25.05.2021 • Quantenphysik

Der Vorteil von Randzuständen

Robuste Quanten-Hall-Zustände und ihr Mehrwert für Quantencomputer.

Ensembles von Elektronen, die sich an den Rändern ultra­dünner Leiter versammeln, wider­stehen Störungen wie Biegen, Dehnen, äußeren Magnet­feldern und Fehlstellen, die in herkömm­lichen Leitern die Bewegung von Elektronen behindern. Solche Quanten-Hall-Rand­zustände behalten unter all diesen Störungen ihre Eigen­schaften. Ihre Wider­stands­fähig­keit hat ungewöhnliche und erstaunliche physikalische Konsequenzen. Zum Beispiel erklären diese Zustände, warum die inneren Atom­schichten mancher Materialien im Inneren Isolatoren sind, während ihre Ränder exzellente Leiter sind.

Abb.: Schematische Skizze der Quanten-Hall-Rand­zustände im Graphen,...
Abb.: Schematische Skizze der Quanten-Hall-Rand­zustände im Graphen, abge­bildet in einem Raster­kraft­mikro­skop. (Bild: S. Kim / NIST)

Eine wichtige Frage ist, ob sich die Widerstands­kraft der Quanten-Hall-Rand­zustände zum Bau von Quantenbits nutzen lässt. Obwohl Quantenbits viel mehr Informationen als klassische Bits beinhalten, können ihre Quanten­eigen­schaften leicht gestört werden, was die enthaltene Information vernichtet. Quanten-Hall-Randzustände könnten eine stabile Alternative bilden.

Jedoch konnten Quanten-Hall-Rand­zustände bislang nicht abgebildet werden, obwohl sie zum Ohm’schen Widerstand des Materials beitragen, also zu einer makro­skopisch messbaren Größe. Jetzt ist das einem inter­nationalen Forscherteam erstmals gelungen: Die Wissen­schaftler konnten Bilder der Quanten-Hall-Randzustände aufnehmen und ihre Struktur und Größe vermessen.

Das Team untersuchte die Quanten-Hall-Rand­zustände von Graphen – einer atomar dünnen Lage von Kohlenstoff­atomen in der bekannten Bienenwaben-Struktur. Graphen ist von besonderem Interesse, weil es ein neues und robustes Standardmaß für den elektrischen Widerstand ermöglicht. Wenn es auf wenige Grad über dem absoluten Temperatur­nullpunkt gekühlt und einem starken Magnetfeld ausgesetzt wird, zeigt Graphen den Quanten-Hall-Effekt.

Der Quanten-Hall-Effekt zeigt sich in einer Quantisierung der Hall-Spannung, einer Spannung quer zur Strom­richtung einer Probe, die von einem Magnetfeld durchsetzt wird. Teilt man diese Hall-Spannung durch die Stromstärke und trägt man dieses Verhältnis als Funktion der magnetischen Feldstärke auf, so erhält man den quantisierten, in Stufen verlaufenden Quanten-Hall-Widerstand, der mit einer Präzision von eins zu einer Milliarde gemessen werden kann und lediglich auf zwei Natur­konstanten beruht: auf der Elementar­ladung des Elektrons und dem Planck’schen Wirkungs­quantum.

Die Randströme verraten sich durch ihr elektrisches Feld, das von der empfind­lichen Abtast­spitze eines Raster­kraft­mikroskops nach­ge­wiesen wurde. Das Team vermaß die Energien dieser Rand­zustände und ihre räumliche Ausdehnung von lediglich zehn Nanometern.

Um den Quanten-Hall-Effekt im Graphen besser verstehen zu können, benutzten die Forscher ein speziell entwickeltes Kombi­instrument, das Raster­tunnel­mikroskop, Raster­kraft­mikroskop und ein Gerät zur Messung der Strom­leitungs­eigen­schaften in Abhängig­keit der magnetischen Feldstärke vereint. Dieses „Three-in-One-Gerät“ ist für das Studium von Quantenmaterialien wie Graphen von entscheidender Wichtigkeit. Für viele gewöhnliche Materialien kann man Quanten­effekte auf makroskopischem Maßstab vernach­lässigen. In Quanten­materialien dagegen bestehen starke Quanten­effekte auch auf einer Skala von Millimetern oder mehr. Diese Effekte führen zu bemerkens­werten Eigen­schaften, wie den Quanten-Hall-Rand­zuständen, die für neue Techno­logien nutzbar gemacht werden können, aber mit einer Fülle von Instrumenten studiert werden müssen.

Das Team untersucht weiter, wie die Energie­werte und örtlichen Verteilungen der Quanten-Hall-Rand­zustände den theore­tischen Vorher­sagen entsprechen. Es ist geplant, Quanten-Hall-Widerstände aus zwei gegen­ein­ander verdrehten Graphen­lagen zu unter­suchen. „Die rotierten Schichten könnten neuartige Rand­zustände mit bislang unbekannten Eigen­schaften zeigen. Sie könnten neue Forschungs­gebiete mit möglichen Anwendungen in der Quanten­kommuni­kation etablieren“, erklärt der Leiter der Studie Joseph Stroscio vom National Institute for Standards and Technology in den USA.

U. Regensburg / RK

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