10.11.2011

Nanomobil mit Allradantrieb

Spannungspulse lassen ein Molekül über eine Kupferoberfläche fahren.

Wenn es um Nanomaschinen geht, bleibt Mutter Natur das unerreichte Vorbild, wie das Beispiel der nahezu perfekt arbeitenden Motorproteine zeigt. Doch die Nanotechnologie holt auf. Jetzt haben Forscher in den Niederlanden ein molekulares Nanomobil mit Allradantrieb hergestellt, das sich auf einer glatten Oberfläche geradeaus bewegt, wenn man seinen Motoren elektrische Energie zuführt.

Abb.: Die paddelförmigen „Räder“ des Nanomobils drehen sich schrittweise, angetrieben durch molekulare Motoren. (Bild: T. Kudernac et al., Nature)

Das mobile Molekül, das Ben Feringa und seine Kollegen von der Universität Groningen synthetisiert haben, sieht aus wie ein etwa zwei Nanometer großes X, an dessen vier Enden jeweils ein molekularer Motor sitzt, der ein „Rad“ drehen kann. Tatsächlich ist es eher ein Paddel, das mittig auf der Motorachse sitzt, die aus einer Kohlenstoffdoppelbindung besteht.

Diese Moleküle wurden auf eine atomar glatte Kupfer(111)-Oberfläche gesetzt, an der sie mit ihren Paddeln hafteten. Mit einem Rastertunnelmikroskop wählten die Forscher ein Molekül aus, anschließend positionierten sie die Spitze des Mikroskops über der Mitte des Moleküls und gaben ihm einen kurzen Spannungspuls von mindestens 500 Millivolt, woraufhin sich das Molekül ein Stück bewegte. Nach zehn Anregungsschritten war das Molekül nahezu gradlinig etwa 6 Nanometer weit gekommen.

Feringa und seine Kollegen überzeugten sich davon, dass die Mikroskopspitze die Moleküle weder gezogen noch geschoben oder hochgehoben und wieder abgesetzt hatte und dass die Moleküle auch nicht zufällig oder gerichtet über die Oberfläche diffundiert waren. Sie bewegten sich nur in Folge des Spannungspulses, bei dem ein bis zu 50 Picoampere starker Stromstoß durch die vier Molekülbeine in die Kupferoberfläche abfloss.

Die Stromstöße riefen Konfigurations- und Konformationsänderungen an den Enden der Molekülbeine hervor, was dazu führte, dass die Paddel rotierten. Der erste Stromstoß bewirkte durch elektronische Anregung eine Konfigurationsänderung, bei der die Doppelbindung isomerisierte und sich neu ausrichtete. Dabei drehte sich das mit ihr verbundene Paddel um etwa 90 Grad.

Beim zweiten Stoß kam es durch Schwingungsanregung zu einer Konformationsänderung, bei der sich eine Seitengruppe des Moleküls auf das Paddel legte und es – wie der Sperrhaken in einer Ratsche – daran hinderte sich zurückzudrehen. Das Paddel drehte sich dabei vorwärts um 90 Grad. Beim dritten und vierten Stromstoß wiederholten sich diese Vorgänge, so dass das Paddel nach einer vollen Drehung in seine Ausgangsstellung zurückkehrte.

Abb.: Durch elektrische Anregung wird das molekulare Nanomobil in gerichtete Bewegung versetzt. (Bild: T. Kudernac et al., Nature)

Damit die Rotationen der vier Paddel ein Molekül vorwärts bewegen konnten, mussten sie alle denselben Drehsinn haben. Drehten sich die Paddel, von der rechten Seite des Nanomobils aus gesehen, im Uhrzeigersinn, so bewegte sich das molekulare Fahrzeug nach rechts. Welcher Drehsinn vorlag, hing von der räumlichen Stellung der molekularen Sperrhaken ab.

Da bei der Synthese der Moleküle ein Gemisch aus allen möglichen räumlichen Isomeren entstanden war, traten neben fahrtüchtigen Nanomobilen auch unbewegliche oder untaugliche Fehlkonstruktionen auf. Hatten die Paddel an der Hinterachse und die Paddel an der Vorderachse entgegengesetzten Drehsinn, so bewegte sich das Molekül trotz ausreichend starker Stromstöße nicht vom Fleck, wie die Forscher mit dem Rastertunnelmikroskop beobachten konnten.

Drehten sich die Paddel an der rechten Fahrzeugseite im Uhrzeigersinn und die an der linken Seite ihm entgegen, so fuhr das Nanomobil fortwährend Linkskurven. Unter dem Rastertunnelmikroskop erschienen seine Bewegungen ziellos und zufällig. Nur wenn sich alle Paddel in dieselbe Richtung drehten, kam das Molekül geradlinig voran. So ließen sich die fahrtüchtigen Nanomobile nachträglich auswählen.

Die Wissenschaftler untersuchten eingehend, bei welchen Stromstärken die molekularen Vorgänge stattfanden, die die Paddel in Drehung versetzen. Dabei zeigte sich unter anderem, dass die dem Molekül zugeführte Energie so groß sein musste, dass die Paddel die Absorptionskräfte der Kupferoberfläche überwinden konnten. Irreversible Änderungen der Moleküle traten dabei nicht auf. Wie die Forscher feststellen, ist also ein einzelnes Molekül mit intrinsischen Motorfunktionen in der Lage, von außen zugeführte Energie in gerichtete Bewegung auf einer Oberfläche umzuwandeln.

Rainer Scharf

PH

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