24.02.2017

Auf der molekularen Streckbank

Erstmals Anziehungskräfte zwischen Nukleo­somen gemessen.

Zwei Meter des Moleküls Desoxyribonukleinsäure, kurz DNA, befinden sich in jedem Kern einer mensch­lichen Zelle. Die DNA muss daher sorgsam verpackt werden. Sie wickelt sich dabei zunächst um bestimmte Proteine. Diese mit kleinen Spulen ver­gleich­baren Struk­turen aus DNA und Proteinen heißen Nukleo­somen. Sie sind mitein­ander durch Abschnitte nicht aufge­wickel­ter DNA ver­bunden. Wie die Nukleo­somen mitein­ander in Wechsel­wirkung stehen und welche über­ge­ord­neten Struk­turen sich daraus ergeben, ist noch nicht voll­ständig geklärt. Einem Forscher­team um Hendrik Dietz von der TU München und Philipp Korber von der Uni München ist es nun gelungen, einen Beitrag zur Lösung dieses Rätsels zu leisten: Zum ersten Mal konnten sie die Anzie­hungs­kräfte direkt messen, die zwischen den Nukleo­somen herrschen.

Abb.: Die Pinzetten-Struktur besteht aus zwei starren DNA-Balken, die durch ein Gelenk ver­bunden sind. (Bild: C. Hohmann, NIM / TU München)

Dietz nutzt DNA als Baumaterial und konstruiert damit moleku­lare Struk­turen, eine als „DNA-Origami“ bezeich­nete Technik. Um die Wechsel­wirkungen zwischen den Nukleo­somen messen zu können, ent­wickel­ten er und sein Team eine Pin­zetten-Struktur, die aus zwei starren DNA-Balken besteht, die durch ein Gelenk ver­bunden sind. Pro Balken wurde jeweils eine Nukleo­somen­struktur ein­ge­hängt. „Wir können die Posi­tion und Orien­tie­rung der Nukleo­somen in den DNA-Pin­zetten sehr genau ein­stellen“, sagt Dietz. „Das ist sehr wichtig, um die Inter­aktionen wirk­lich messen zu können.“

Nukleosomenstrukturen zu entwickeln, die sich in die Pin­zette ein­hängen lassen, war eine Heraus­for­derung. „Normaler­weise gibt es beim Nukleo­som zwei recht nah beiein­ander­liegende Enden des aufge­rollten DNA-Doppel­strangs“, erklärt Korber. „Aber was wir brauchten, waren zwei heraus­stehende Einzel­stränge mehr in der Mitte. Das war nicht trivial, da dies die Struktur desta­bili­sieren kann. Corinna Lieleg aus unserem Team ist es aber gelungen, die rich­tigen Stellen für diese Griffe zu finden.“

Die Forscher konnten so eine sehr schwache Interaktion der Nukleo­somen messen, die bei 1,6 kcal/mol mit einer Reich­weite von etwa sechs Nano­metern liegt. Die Orien­tie­rungen der Nukleo­somen zuein­ander hatten kaum Ein­fluss auf die Inter­aktion. Aller­dings schwächten bestimmte chemische Verän­de­rungen der Nukleo­somen die Wechsel­wirkungen weiter.

Das Ergebnis könnte dazu beitragen, einen aktuellen Disput in der Forschung zu klären. Die bisher gängige Theorie besagt, dass die Nukleo­somen gemein­sam mit weiteren Proteinen eine Art Super­spirale mit einem Durch­messer von dreißig Nano­metern bilden, die 30-Nano­meter-Faser. Diese nächst­höhere Struktur­ebene konnte aber noch nie in der lebenden Zelle beob­achtet werden. Ob die DNA-Ver­packung, das Chroma­tin, dort wirk­lich eine solche Super­spirale annimmt, ist momen­tan sehr um­stritten. Die geringen Kräfte zwischen den Nukleo­somen, die die Forscher nun gemessen haben, sprechen eher gegen die gängige Theorie. „Unsere Daten deuten auf sehr weiche, leicht durch äußere Ein­flüsse defor­mier­bare Struk­turen“, sagt Dietz. „Wir können die aktu­elle Diskus­sion mit unserer Arbeit zwar nicht abschlie­ßend klären, aber doch wichtige Hin­weise hinzu­fügen und auch ein paar Modelle aus­schließen.“ Die Frage, wie die Über­struktur der Nukleo­somen aus­sieht, ist von funda­men­taler Bedeu­tung. Nur die Gene, die in einer relativ wenig kom­pakten Chroma­tin­struktur liegen, sind aktiv, was bedeutet, dass die dort codier­ten Proteine wirk­lich in der zell­eigenen Fabrik produ­ziert werden.

„In den vergangenen zehn Jahren ist immer deutlicher geworden, dass viele Verän­de­rungen und Muta­tionen, die dazu führen, dass Zellen zu Krebs­zellen werden, auf dieser Ebene statt­finden“, sagt Korber. In einer Krebs­zelle geraten die zellu­lären Entschei­dungen, welche Gene aktiv und welche inaktiv sind, durch­ein­ander. Ab­schnitte, die nicht zugäng­lich sein sollten, liegen frei und umge­kehrt. „Wenn aber nur die Ver­packung und nicht die Gene selbst fehler­haft ist, gibt es die thera­peu­tische Hoff­nung, dass man die Ver­packung wieder ändern kann.“ Eine Heilung wäre sehr viel schwie­riger, wenn die Gene selbst voll­ständig aus dem Genom gelöscht wären.

Die Forscher wollen die molekularen Pinzetten, die sie für Mes­sungen der Kräfte zwischen Nukleo­somen ver­wendet haben, auch zur Unter­suchung anderer Struk­turen ein­setzen. „In der Bio­logie ist es immer wichtig, welche Orien­tierung Struk­turen zuein­ander haben“, sagt Korber. „Jetzt haben wir eine Art mole­ku­lare Streck­bank, mit der wir gezielt die Orien­tierung der räum­lichen Anord­nung zuein­ander kontrol­lieren können.“ In einem weiteren Versuch haben die Forscher auch die Kraft gemessen, die für das Ab­rollen der DNA aus dem Nukleo­som nötig ist. Die Forscher konnten so zeigen, dass es mit­hilfe des Mess­systems möglich ist, sowohl Kräfte zwischen Mole­külen als auch inner­halb der Mole­küle zu messen.

TUM / RK

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