04.12.2020 • AstronomieAstrophysik

Die galaktische Fundgrube

Die neuen Daten der Gaia-Mission sind veröffentlicht. Sie liefern Hinweise auf eine Kollision mit einer Zwerggalaxie und die Beschleunigung des Sonnensystems.

Passend zum dritten Dezember öffnete sich für die weltweite Astronomie-Community das dritte „Türchen“ der Gaia-Mission, die seit 2014 vom Weltraum aus die Milchstraße vermisst. Der Gaia Early Third Data Release (EDR3) macht detaillierte Daten über mehr als 1,8 Milliarden astronomische Quellen zugänglich, zum größten Teil Sterne der Milchstraße, aber auch andere Galaxien oder Quasare.

Die Zahl der vermessenen Objekte ist um mehr als 100 Millionen Quellen gegenüber der vorherigen Datenveröffentlichung (Gaia DR2) vom April 2018 gewachsen. Gaia EDR3 enthält nun Farbinformationen für rund 1,5 Milliarden Quellen, was einen Anstieg um 200 Millionen gegenüber Gaia DR2 bedeutet. Außerdem hat sich die allgemeine Genauigkeit und Präzision der Messungen verbessert.

Zur Datenveröffentlichung erscheinen auch vier „Demonstrations-Paper“, welche die neuen Daten und die verbesserte Qualität illustrieren. Eins davon befasst sich mit der Bewegung der Sterne in den Außenbezirken unserer Galaxie. Mit Hilfe von Gaia DR2 hatten Mitglieder des DPAC bereits eine subtile Welle in der Bewegung von Millionen von Sternen festgestellt, die auf die Begegnung mit der Sagittarius-Zwerggalaxie vor etwa 300 bis 900 Millionen Jahren hindeutete. Mit Gaia EDR3 finden sich nun Belege für stärkere Auswirkungen auf die Sternenscheibe unserer Galaxie.

Dafür verfolgte Gaia verschiedene Populationen älterer und jüngerer Sterne bis an den äußersten Rand unserer Galaxie, gewissermaßen in Richtung des „Antizentrums“, also entgegengesetzt zum galaktischen Zentrum. Die Daten zeigen, dass es Sterne oberhalb der galaktischen Ebene gibt, die sich langsam nach unten in Richtung der Ebene bewegen, und unterhalb der Ebene solche, die sich schnell nach oben bewegen. Dieses außergewöhnliche Muster, das weder vermutet noch vorhergesagt worden war, könnte das Ergebnis der Beinahe-Kollision zwischen der Milchstraße und der Sagittarius-Galaxie sein, die nur einige Dutzend Millionen Sterne enthält, wenig im Vergleich zu den rund 100 Milliarden Sternen der Milchstraße.

Die neuen Daten haben es Astronominnen und Astronomen ermöglicht, die Beschleunigung des Sonnensystems zu messen. Anhand der gemessenen scheinbaren Bewegungen von extrem weit entfernten Quasaren ergab sich für die Beschleunigung des Sonnensystems 0,23 nm/s2. Aufgrund dieser winzigen Beschleunigung wird die Flugbahn des Sonnensystems jede Sekunde um den Durchmesser eines Atoms abgelenkt: In einem Jahr summiert sich dies auf 115 Kilometer. Die von Gaia gemessene Beschleunigung zeigt eine gute Übereinstimmung mit den theoretischen Erwartungen und liefert die erste Messung der Krümmung der Umlaufbahn des Sonnensystems in der Milchstraße in der Geschichte der optischen Astronomie.

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Mit Gaia EDR3 gelang auch eine neue Zählung der Sterne in der solaren Nachbarschaft. Der Gaia-Katalog der sonnennahen Sterne enthält 331.312 Objekte, das entspricht etwa 92 Prozent der Sterne, die bis 100 Parsecs (326 Lichtjahre) von der Sonne entfernt sind. Die vorangegangene Zählung der solaren Nachbarschaft, der so genannte Gliese-Katalog der nahen Sterne, wurde 1957 durchgeführt. Er enthielt ursprünglich nur 915 Objekte, wurde aber 1991 auf 3803 Himmelsobjekte aktualisiert. Die Entfernung war dabei allerdings auf 82 Lichtjahre beschränkt: Gaias Zählung reicht viermal so weit und enthält 100-mal mehr Sterne. Außerdem liefert sie Orts-, Bewegungs- und Helligkeitsmessungen, die um Größenordnungen präziser sind als die alten Daten.

Eine vierte Veröffentlichung analysiert die Große und Kleine Magellansche Wolke, zwei Satellitengalaxien der Milchstraße. Nachdem die Bewegung der Sterne der Großen Magellanschen Wolke mit größerer Genauigkeit als zuvor gemessen wurde, zeigt Gaia EDR3 deutlich, dass die Galaxie eine spiralförmige Struktur besitzt. Die Daten lösen auch einen Strom von Sternen auf, der aus der Kleinen Magellanschen Wolke herausgezogen wird, und deuten auf bisher ungesehene Strukturen in den Außenbezirken beider Galaxien hin.

„Gaia ist eine Ausnahme-Mission, die bislang 6000 wissenschaftliche Veröffentlichungen quer durch alle Gebiete der Astronomie hervorgebracht hat. Wie viel Potenzial darin steckt, ist unüberschaubar“, sagte Michael Biermann vom Astronomischen Rechneninstitut der Universität Heidelberg, wo ein Team den ersten prüfenden Blick auf die Daten von Gaia wirft.

Die Arbeit mit den Daten von EDR3 begann unmittelbar nach der Veröffentlichung. Bereits wenige Minuten nach Freigabe der Daten gab es 14.000 Zugriffe von 200 Nutzern aus 34 Ländern. Dabei ist EDR3 nur der erste Abschnitt einer zweiteiligen Veröffentlichung; die vollständige Datenfreigabe 3 ist für 2022 geplant.

Alexander Pawlak

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