09.11.2020 • Astrophysik

Die Welt ist nicht genug

Mit dem Event Horizon Telescope wurde erstmals der Schatten eines Schwarzen Lochs aufgenommen. Wie geht es weiter?

Das letzte Jahrzehnt hat uns erstaunliche Entdeckungen beschert. Der größte Teilchenbeschleuniger der Welt hat das Higgs-Teilchen gefunden, Messapparaturen auf zwei Kontinenten haben Gravitationswellen Schwarzer Löcher „gehört“, und ein wahres Weltteleskop hat nun eins gesehen.

Damit sind wir bis an das Ende der physikalisch messbaren Wirklichkeit vorgedrungen. Der Ereignishorizont Schwarzer Löcher ist eine fundamentale Grenze in Raum und Zeit. Man kann ihn nicht messen, aber man kann seinen Schatten sehen. Genau das ist dem Event Horizon Telescope mit dem Bild von M87* zum ersten Mal geglückt. 50 Jahre nach Entdeckung der Quasare haben wir nun einen bildlichen Beweis dafür, was die Massenmonster in den Zentren von Galaxien wirklich sind. Über diese fundamentale Beobachtung berichten Thomas Krichbaum, Eduardo Ros und Helge Rottmann vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit.

Eine Ikone der Astrophysik: Der Schatten des supermassereichen Schwarzen Lochs...
Eine Ikone der Astrophysik: Der Schatten des supermassereichen Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie M87 (Foto: EHT-Coll.).

Dies ist auch ein erstaunlicher Triumph der Allgemeinen Relativitätstheorie, denn der Vergleich von Gravitationswellen und Schattenbild bestätigt eindrücklich eine ihrer Grundvorhersagen – ihre Skaleninvarianz. Auch die Signale der Gravitationswellen kommen nämlich aus der Schattenregion Schwarzer Löcher. Größe und Form des Schattens ist aber vor allem durch die Masse des Schwarzen Lochs bestimmt und – im Limit optisch dünner Emissionsgebiete – nur im geringen Maße von ihrer Astrophysik oder ihrem Spin.

Allerdings ist M87* hundertmillionenmal massereicher als die von LIGO/VIRGO untersuchten stellaren Schwarzen Löcher, und der abgebildete Schatten ist genau um diesen Faktor größer als das abgeleitete Emissionsgebiet der Gravitationswellen. Einsteins Theorie hat sich also über acht Größenordnungen bewährt!

Dies schreckt tapfere Theoretiker aber nicht davon ab, nach Rissen im schönen Gebäude unseres Raumzeitverständnisses zu suchen. Dunkle Energie und Dunkle Materie fordern unser Verständnis des Universums heraus. Die Vereinigung von Gravitation und Quantenphysik bleibt eine der größten Herausforderungen der modernen Physik. Auf welchen Massen- und Längenskalen neue Physik sichtbar wird, ist aber nach wie vor ungewiss. Vorhersagen reichen von der Planck-Länge, der kleinsten messbaren Skala, bis hin zum Schwarzschild-Radius, der Größenskala Schwarzer Löcher. Wo müssen wir suchen? Wir blicken auf einen riesigen Ozean der Ungewissheit. Trotzdem sollte uns dies nicht davon abhalten, die Segel in Richtung Horizont zu setzen.

Die im Bau befindliche Radioteleskopanlage Square Kilometre Array wird die Relativitätstheorie mithilfe von Pulsaren genauestens testen. Wollen wir noch weiter vorstoßen, ist die Erde nicht genug. Die Europäische Weltraumorganisation ESA bereitet mit der Mission LISA ein 2,5 Millionen Kilometer großes Gravitationswelleninterferometer im Weltall vor. Wir haben mit dem Event Horizon Imager ein Radiointerferometer vorgeschlagen, bei dem drei oder mehr Radioschüsseln in verschiedenen Abständen um die Erde kreisen und zusammen Bilder Schwarzer Löcher von ungekannter Schärfe und Qualität machen können. Damit werden wir in den Promillebereich für Tests von Gravitationstheorien am Ereignishorizont vorstoßen und detailreich sehen, wie Schwarze Löcher funktionieren.

Auch der Mond rückt wieder in den Fokus. Die ESA entwickelt einen Lunar Logistics Lander, der Experimente auf unseren Erdtrabanten bringen kann. Unter anderem wird an ein Radiointerferometer zur Vermessung des bis jetzt unerforschten dunklen Zeitalters des Universums gedacht, als noch keine Sterne existierten. Diese frühe Ära enthält unverfälschte Hinweise auf die Physik des Urknalls. Und natürlich denkt auch CERN über einen größeren, wenn auch noch nicht planetaren Superbeschleuniger nach.

Läutete das letzte Jahrhundert das Zeitalter der Teilchenphysik ein, so begeben wir uns jetzt in ein Jahrhundert der Raumzeitteilchenphysik. Viele der jungen Leser wird diese Reise ein Leben lang begleiten. Solche Projekte brauchen nicht nur große Visionen, sondern auch Geduld, Fleiß und einen langen Atem. Auf dem Weg dorthin gibt es noch viel zu entdecken. Neue Türen werden aufgehen, manche werden verschlossen bleiben. Das Universum wird viele, aber nicht alle Geheimnisse preisgeben, und das ist vielleicht auch gut so. Denn Suchen ist oft seliger als Finden.

Heino Falcke,  Radboud Universität in Nimwegen, Niederlande

Dieser Essay kommentiert einen Artikel zur Technik und den wissenschaftlichen Ergebnissen des Event Horizon Telescope, der in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen ist.

 

Originalveröffentlichungen

H. Falcke, Die Welt ist nicht genug, Phys. Unserer Zeit 51(6), 263 (2020); https://doi.org/10.1002/piuz.202070602

Th. Krichbaum, E. Ros, H. Rottmann, Das Event Horizon Telescope – Einblicke in die Zentren von Messier 87 und 3C279, Phys. Unserer Zeit 51(6), 274 (2020); https://doi.org/10.1002/piuz.202001591

 

Weitere Beiträge

A. Pawlak, Die Existenz der Schwarzen Löcher, Physik Journal, November 2020, S. 6

A. Eichhorn, Ins Schwarze gesehen, Physik Journal, Juni 2019, S. 18

(KS)

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