13.06.2022

Galaktische Volkszählung

Die Gaia-Mission veröffentlicht den bisher umfangreichsten Datensatz zu Sternen in der Milchstraße und Objekten darüber hinaus.

Jede Datenveröffentlichung der Gaia-Mission der Europäischen Weltraumorganisation ESA stellt einen neuen Rekord dar, so auch der „Gaia Data Release 3“ (Gaia DR3), der am 13. Juni freigeschaltet wurde: Die bisher umfangreichste „galaktische Volkszählung“ erfasst rund 1,8 Milliarden Sterne in der Milchstraße und darüber hinaus eine Fülle von Objekten außerhalb unserer Galaxis und in unserem Sonnensystem. Jeder Bereich der Astronomie profitiert von den Gaia-Daten, von der Erforschung der Asteroiden bis zur Kosmologie.

Zu den Highlights gehört die größte Zählung von Doppelsternsystemen in der Milchstraße, die bislang stattgefunden hat und sich auf 813.000 beläuft. Außerdem gelang es, die Positionen von rund 156.000 kleinen Körpern in unserem Sonnensystem sowie zahlreiche Transits von Exoplaneten zu beobachten und zu dokumentieren.

Die neuen Daten der Gaia-Mission zu 1,8 Milliarden Sternen in der Milchstraße...
Die neuen Daten der Gaia-Mission zu 1,8 Milliarden Sternen in der Milchstraße (Graphik: ESA)

Das „Data Processing and Analysis Consortium“ (DPAC) verarbeitet die riesigen Datenmengen aus dem All: Rund 400 Forschende sowie Softwareingenieur:innen arbeiten in sechs verschiedenen Rechenzentren in ganz Europa. Die so aufbereiteten Daten nutzten Forschende weltweit bereits erfolgreich: Seit Beginn der Mission bilden die Informationen von Gaia die Grundlage für rund 8000 wissenschaftliche Veröffentlichungen.

Am 3. Dezember 2020 wurde mit dem Gaia Early Third Data Release (eDR3) ein erster Teil der Daten über mehr als 1,8 Milliarden astronomische Quellen zugänglich, zum größten Teil Sterne der Milchstraße, aber auch andere Galaxien oder Quasare. Diese Daten enthielten weder neue astrophysikalische Parameter noch neue veränderliche Sterne oder Objekte im Sonnensystem. Diese sind nun Teil des vollständigen Gaia DR3, der Zahlenwerte für Sternpositionen, Entfernungen, die Helligkeit von Quellen in verschiedenen Filterbändern und die zeitlichen Schwankungen jener Helligkeiten liefert. 

Ein Teil der veröffentlichten Daten wurde mit Hilfe der Gaia-Gruppe am Max-Planck-Institut für Astronomie unter der Leitung von Coryn Bailer-Jones gewonnen: Zum einen astrophysikalische Parameter wie Temperatur und chemische Zusammensetzung, die sich aus den Beobachtungsdaten mit ausgefeilten Analyseverfahren erschließen, zum anderen Informationen zur Klassifizierung der erfassten Objekte, die es den Astronom:innen beträchtlich erleichtern, die Gaia-Daten für ihre Forschung zu nutzen.

Ein wichtiger Parameter, zu dem Gaia für viele der beobachteten Sterne Informationen liefert, ist deren chemische Zusammensetzung, die sogenannte „Metallizität“ der Sterne. Dabei bezeichnen Metalle in astronomischen Beobachtungen alle Elemente außer Wasserstoff und Helium.

Der Datensatz enthält außerdem Informationen zu den Objektklassen und gibt beispielsweise an, ob es sich bei einer bestimmten Quelle um einen Stern, eine Galaxie oder einen Quasar handelt. Für einen wichtigen Teil dieser Zusatzinformationen ist die Gruppe von Coryn Bailer-Jones am Max-Planck-Institut für Astronomie verantwortlich: Sie war maßgeblich an der Entwicklung der „Gaia-Klassifizierungsmaschine“ beteiligt, die statistische Verfahren einsetzt, um den von Gaia entdeckten Quellen wahrscheinliche Objektklassen zuzuordnen.

Die Analyse von Bailer-Jones und seinen Kolleg:innen ermöglicht es außerdem, die Staubmenge zwischen fernen Sternen und der Erde zu rekonstruieren. Ähnlich wie Staub das Sonnenlicht bei Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang rötlich färbt, rötet kosmischer Staub das Sternenlicht auf charakteristische Weise. Daraus lässt sich eine dreidimensionale Karte der Verteilung kosmischen Staubs in der Milchstraße rekonstruieren. Diese Karte hilft wiederum Astronom:innen, die Himmelsobjekte innerhalb oder außerhalb der Milchstraße beobachten, den Einfluss des Staubs bei der Auswertung ihrer Messungen angemessen zu berücksichtigen.

Der Gaia-DR3-Katalog ist die bisher größte astronomische Datenveröffentlichung. „Wir erleben ein Stück Wissenschaftsgeschichte und das Öffnen einer Schatzkammer, ähnlich wie es die Öffnung der Grabkammer des Tutenchamun vor 100 Jahren für die Archäologie war“, betonte Guido Thimm vom Astronomischen Rechen-Institut (ARI) in Heidelberg. 

Für die Zukunft sind derzeit zwei weitere Veröffentlichungen geplant. Der vierte Gaia-Katalog wird auf Daten der ersten fünf Jahre seit dem Start von Gaia basieren und soll bis Ende 2025 veröffentlicht werden. Er wird sowohl vollständige astrometrische und photometrische Daten für fast zwei Milliarden Sterne enthalten, als auch eine Liste veränderlicher Sterne, multipler Sternsysteme und Exoplaneten. Aufgrund einer möglichen Missionsverlängerung bis 2025 ist ein fünfter Katalog vorgesehen, der voraussichtlich im Jahr 2030 publiziert werden soll.

Bei der ESA-Mission Gaia arbeiten mehr als 20 Länder zusammen. Deutschland leitet die Koordinationseinheit, die sich mit der Bestimmung der astrometrischen Ergebnisse innerhalb des Datenverarbeitungs- und Analysekonsortiums DPAC beschäftigt. Der von der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) finanzierte deutsche Beitrag umfasst das Astronomische Rechen-Institut (Universität Heidelberg), das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam, das Max-Planck-Institut für Astronomie (Heidelberg) und das Lohrmann-Observatorium an der Technischen Universität Dresden. Das Max-Planck-Institut für Astrophysik (Garching) ist an der spektroskopischen Datenauswertung für Gaia DR3 beteiligt. An der ersten Ausgabe des Katalogs waren auch die Hamburger Sternwarte und die Universität Bremen beteiligt.

DLR / MPIA / Alexander Pawlak
 

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