20.05.2022 • VakuumEnergie

Ein Neuntel des ITER-Herzens in Position gehievt

Weltweit größtes Fusionsprojekt erreicht wichtigen Meilenstein bei der Montage.

Mit einem Innen­volumen von 1400 m³ ist das ITER-Vakuum­gefäß einzig­artig. Es kann ein Plasma von 840 m³ auf­nehmen und ist damit zehnmal größer als der größte Tokamak, der heute in Betrieb ist. Das ITER-Vakuum­gefäß wird einen Außen­durchmesser von 19,4 Metern haben und 11,4 Meter hoch sein. Mit dem Einbau von Kompo­nenten inner­halb der Kammer, wie z. B. dem Blanket und dem Divertor, erhöht sich das ur­sprüng­liche Gewicht der An­ordnung von etwa 5.200 Tonnen insgesamt auf 8.500 Tonnen. Bei diesen Aus­maßen wird der Zusammen­bau des Rezi­pienten mit Spannung verfolgt.

Abb.: Sechs Stock­werke hoch und so schwer wie vier voll be­ladene Boeing...
Abb.: Sechs Stock­werke hoch und so schwer wie vier voll be­ladene Boeing 747: Das erste von neun Seg­men­ten der ITER-Vakuum­kammer, in der – wenn alles plan­:mäßig ver­läuft – Ende 2025 erst­malig das Fusions­plasma ge­zündet werden soll, wurde milli­meter­genau posi­tioniert. (Bild: ITER)

Am 11. Mai – nur wenige Tage vor dem zu frühen Tod von ITER-General­direktor Dr. Bernard Bigot – wurde die erste Unter­einheit der ITER-Plasma­kammer erfolg­reich aus den Vor­rich­tungen gehoben und in das Maschinen­gehäuse abgesenkt. Ein spekta­kulärer Vorgang: Das schiere Gewicht des Bau­teils – samt Auf­hängung sind es 1.380 Tonnen – lastete die nomi­nellen Hub­kapazität von 1.500 Tonnen des doppelten Brücken­krans in der ITER-Montage­halle fast aus. Die mehr­fache Auf­hängung, die zu der ohnehin schon hohen Last hinzukam, ließ den Kran­führern einen Spiel­raum von nur 20 cm Abstand zur Beton­wand der Montage­halle. Die Teams hielten die milli­meter­genauen Tole­ranzen bei der Positionierung eines Bauteils ein, das sechs Stockwerke hoch aufragt und so viel wiegt wie vier voll beladene Boeing 747.

Das erste so posi­tio­nierte innere Segment der ITER-Maschine stellt ein Neuntel der toro­idalen Plasma­kammer dar. Es handelt sich um eine modulare Bau­gruppe, die aus einem 40°-Vakuum­gefäß­sektor mit silber­beschichteten Hitze­schilden und zwei D-förmigen vertikalen supra­leitenden Elektro­magneten, den toro­idalen Feldspulen, besteht. Acht weitere ver­gleich­bare Baug­ruppen werden die gesamte Kammer und den sie um­geben­den Toroid­feld­spulen­aufbau bilden.

Das ITER-Team hatte sich seit vielen Monaten aktiv auf diese wichtige Aktion vorbereitet. Die Her­stellung des Segments erfolgte zwischen April und Dezember 2021 auf speziellen Vor­rich­tungen in der ITER-Montage­halle. Die Kompo­nen­ten wurden zunächst auf einer eigens ange­passten auf­richtenden Halte­rung in die Senk­rechte gehoben und auf ein stehendes Werk­zeug gesetzt, das in der Lage ist, den Vakuum­gefäß­sektor in der Mitte anzudocken und die anderen Kompo­nenten auf seinen Flügeln zu drehen. Spezielle Be­festigungs­elemente, die den Schwer­punkt der Last und die Drehung des Bauteils steuern können, um es mit den bereit­stehenden Stützen in der Tokamak-Grube aus­zu­richten, wurden sowohl einzeln als auch im Tandem getestet. Eine Woche zuvor über­prüften die Montage­teams in einem umfassenden Pre-Lift-Test alle Abläufe.

