten­simulator entworfen, der die Quanten­chemie von Molekülen nachahmt. So wie man mit einem Architektur­modell die Statik des späteren Gebäudes prüfen kann, lassen sich mit dem Molekül­simulator Eigenschaften von Molekülen untersuchen. 

Abb.: Visua­lisierung des vorge­schlagenen Quanten­simulators. Hierin...
Abb.: Visua­lisierung des vorge­schlagenen Quanten­simulators. Hierin bewegen sich ultrakalte Atome in einem optischen Gitter und imitieren die Rollen von mole­kularen Atomen. (Bild: J. A. Luengo, MPQ)

Anhand des Beispiels Wasserstoff demons­trierte das Team mit Wissenschaftlern aus Garching, Barcelona, Innsbruck, Madrid und Beijing, wie der Quanten­simulator das Verhalten der Elektronenhülle eines realen Moleküls repro­duzieren kann. Außerdem zeigen sie, wie Experimental­physiker einen solchen Simulator schrittweise aufbauen können. „Unsere Ergebnisse bieten einen neuen Ansatz zur Erforschung der Phänomene in der Quantenchemie“, sagt Javier Argüello-Luengo. Chemiker haben daran großes Interesse, weil Computer sich mit der Simulation von chemischen Verbindungen schwertun. Denn Moleküle gehorchen der Quanten­physik. Ein Elektron in seiner Hülle etwa kann simultan links und rechts herum rotieren. Bei einem Verbund aus vielen Teilchen, wie einem Molekül, potenziert sich die Zahl dieser parallelen Möglich­keiten. Weil jedes Elektron mit jedem anderen wechselwirkt, wächst die Komplexität ins Uner­messliche.

Als Ausweg schlug der ameri­kanische Physiker Richard Feynman 1982 Folgendes vor: Quantensysteme simulieren, indem man sie als vereinfachte Modelle im Labor aus einzelnen Atomen regelrecht nachbaut. Die Paral­lelität der Möglichkeiten in der Quantenphysik wäre damit automatisch impliziert. Heute sind Quanten­simulatoren bereits im Einsatz, sie ahmen zum Beispiel Kristalle nach. Deren regelmäßiges, dreidimen­sionales Atomgitter imitieren Physiker durch viele sich kreuzende Laser­strahlen, einem optischen Gitter. Die Kreuzungs­punkte bilden so etwas wie Mulden in einem Eierkarton, in die Atome gefüllt werden. Durch Verstärken oder Abschwächen der Strahlen kann die Wechselwirkung zwischen den Atomen kontrolliert werden. So erhalten Forscher ein variables Modell, mit dem sie atomares Verhalten exakt studieren können.

Neu an dem Vorschlag ist die Idee, einen ähnlichen Aufbau für die Simulation eines Moleküls zu nutzen. Die Chemie eines Moleküls wird durch seine Elektronen­hülle bestimmt. Im theoretischen Modell der Garchinger Forscher übernehmen elektrisch neutrale Atome im optischen Gitter die Rolle der Elektronen. Die Atome können sich von Mulde zu Mulde im Eierkarton ähnlich frei bewegen, wie die Elektronen in der Hülle eines realen Moleküls. Die große Hürde dabei: Elektronen stoßen sich wegen ihrer gleichnamigen elektrischen Ladung voneinander ab. Diese Coulomb-Wechsel­wirkung wirkt bis über weite Entfernungen. Die Atome im Eierkarton wechsel­wirken aber nur mit ihrem direkten Nachbarn. „Zusätzlich müssen wir also auch die charak­teristische Abnahme der Coulomb-Wechsel­wirkung mit dem Abstand der simulierten Elektronen modellieren“, so Argüello-Luengo.

Um dieses Problem zu lösen, nahmen sich die Theoretiker als Vorbild, wie die Coulomb-Wechsel­wirkung in der Quanten­theorie beschrieben wird. Demnach gibt ein Elektron ein Photon ab, das ein anderes Elektron einfängt. Wie zwei Personen auf Rollschuhen, von denen eine der anderen einen Ball zuwirft, die diesen fängt. Dadurch rollen die Personen voneinander weg. Aus analogen Gründen stoßen sich die beiden Elektronen ab. Ähnlich gestalteten es die Garchinger Forscher in ihrem model­lierten Molekül. Zunächst wird jede Mulde im Eierkarton mit weiteren Atomen gefüllt. Jedes dieser einzelnen Atome kann über die Strahlung des Laserlichts energetisch angeregt werden. Die Hinter­grund-Atome bilden das Medium für die Übertragung der Wechselwirkung. Ein angeregtes Hintergrund-Atom reicht die Energie dann an seinen Nachbarn weiter, und dieser an den seinen und so weiter. Die Anregung bewegt sich wie ein Photon durch das Medium. „Die Anregung entsteht bevorzugt an den Orten, an denen eines der model­lierten Elektronen sitzt“, erklärt Argüello-Luengo. Das „Elektron“ und das angeregte Hintergrund-Atom stoßen sich ab. Wenn die weiter­reisende Anregung auf das zweite „Elektron“ trifft, wirkt die Abstoßung ebenfalls. So wird diese vermittelt. Die Wahrschein­lichkeit für so einen Austausch nimmt mit dem Abstand der beiden „Elektronen“ ab – genauso wie bei der Coulomb-Wechsel­wirkung.

Spannender­weise kann der von den Theoretikern vorge­schlagene Molekül­simulator auch viel größere Archi­tekturen modellieren als Wasserstoff. Man könne die Simulationen in Zukunft etwa nutzen, um sie mit herkömmlichen Computer­modellen zu vergleichen und diese entsprechend zu justieren. Der Physiker wagt einen Ausblick: „Unsere Arbeit eröffnet die Möglichkeit, die elek­tronischen Strukturen von Molekülen mit analoger Quanten­simulation effizient zu berechnen. Dadurch können wir chemische und bio­chemische Probleme bedeutend besser durchdringen, als es mit heutigen Computern möglich wäre“.

MPQ / JOL

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