13.04.2021 • Quantenphysik

Quantenboost für klassische Kühltechnik

Neues Material verbessert magnetische Kühlung nahe dem absoluten Nullpunkt.

Effektive Kühlung bis zu Temperaturen am absoluten Null­punkt ist sowohl für die Grund­lagen­forschung als auch für den Betrieb künftiger Quanten­computer erforder­lich. Eine seit langem bekannte Kühl­technik basiert auf der adiaba­tischen Ent­magneti­sierung para­magne­tischer Salze. Ein Forschungs­team der Uni Augsburg entwickelte dafür jetzt eine chemische Verbindung, in der Quanten­ffekte magnetischer Ordnung sehr stark entgegen­wirken. Die neue Verbindung zeigt exzellente Kühl­eigen­schaften und praktische Vorteile gegen­über etablierten Kühl­substanzen.

Abb.: Eine Reduktion des Magnet­felds von fünf auf null Tesla bewirkt die...
Abb.: Eine Reduktion des Magnet­felds von fünf auf null Tesla bewirkt die Ab­kühlung einer KBaYb(BO3)2-Probe von zwei Kelvin auf 0.022 K, die länger als eine Stunde stabil ist. (Bild: U. Augs­burg)

Bislang lassen sich ultratiefe Temperaturen mit speziellen Kühlern erreichen, in denen eine Mischung der Helium­isotope 3He und 4He zirkuliert. Diese Anlagen sind sehr aufwändig und teuer in der Anschaffung. Insbesondere das Isotop 3He hat wegen seiner Selten­heit einen extrem hohen Preis. „Helium­kosten verursachen bereits jetzt einen hohen Anteil unseres Forschungs­etats“, sagt Philipp Gegenwart von der Uni Augsburg, der mehrere Ultra-Tief­temperatur­anlagen betreibt. „Der finan­zielle Druck zwingt uns, helium­freie Techno­logien in den Blick zu nehmen.“

Eine kostengünstigere Alternative ist die adiabatische Entmagneti­sierung. Sie nutzt an Stelle von Helium spezielle magnetische Materialien, deren Elementar­magnete, also die Spins, in einem angelegten Feld ausge­richtet werden können. Die Entropie, Maß für die Unordnung der Spins, ist dann bei einer Ausgangs­temperatur von noch einigen Kelvin, welche sich mit Vorkühl­stufen erreichen lässt, bereits sehr gering. „Temperatur und Entropie sind durch fundamen­tale Gesetze verknüpft”, so Yoshi Tokiwa von der Uni Augsburg. „Wird das Magnetfeld adiabatisch, also ohne Wärme­aus­tausch mit der Umgebung, reduziert, bleibt die Entropie des Materials konstant gering. Da die geringe Unordnung ohne Feld aber nur bei sehr niedriger Temperatur auftreten kann, erfolgt eine Abkühlung auf sehr tiefe Temperaturen.”

Die erreichbare Minimaltemperatur wird durch einsetzende magnetische Ordnung begrenzt. Seit langem werden para­magnetische Salze, die ausreichend niedrige Ordnungs­temperaturen aufweisen, als Kühl­materialien eingesetzt. In diesen Materialien werden die Spins durch im Kristallgitter eingebaute Wasser­moleküle auf Abstand gehalten. Genau das führt jedoch zu einer niedrigen Spindichte und damit geringer Kühl­leistung pro Volumen, chemischer Instabilität und daher sehr aufwändiger Handhabung.

Die Gruppe der Uni Augsburg erforscht Materialien, in denen magnetische Ordnung durch Quanten­effekte behindert wird und statt­dessen Spin­flüssig­keits­verhalten auftritt. „Das bedeutet aber nicht, dass diese Materialien Flüssig­keiten wären. Es sind kristal­line Fest­körper, deren Spins stark wechsel­wirken, sich jedoch nicht starr ausrichten können, analog zu den Teilchen in einer Flüssig­keit”, erklärt Alexander Tsirlin von der Uni Augsburg. Bislang war dieses Forschungs­thema lediglich aus Sicht der Grund­lagen­forschung hoch­interessant. Mit der Entdeckung exzel­lenter magnetischer Kühl­eigen­schaften eines solchen Materials wird nun eine Brücke zu Anwendungen geschlagen. Die Verbindung KBaYb(BO3)2 – Kalium-Barium-Ytterbium-Borat – wurde gezielt erforscht, weil ihre Spins konkur­rierende Wechsel­wirkungen aufweisen, welche einen flüssig­keits­artigen Quanten­zustand begünstigen können. Die Forscher erzielten eine starke Kühlung bis hinab zu 0,022 Kelvin durch Magnet­feld­reduktion von fünf auf null Tesla.

Da die Verbindung chemisch stabil ist, einfach und kosten­günstig herge­stellt und gut verarbeitet werden kann, hat sie das Potenzial, etablierte para­magnetische Salze mit den oben beschriebenen Nach­teilen zu ersetzen. Ihre Nutzung zur Erzielung ultra­tiefer Temperaturen im Labor wurde bereits gezeigt. Ein breiteres Anwendungs­potenzial ergibt sich durch Kombination mehrerer unabhängig vonein­ander magneti­sierbarer KBaYb(BO3)2-Bauteile in einem Kreis­prozess, der kontinuier­liches Kühlen ermöglichen könnte, wie es zum Beispiel zum Betrieb von Quanten­computern erforderlich ist. Die Arbeits­gruppe hat ein Gebrauchs­muster angemeldet und erhält zur Anbahnung von Industrie­koopera­tionen für die Umsetzung der Idee Unter­stützung aus dem Projekt Wissens­transfer Region Augsburg.

Uni Augsburg / RK

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