Fünf der sieben nationalen ITER-Agen­turen (Domestic Agencies), die im Auftrag der jeweiligen Regierungen der Be­schaffungs­ver­antwortung ihres Landes im Projekt nach­kommen, waren an dem erfolg­reichen Meilen­stein beteiligt. Der Vakuum­gefäß­sektor Nr. 6, der im Mittelpunkt der Montage stand, und die dazu­gehörige thermi­sche Ab­schirmung wurden von der Kore­anischen Domestic Agency produ­ziert und gelie­fert. Indien stellte die Ab­schir­mung innerhalb der Doppel­wände des Sektors her, Russland lieferte den oberen Anschluss, und die Toro­idal­feldspulen (TF12 und TF13) stammen aus Japan. Korea entwarf und baute auch das Aufricht­werk­zeug, die riesigen Werk­zeuge für die Unter­montage des Sektors, die Hebe­vor­richtung, die sich am nächsten an der Last befindet, und das Säulen­werkzeug in der Grube, das den Vakuum­behälter während des Schweißens stützt, während Europa die Brücken­kräne und die Vor­richtung für das Zusammen­wirken aller Kräne lieferte. Vor Ort wurden die Arbeiten vom Bau­team der ITER-Organi­sation und dem beauf­tragten Unter­nehmen Momentum ko­ordi­niert und von dem für die Tokamak-Montage zu­ständigen Unter­nehmes­konsortium Dynamic SNC, dem Kran­betreiber Foselev mit Unter­stützung von Mess­techni­kern ausgeführt.

Abb.: Monate der Übung und Vor­be­rei­tung haben sich ge­lohnt: Blick von...
Abb.: Monate der Übung und Vor­be­rei­tung haben sich ge­lohnt: Blick von einer Kom­mando­zen­trale auf die Toka­mak-Grube, wo der erste Teil der ITER-Plasma­kammer lang­sam auf die bereit­stehen­den Stützen herab­gelassen wird. (Bild: ITER)

Seit Mai 2020 setzen die ITER-Montageteams den Reaktor zusammen. Erfolg­reiche neue Vorgänge – wie jetzt die Posi­tionierung des Kammer­segments – bestä­tigen die Planungs­annahmen und senken das Risiko für vergleich­bare Ope­rationen in der Folgezeit. So wird dieser Erfolg dann auch in der gesamten ITER-Gemein­schaft als ein wichtiger Meilen­stein der Montage gefei­ert, der das Projekt dem ersten Plasma einen weiteren Schritt näher­bringt.

Zunächst hängt das Bau­teil noch etwa 50 Zentimeter über seinen end­gültigen Halte­rungen in der Montagegrube, während das Montage­team die letzten Posi­tionierungs­arbeiten durch­führt. An­schließ­end wird es auf die Halte­rungen herabgelassen und kommt nach einer langen komplexen Reise in seinem „zu Hause“ an.

Wenn wie geplant Ende 2025 in der fertigen Vakuum­kammer das Fusions­plasma gezündet wird, soll ITER die wissen­schaft­liche und techno­logische Mach­bar­keit dieser Art der Energie­gewin­nung demon­strieren. In der größten experi­mentelle Fusions­anlage der Welt werden dann – wie im Innern der Sonne und andere Sterne – leichte Atom­kerne unter Frei­setzung enormer Energie­mengen mit­einan­der ver­schmelzen und die Ent­wick­lung einer sicheren, reichlich vor­handenen und umwelt­ver­träglichen Energie­quelle voran­treiben. ITER ist auch die erste globale Zu­sammen­arbeit dieser Art. Als Gast­geber des ITER-Projekts profitiert Europa am meisten von den wirt­schaft­lichen Aus­wirkungen des Vor­habens und stemmt daher mit 45 % den größten Anteil der Projekt­kosten (ein­schließ­lich fast aller Gebäude am Stand­ort in Saint-Paul-lez-Du­rance im Süden Frankreichs), während die anderen sechs Mit­glieder dieses interna­tionalen Gemein­schafts­projekts (China, Indien, Japan, die Republik Korea, die Russische Föde­ration und die USA) zu gleichen Teilen zu den rest­lichen Kosten beitragen.

ITER / LK

 

 

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