26.09.2018

Wie sauer ist die Ostsee?

Neues optisches pH-Messverfahren funktioniert auch in Gewässern mit niedriger Salinität.

Um mögliche Versauerungs­trends besser beobachten zu können, entwickelte Jens Müller, Meeres­chemiker am Leibniz-Institut für Ost­see­forschung Warne­münde (IOW), eine sehr genaue optische pH-Mess­methode weiter, die bislang nur bei hohen Salz­gehalten im Ozean anwend­bar war. Nun ist sie auch bei geringer Salinität im Ost­see-Brack­wasser einsatzbereit. Das adaptierte Mess­verfahren, für das bereits ein markt­reifes Gerät konstruiert wurde, empfiehlt sich daher für den routine­mäßigen Einsatz im Rahmen der Ost­see-Umwelt­über­wachung der Helsinki-Kommission (HELCOM). Durch­geführt wurden die Arbeiten im Rahmen des EU-Projekts Bonus Pinbal.

Abb.: Die für Brackwasser adaptierte optische pH-Mess­methode samt markt­reifem Gerät (roter Kasten) wurde von Jens Müller eingehend auf See erprobt – hier an Bord des Fähr­schiffes Finnmaid. (Bild: IOW / J. Müller)

Der durch den Menschen verursachte über­mäßige CO2-Ausstoß ist nicht nur ein Problem für das Welt­klima, sondern auch für die Welt­meere: Kohlen­doxid löst sich im Meer­wasser, bildet Kohlen­säure und setzt dadurch Wasser­stoff­ionen frei, die zu einer Versauerung führen. Seit Beginn der Industrialisierung ist der durchschnittliche pH-Wert der Ozeane von 8,2 auf rund 8,1 gefallen. Auch als „das andere CO2-Problem“ bezeichnet, beeinflusst die Absenkung des pH-Werts fast alle bio­chemischen und biologischen Prozesse im Meer. Sehr empfindlich reagieren beispiels­weise Muscheln, Krebse und Korallen, da der Aufbau ihrer Kalk­schalen, -panzer oder -skelette in dem zunehmend sauren Milieu erschwert wird.

Obwohl sich die Wissenschaft bereits seit rund zwei Jahr­zehnten mit der Ozean­versauerung befasst, ist es nicht leicht, die aktuelle Dynamik des Phänomens mit­zuverfolgen: Lang­zeit-Mess­reihen im offenen Ozean zeigen, dass sich der pH-Wert im Schnitt jährlich um rund 0,002 Einheiten vermindert. Um diese geringen Veränderungen zu erfassen, bedarf es hoch­genauer Mess­methoden. In der Ozeano­graphie hat sich dafür die optische pH-Messung als Standard etabliert hat. Sie beruht auf der Zugabe des Farbstoffs m-Kresol­purpur zur Wasser­probe und dessen pH-abhängigen Farb­umschlag von Violett nach Gelb. Die Farbigkeit kann mit einem Photo­meter äußerst exakt bestimmt und in Abhängigkeit von Salz­gehalt und Temperatur in pH-Einheiten umgerechnet werden.

Und wie sieht es mit der Ostsee aus? „Wir haben Daten der letzten zwanzig Jahre analysiert und keinen eindeutigen Versauerungs­trend feststellen können – ein ziemlich bemerkens­wertes Ergebnis angesichts der bereits nach­gewiesenen allgemeinen Ozean­versauerung“, sagt Jens Müller vom IOW, der sich im Rahmen seiner Doktor­arbeit intensiv mit dem CO2-System der Ostsee befasst hat. Dafür kämen verschiedene Gründe in Frage. Zwei besonders wichtige seien die folgenden, erklärt der Meereschemiker: Erstens ist die Daten­qualität in Bezug auf Mess­genauigkeit unzureichend. Und zweitens gibt es tatsächlich keinen abnehmenden pH-Trend, da die Versauerung durch konträr wirkende Einflüsse abgepuffert wird.

