23.06.2021

Rätsel um exotischen Supraleiter gelöst

Strontiumruthenat verhält sich doch ähnlich wie bekannte Hochtemperatur-Supraleiter.

Ein Messergebnis ist noch kein Beweis – das zeigt sich in der Wissenschaft immer wieder. Wirklich verlassen kann man sich auf ein Forschungs­ergebnis erst dann, wenn es mehrmals gemessen wurde, am besten von unter­schiedlichen Forschungsteams, auf etwas unter­schiedliche Weise. So lassen sich Irrtümer früher oder später aufdecken. Dass das aber manchmal auch recht lange dauern kann, zeigt eine neue Arbeit von Andrej Pustogow vom Institut für Festkörper­physik der TU Wien gemeinsam mit anderen internationalen Forschungsteams. Bei der Untersuchung von Strontium­ruthenat – einem Material, das für die Erforschung der Supraleitung eine wichtige Rolle spielt – konnte nun ein Experiment widerlegt werden, das in den 1990er Jahren Berühmtheit erlangte: Man glaubte, eine neuartige, exotische Form von Supra­leitung entdeckt zu haben. Wie sich nun herausstellt, verhält sich das Material aber ganz ähnlich wie bekannte Hoch­temperatur-Supraleiter. 

Abb.: Dieser Strontium­ruthenat-Kristall ist doch kein Triplett-Supraleiter....
Abb.: Dieser Strontium­ruthenat-Kristall ist doch kein Triplett-Supraleiter. (Bild: TU Wien)

Komplett verstanden ist die Supra­leitung bis heute nicht. Fest steht allerdings, dass dabei Cooper-Paare die zentrale Rolle spielen. So bewegen sich in einem Supraleiter die Elektronen in Paaren. Wenn die Elektronen in Cooper-Paaren gebunden sind, dann verlieren sie keine Energie durch Stöße und bewegen sich verlust­frei durch das Material. Entscheidend ist, welche Voraus­setzungen zu dieser Bildung von Cooper-Paaren führen.

„Aus quanten­physikalischer Sicht ist wichtig, welchen Spin diese zwei Elektronen haben“, sagt Andrej Pustogow. Bei den Cooper-Paaren kommt es zu einer Kopplung der Spins: in einem Singu­lett-Zustand zeigt der Spin des einen Elektrons nach oben und der des anderen nach unten. Die magne­tischen Momente kompensieren sich gegenseitig und der Gesamtspin des Paares ist somit immer null. Dieser Regel, der fast alle Supraleiter folgen, schienen sich allerdings die Cooper-Paare in Strontium­ruthenat zu widersetzen. Im Jahr 1998 wurden Ergeb­nisse publiziert, die auf Cooper-Paare hindeu­teten, in denen die Spins beider Elektronen in dieselbe Richtung zeigen, ein Spin-Triplett. „Das würde völlig neue Anwendungen ermög­lichen“, erklärt Andrej Pustogow. „Solche Triplett-Cooper-Paare hätten dann nämlich keinen Gesamtspin von null mehr. Dadurch könnte man sie mit Magnet­feldern mani­pulieren und mit ihnen verlustfrei Information trans­portieren, was für Spintronik und mögliche Quanten­computer interessant wäre.“

Das sorgte für großes Aufsehen, nicht zuletzt, weil Strontium­ruthenat auch aus anderen Gründen als besonders wichtiges Material für die Supraleitungs­forschung galt: Seine Kristall­struktur ist identisch mit jener der Cuprate, das sind Kupfer­verbindungen, die Hoch­temperatur-Supraleitung aufweisen. Während letztere gezielt mit Unrein­heiten versehen werden, um Supra­leitung möglich zu machen, ist Strontium­ruthenat bereits in seiner reinen Form supraleitend.

„Wir haben dieses Material eigentlich aus einem ganz anderen Grund untersucht“, sagt Andrej Pustogow. „Doch dabei stellten wir fest, dass diese alten Messungen nicht stimmen können.“ Das inter­nationale Team konnte 2019 zeigen, dass der angeblich exotische Spin-Effekt nur ein Mess­artefakt war: Die gemessene Temperatur stimmte nicht mit der tat­sächlichen Temperatur der unter­suchten Probe überein, in Wahrheit war die damals untersuchte Probe gar nicht supraleitend. Mit dieser Erkenntnis im Hinter­kopf wurde die Supraleitung des Materials nun mit großer Sorgfalt neu untersucht. Die neuen Ergebnisse zeigen eindeutig, dass Strontium­ruthenat kein Triplett-Supraleiter ist. Vielmehr entsprechen die Eigen­schaften dem, was man auch bereits von den Cupraten kennt.

Enttäuschend findet Andrej Pustogow das allerdings nicht: „Es ist ein Ergebnis, das unser Verständnis der Hoch­temperatur-Supra­leitung in diesen Materialien wieder einen Schritt nach vorne bringt. Die Erkenntnis, dass Strontium­ruthenat ähnliches Verhalten zeigt wie die Cuprate bedeutet zwar einerseits, dass wir es nicht mit einem exotischen, neuen Phänomen zu tun haben, aber andererseits heißt es auch, dass wir ein neues Material haben, an dem wir bereits bekannte Phänomene untersuchen können.“ Dafür eignet sich extrem reines Strontium­ruthenat besser als bisher bekannte Materialien. Es bietet ein viel saubereres Testfeld als die Cuprate. 

Zusätzlich lernt man daraus auch etwas über die Zuver­lässigkeit alter, allgemein anerkannter Publi­kationen: „Eigentlich könnte man ja denken, dass Ergebnisse in der Festkörper­physik kaum falsch sein können“, meint Pustogow. „Während man sich in der Medizin vielleicht mit einigen wenigen Labor­mäusen oder einer Stichprobe von tausend Test­personen zufrieden­geben muss, untersuchen wir in einem einzigen Kristall Milliarden von Milliarden Elektronen. Das erhöht die Zuver­lässigkeit unserer Ergebnisse. Aber das heißt eben noch nicht, dass jedes Ergebnis auch völlig korrekt ist. Wie überall in der Wissenschaft ist auch in unserem Fachbereich das Repro­duzieren früherer Ergebnisse unver­zichtbar – und genauso das Falsi­fizieren.“

TU Wien / JOL

Weitere Infos

Weiterbildung

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie
TUM INSTITUTE FOR LIFELONG LEARNING

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie

Vom eintägigen Überblickskurs bis hin zum Deep Dive in die Technologie: für Fach- & Führungskräfte unterschiedlichster Branchen.

Virtuelle Jobbörse

Virtuelle Jobbörse
Eine Kooperation von Wiley-VCH und der DPG

Virtuelle Jobbörse

Innovative Unternehmen präsentieren hier Karriere- und Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren Berufsfeldern.

Die Teilnahme ist kostenfrei – erforderlich ist lediglich eine kurze Vorab-Registrierung.

Meist gelesen

Themen