01.10.2014

Wissenschaft für den Frieden

Vor 60 Jahren wurde das europäische Labor für Teilchenphysik CERN gegründet.

Die europäischen Kräfte zu bündeln, um wissenschaftlich mit den USA konkurrieren zu können, und nach dem Zweiten Weltkrieg zur Völkerverständigung beizutragen – diese beiden Ziele hatten einige Visionäre im Blick, als sie Ende der 1940er-Jahre ein europäisches Labor für Kernphysik vorschlugen. Mit der Gründung beauftragt wurde der „Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire“, dessen Akronym CERN die Zeit überdauert hat und heute für das weltweit größte Labor für Teilchenphysik mit Sitz in Genf steht. Offiziell wurde das CERN am 29. September 1954 gegründet; zu den zwölf ersten Mitgliedsstaaten zählte auch Deutschland, das damit erstmals nach dem Krieg wieder einer internationalen Organisation angehörte. Anlässlich des 60. Geburtstags fanden weltweit zahlreiche Veranstaltungen statt, deren Höhepunkt eine Feierstunde am 29. September in Genf war.

„Wir bewundern die bemerkenswerte Weitsicht der Gründer“, sagte der deutsche CERN-Generaldirektor Rolf Heuer vor Delegationen aus 35 Ländern und zahlreichen Wissenschaftlern: „In der heutigen Welt sind Orte wie CERN Inseln der Stabilität, auf denen sich Menschen aller Kulturen und Nationalitäten treffen.“ Er erinnerte daran, dass während des kalten Kriegs das CERN einer der wenigen Orte war, an denen amerikanische und sowjetische Wissenschaftler zusammenarbeiteten, und drückte seine Hoffnung aus, dass die nach dem Vorbild des CERN gegründete Synchrotronstrahlungsquelle SESAME in Jordanien zur Verständigung im Nahen Osten beitragen wird. Inzwischen hat das CERN 21 Mitgliedsstaaten; die USA, Russland, Indien oder Japan haben Beobachterstatus. Mit rund 180 Millionen Euro übernimmt Deutschland etwa 20 Prozent des CERN-Haushalts und ist damit größter Beitragszahler.

Zu den größten wissenschaftlichen Erfolgen des CERN zählt, die Vereinheitlichung von elektromagnetischer und schwacher Wechselwirkung experimentell bestätigt zu haben: zunächst indirekt 1973 über die Beobachtung sog. neutraler Ströme und 1983 direkt über den Nachweis der zugehörigen W- und Z-Bosonen, für den Carlo Rubbia und Simon van der Meer im Jahr danach den Physik-Nobelpreis erhielten. Weltweit und auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde das CERN spätestens mit der Entdeckung des Higgs-Bosons 2012 am Large Hadron Collider (LHC), die das Standardmodell der Teilchenphysik endgültig bestätigt und François Englert sowie Peter Higgs den Physik-Nobelpreis 2013 beschert hat. Auch wenn CERNs Raison d’être reine wissenschaftliche Neugier ist, so fehlte doch in keiner Ansprache der Hinweis auf Anwendungen, die sich daraus ergeben haben – vorneweg das World Wide Web, das Tim Berners-Lee 1989 in einem Papier mit dem unscheinbaren Titel „Information Management: A proposal“ vorschlug. Das WWW gäbe es heute zwar vielleicht auch ohne das CERN, räumte Heuer ein, „aber definitiv nicht in seiner gegenwärtigen Form als ein freier und offener Standard.“

Während bei der Feierstunde der Blick primär zurück gerichtet war, bereitet sich das CERN derzeit auf die Wiederinbetriebnahme des LHC vor, der seit Frühjahr 2013 für umfangreiche Inspektionen und Umbauten stillsteht. Die Überprüfung von mehr als 10000 Verbindungen zwischen den supraleitenden Magneten ist seit Juni abgeschlossen, und derzeit wird der LHC auf seine Betriebstemperatur von 1,9 Kelvin gekühlt. Die über 100 Millionen Euro teure Modernisierung umfasst auch Arbeiten an den verschiedenen Vorbeschleunigern, die zum Teil bereits wieder in Betrieb sind. Der LHC soll im Frühjahr 2015 mit einer Schwerpunktsenergie von 13 TeV statt zuletzt 7 TeV wieder in Betrieb gehen. Damit wird es möglich sein, die Eigenschaften des Higgs-Bosons genauer zu untersuchen. Ob die Energie auch ausreicht, um weitere neue Teilchen zu entdecken und damit die Tür in die Physik jenseits des Standardmodells aufzustoßen, ist derzeit sicher die spannendste Frage der Teilchenphysik.

Stefan Jorda

 

 

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