30.09.2019 • VakuumMedizinphysik

Elektronenstrahl-Behandlung verlängert Funktionsdauer biologischer Herzklappenprothesen

Stabilisierung und Sterilisation von dezellularisiertem Perikard-Gewebe durch foto-initiierte ultraviolette Quervernetzung.

Jährlich werden weltweit ca. 300 000 Operationen zur Behandlung von Herzklappenerkrankungen durchgeführt. Allein in Deutschland wird jedes Jahr bei 30.000 Menschen eine neue Herzklappe implantiert. Jede Herzklappe durchläuft während eines menschlichen Lebens etwa 2,6 Billionen Öffnungs- und Verschlusszyklen. Hauptursache für eine Klappenerkrankung sind degenerative Veränderungen der Herzklappen, insbesondere der Hauptschlagaderklappe (Aortenklappe). Dabei kommt es zu Verkalkungen der Klappentaschen, die zu einer hochgradigen Klappenverengung (Stenose) und damit zu einem erhöhten Widerstand für den Herzmuskel führt. Initial kann der Herzmuskel diesen erhöhten Widerstand durch Verdickung (Hypertrophie) der Muskelanteile kompensieren. Nach längerer Zeit reicht auch dies nicht aus und es kommt zu Funktionsstörungen des Herzmuskels mit einer Einschränkung der Auswurfleistung von sauerstoffreichem Blut in den Körperkreislauf. Die Konsequenz: der Patient entwickelt eine Herzschwäche. Symptome hierfür sind deutliche Abgeschlagenheit, starke Leistungseinschränkung, Luftnot, Brustschmerz und akute Bewusst­losigkeit. Erfolgt keine rechtzeitige Therapie, ist dies oft mit dem Tod des Patienten verbunden.

Abb.: Behandlung von dezellularisiertem Perikard-Gewebe. (Bild: Fraunhofer FEP)
Abb.: Behandlung von dezellularisiertem Perikard-Gewebe. (Bild: Fraunhofer FEP)

Die einzige Therapieoption für die hochgradige Klappenverengung ist der operative Klappenersatz im Rahmen einer Herzoperation. Medikamentöse Therapieansätze zur Auflösung der Klappenveränderungen stehen nicht zur Verfügung. Der Herzklappenersatz ermöglicht durch sofortiges Herabsetzen des Klappenwiderstandes eine rasche Verbesserung der Herzfunktion und damit eine rasche Verbesserung der Beschwerden des Patienten bis hin zu einer völlig normalen Lebensqualität und Lebensprognose.

Prinzipiell ergibt sich bei der Klappenauswahl die Möglichkeit eines mechanischen (künstlichen) oder eines biologischen Klappenersatzes. Bei der Prothesenwahl werden neben dem Alter des Patienten auch Faktoren wie Lebenserwartung, Lebensstil und weitere Nebenerkrankungen berücksichtigt.

Grundlage zur Herstellung von mechanischen Prothesen sind inerte Verbundwerkstoffe unter Einsatz von Titan. We­sent­licher Vorteil ist dabei die Langlebigkeit der Implantate ohne wesentliche Abnutzung, so dass in der Regel nur ein einziger operativer Eingriff notwendig ist. Allerdings kann es an den Kontaktflächen zur Bildung von Blutgerinnseln (Thromben) kommen. Deshalb ist eine lebenslange medikamentöse Behandlung mit blutverdünnenden Medikamenten erforderlich, was mit einem erhöhten Blutungsrisiko für den Patienten verbunden ist.

In den letzten Jahren lässt sich ein deutlicher Trend zur Verwendung von biologischen Prothesen erkennen. Bio­pro­thesen werden v.a. aus Rinderperikard (Herzbeutel) oder Schweineherzklappen gefertigt. Der wesentliche Vorteil ergibt sich durch die fehlende Notwendigkeit einer dauerhaften Blutverdünnung, da es sich um nicht thrombogenes Material handelt. Nachteilig ist die eingeschränkte Funktionsdauer von biologischen Prothesen. Nach 10-15 Jahren kommt es bei 30-40 % aller Patienten zu ähnlichen degenerativen Veränderungen wie bei der nativen Klappe mit einer entsprechenden Klappenverengung. Die Folge: der Patient leidet unter den gleichen Symptomen wie vor der Operation und ein erneuter Klappenersatz ist notwendig.

Ursachen für diese Prothesendegeneration liegen mutmaßlich im Herstellungsprozess. Um Stabilität und Sterilität der Bio­pro­thesen zu gewährleisten und Immunreaktionen vorzubeugen, wurde in den 1970er Jahren der – noch heute aktuelle – Goldstandard, die Vorbehandlung des biologischen Gewebes mit der zytotoxischen Substanz Glutaraldehyd entwickelt. Toxische Rückstände und die begünstigte Kalziumablagerung verursachen den frühzeitigen Funktionsverlust der Bio­pro­thesen. Trotz zahlreicher alternativer Vorbehandlungsmethoden konnte Glutaraldehyd bisher nicht durch Alternativen ersetzt werden.

Am Fraunhofer FEP, im Bereich Medizinische und Biotechnologische Applikationen, wurde in Zusammenarbeit mit der Forschungsabteilung der Klinik für Herzchirurgie der Medizinischen Fakultät CGC der TU Dresden das SULEEI-Verfahren entwickelt. Dabei handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode von dezellu­larisiertem Perikard-Gewebe zur Stabilisierung und Sterilisation (S) durch foto-initiierte ultraviolette Quervernetzung (U) mit niederenergetischem Elek­tro­nen­strahl (LEEI). Die Wissenschaftler der Klinik für Herzchirurgie erforschen die Pathogenese der Aorten­klappen­stenose, die meist mit der Verkalkung des Gewebes, der Sklerose, einhergeht.

Simona Walker, Doktorandin des Fraunhofer FEP, erklärt die Innovation: “Das SULEEI-Verfahren ist eine einzigartige Kombination zweier Wirkungsweisen: Es ist ein Mehrkomponentenverfahren, in dem im ersten Schritt das dezellu­larisierte biologische Gewebe durch eine Vitamin-B2-UV-Behandlung neu vernetzt wird. Dieser Effekt wird durch eine nachträgliche Behandlung mit niederenergetischen Elektronen noch verstärkt. Die Elektronen erzielen dabei gleich mehrere Wirkungen. Es werden Vernetzungsgrade ähnlich der bekannten Glutaraldehyd-Behandlung erzielt. Somit werden durch die Verwendung nicht-toxischer Substanzen die allgemeine Biokompatibilität, also Verträglichkeit, erhöht und gleichzeitig werden nachträgliche Sterilisationsschritte unnötig.“

„Die Kooperation mit dem Fraunhofer FEP ermöglicht die Weiterentwicklung eines auch für den Patienten bedeutenden Konzeptes der Verbesserung der Haltbarkeit von biologischen Aortenklappenprothesen.“, fasst Prof. Dr. med. Sems-Malte Tugtekin, Leiter der Forschungsabteilung der Klinik für Herzchirurgie, zusammen.

FEP / LK

 

 

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