31.08.2018

Von Eiswürfeln und gefrorenen Seen

Wie lange dauert es, bis ein Eisklumpen schmilzt? Zeitraffervideos veranschaulichen den Vorgang.

Eiswürfel in Getränken sind im Hochsommer meist in wenigen Minuten geschmolzen, während ein zugefrorener See im Winter nach einem Warmlufteinbruch uns noch einige Tage erfreut. Die Zeitskalen des Schmelzens hängen im Wesentlichen von der Geometrie der Eises, seiner Umgebungstemperatur und den beteiligten Wämeübergangskoeffizienten ab. Mit Zeitraffervideos untersuchen wir das Schmelzen eines Eisklumpens.

Wir verwenden einen zylindrischen Eisblock, den wir bei -18 °C in einem Drei-Sterne-Gefrierfach gefroren haben. Mit einem Radius von etwa 6 cm und einer Höhe von 9 cm bringt er etwa 900 g auf die Waage. Wir legen ihn auf ein Gitter über einem großen Becherglas, sodass er vollständig mit etwa 25 °C warmer Laborluft umgeben ist. Wie lange wird es wohl dauern, bis er vollständig geschmolzen ist? Hier versagt unsere Intuition weitgehend. Im Experiment dauerte es etwa acht Stunden – optimal für den Einsatz einer Zeitrafferkamera mit 10 s Aufnahmeintervall.

Zeitraffervideo des Schmelzens über acht Stunden hinweg.

Den Schmelzvorgang haben wir im Video beschleunigt in nur 25 s dargestellt, das heißt, beim Abspielen entsprechen 3 s etwa einer Stunde. Das Originalvideo wurde mit der Kamera Brinno TLC200 mit 15 Bildern/s aufgenommen. Die Nachbearbeitung mit dem Freewareprogramm Moviemaker ermöglichte es, das Video achtmal so schnell abzuspielen wie das Original.

Beim Schmelzen muss Energie zugeführt werden. Zunächst erwärmt sich das Eis von -18 °C auf Schmelztemperatur von 0 °C, anschließend ist noch die Schmelzwärme nötig:

ΔQ=c•m•ΔT+Λ•m

Mit c=2,1 kJ/(kg K), m=0,9 kg und ΔT=18 K sowie Λ=335 kJ/kg findet man eine benötigte Energie von ΔQ = 34 kJ+301,5 kJ=335,5 kJ.

Diese Energie wird zeitlich nicht konstant mit gleicher Rate zugeführt, da sich im Verlauf des Vorgangs die Eistemperatur ändert. Wegen der Wärmeleitung im Eisinnern bildet sich ein Temperaturgradient aus, zudem verändert sich beim Schmelzen zeitabhängig die für die Energiezufuhr relevante Oberfläche. Insofern erfordert eine genaue Rechnung das Lösen zeitabhängiger Differentialgleichungen. Wir betrachten hier als erste Näherung quasistationäre Bedingungen mit zeitlich konstanter Energiezufuhr.

Energie kann aus der Umgebung durch Leitung, Konvektion und Strahlung auf das Eis übertragen werden. Wegen der kleinen Oberfläche der Gitterstäbe, die zudem auf dem schlecht wärmeleitenden Glasgefäß aufliegen, vernachlässigen wir die Wärmeleitung. Bei den vorliegenden niedrigen Temperaturen linearisieren wir den Strahlungsanteil und beschreiben Strahlung und Konvektion summarisch durch einen gemeinsamen Wärmeübertragungskoeffizienten α, sodass die zugeführte Leistung P sich schreibt als P = α•A•ΔT [1]. Übliche natürliche Konvektion von Luft zu Festkörpern in Innenräumen wird mit etwa 8 W/(m2K) angesetzt, die Strahlung liefert zusätzlich etwa 3,5 W/(m2/K), sodass wir α=11,5 W/(m2K) erhalten.

Die relevante Temperaturdifferenz muss zwischen 25 K (Luft zu Schmelzpunkt) und 43 K (Luft zu anfänglicher Eistemperatur) liegen. Wir nehmen als Mittelwert grob 30 K an, da der Schmelzvorgang bei kleinerer Temperaturdifferenz dominiert. Für den Ansatz der relevanten Eisoberfläche berechnen wir aus den anfänglichen Maßen (R=6 cm, h=9 cm) eine Oberfläche des Eiszylinders von etwa Amax=570 cm2. Im Verlauf des Schmelzens wird diese immer kleiner bis hin zum Wert A=0 am Ende des Vorgangs. Insofern ist es sinnvoll, eine mittlere Fläche von A=285 cm2 anzunehmen. Damit ergibt sich für die zugeführte mittlere „Heizleistung“ P = α•A•ΔT=10 W. Um mit dieser Leistung eine Energie von 335,5 kJ zu übertragen, ist eine mittlere Zeit von etwa 9,3 Stunden nötig – in passabler Übereinstimmung mit der gemessenen Zeit.

Michael Vollmer, Klaus-Peter Möllmann, TH Brandenburg

Der Originalartikel sowie ein weiterer Beitrag über Zeitraffertechnik sind in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen (Online-Abo nötig).

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