Dass es in der Ostsee derzeit in der Tat Prozesse gibt, die der Versauerung entgegen­wirken, zeigen umfang­reiche Analysen zur Alkalinität, also zum Säure­bindungs­vermögen des Meer­wassers. Der seit 1995 beobachtete Anstieg der Alkalinität in der Ost­see ist wahrscheinlich durch kontinentale Gesteins­verwitterung bedingt, deren Produkte mit den Flüssen in das Binnen­meer gewaschen werden. Wie lange dieser Alkalinitäts­anstieg jedoch anhält und eine Versauerung abpuffern kann, ist unbekannt. „Um zu verstehen, was in der Ost­see in Sachen pH passiert, muss ausgeschlossen werden, dass ein Nachweis von Ver­sauerung einfach an Methoden­ungenauigkeit scheitert“, betont Jens Müller.

Derzeit basiert die Erfassung des pH-Werts im Rahmen von Ostsee-Routine-Unter­suchungen auf Messungen mit einer Glas­elektrode; der Mess­fehler dieses Verfahrens ist zu groß, um Versauerungs­trends sicher nachzuweisen. Jens Müller mahnt daher an, ein entsprechendes Monitoring mit genauester Methodik und möglichst guter zeitlicher und räumlicher Auflösung durch­zuführen, damit man bei so einem Schlüssel­parameter immer auf dem neusten Stand sei. Müller: „Wir haben deshalb die deutlich genauere optische pH-Mess­methode, die bislang nur in den offenen Ozeanen mit hohen Salz­gehalten zwischen 20 und 40 anwendbar war, so weiter­entwickelt, dass sie auch im Ostsee-Brack­wasser bei geringerer Salinität von 5 bis 20 funktioniert und für ein routine­mäßiges Monitoring einsatz­bereit ist.“

Dazu glich Jens Müller in Kooperation mit der Physikalisch-Technischen Bundes­anstalt (PTB) in künstlichen Meer­wasser­standards durch­geführte optische pH-Messungen erstmals mit pH-Messungen nach dem primären, mess­technisch definierten elektro­chemischen Standard­verfahren ab und charakterisierte systematisch das Farb­umschlags­verhalten des Indikator­farbstoffs m-Kresol­purpur für niedrige Salz­gehalte. „Mit Hilfe dieser auf Primär­standards zurück­führbaren Daten können wir nun erstmals pH-Mess­geräte auch für den Salinitäts­bereich der Ostsee eichen und die Farbigkeit des Indikators zuverlässig in pH-Einheiten umrechnen“, erläutert Müller. In einem letzten Schritt konnte der IOW-Forscher noch experimentell ausschließen, dass sich Schwefel­wasser­stoff und größere Mengen organischen Materials, beides typisch für Brack­wasser­öko­systeme wie die Ostsee, störend auf das neue Mess­verfahren auswirken.

Um das optische pH-Mess­verfahren nicht nur auf chemisch-physikalischer Ebene für den Einsatz in der Ostsee startklar zu machen, erarbeitete Jens Müller zusammen mit einer Kieler Meeres­technik-Firma und zwei wissenschaftlichen Partner­institutionen eine für den Feld­einsatz anwendungs­reife technische Umsetzung, die mittlerweile erprobt und auf dem Markt ist. „Unser ‚Roter Kasten‘, in dem alles eingebaut ist, was man zur optisch-photo­metrischen pH-Messung braucht, kann leicht auf jedem Forschungs­schiff installiert werden und auch auf sogenannten ‚voluntary observing ships‘ (VOS) mitfahren“, sagt Müller.

VOS sind regelmäßig auf den Ozeanen und auch auf der Ost­see verkehrende Schiffe, die nicht primär für die Forschung unterwegs sind, aber dennoch Mess­geräte an Bord nehmen und wissen­schaftliche Daten erheben. „Einer routine­mäßigen Verwendung des angepassten Verfahrens für ein deutlich präziseres, hoch­aufgelöstes und flächen­deckendes pH-Monitoring in der Ostsee steht damit nichts mehr im Wege. Wir halten das nun auch Brack­wasser-taugliche Verfahren daher für geeignet, als offizielle neue Standard-Mess­methode im Ost­see-Monitoring zum Einsatz zu kommen. Dafür machen wir uns bei der HELCOM stark“, kommentiert Gregor Rehder, Leiter der IOW-Arbeits­gruppe „Biogeo­chemie umwelt­relevanter Gase“ und Koordinator des Pinbal-Projekts, die Forschungs­ergebnisse seines ehemaligen Doktoranden und jetzigen Kollegen abschließend.

Leibniz-IOW / DE

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