30.11.2009

Strategische Investition in Faseroptik

Klaus Probst, Vorstandsvorsitzender des Kabelkonzerns LEONI AG, im Interview.

Der Kabelkonzern LEONI AG hat in den letzten Jahren massiv in den Bereich Faseroptik investiert. Klaus Probst, Vorstandsvorsitzender der LEONI AG, erklärt im Interview, welche Strategie er anwendet, um auch in Krisenzeiten den Erfolg dieser Investition zu sichern. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Frage, wie man die Innovationskraft kleiner Einheiten in einem großen Konzern erhält. Das Interview führte Andreas Thoß, Publisher im Wiley-VCH Verlag. Es erscheint hier als deutscher Vorabdruck eines Beitrags aus der Fachzeitschrift Optik & Photonik 4/2009 (Printpublikation am 21. Dezember 2009).

O&P: In den vergangenen Jahren ist Leoni durch den Zukauf von Unternehmen aus der Faseroptik stark gewachsen. Um welche Unternehmen handelt es sich dabei?

Probst: Wir haben für unsere beiden Divisionen „Bordnetz-Systeme“ und „Draht und Kabel“ in den letzen zehn Jahren insgesamt 28 Unternehmen erworben. 26 davon haben wir in die Division „Draht und Kabel“ integriert und dabei die Faseroptik deutlich ausgebaut. Es fing 2002 an mit der Fiber-Optic-Systems in Neuhaus-Schierschnitz und dem Geschäftsbereich Fasertechnik der Prinz Optics in Stromberg. 2006 haben wir einen Anteil von 51 % an der j-fiber-Gruppe erworben, die ihren Sitz in Jena hat. In Österreich kam die NBG Fiber Optics dazu, die sich unter anderem mit dem Thema „fiber to the home“ (FTTH) beschäftigt. Die bisher letzten Akquisitionen waren Ende 2007 Iotech in Waghäusel und schließlich die Berliner FiberTech.


Abb.: Klaus Probst, Vorstandsvorsitzender der LEONI AG, im Interview (Bild: LEONI AG)

O&P: Was wollen Sie langfristig mit den Zukäufen erreichen?

Probst: Wir verfolgen mit unserer Wachstumsstrategie drei Ziele. Erstes erweitern wir sukzessive unser Technologie- und Produktportfolio. Mit den neuen Unternehmen erschließen wir weitere Technologiefelder, das heißt, Produktionsprozesse einerseits und Produkte andererseits. Zweitens erschließen wir uns damit neue industrielle Märkte, die wir bisher nicht bedient haben, wie Medizintechnik, Gesundheitswesen oder Luft- und Raumfahrt. Und das dritte Ziel ist, mit den Akquisitionen in für uns neuen regionalen Märkten Fuß zu fassen.

O&P: Und wo stehen Sie heute in Bezug auf die genannten Ziele?

  

Probst: Was das Produktportfolio anbelangt, sind wir im Faseroptik-Umfeld nahezu komplett. Das gilt auf jeden Fall für Deutschland bzw. für Europa. Wir können inzwischen alles entlang der gesamten Wertschöpfungskette fertigen und anbieten, also von der Preform über Fasern, Kabel und konfektionierte Kabel bis zum kompletten System. Das ist mit Sicherheit eine unserer Stärken. Denn damit unterscheiden wir uns von fast allen Wettbewerbern in diesem Umfeld.
 

Auch bei den Industrien und Branchen, die wir als unsere Kernmärkte definieren, haben wir den angestrebten Endzustand fast erreicht. Dank unserer Akquisitionen decken wir sie mittlerweile alle ab. Die regionale Erschließung gehört noch zu den Zukunftsaufgaben, die wir sukzessive umsetzen: Wir wollen in der Faseroptik international weiter wachsen.

O&P: Bleiben wir zunächst bei den Kernmärkten: Hier streben Sie in ganz unterschiedlichen Branchen eine starke Marktposition an. Gibt es Felder, in denen Sie die führende Stellung bereits erreicht haben, und wo sehen Sie die Chance, diese Stellung in absehbarer Zeit zu erreichen?

Probst: Bezogen auf Deutschland und Europa sind wir im Gesundheitswesen und in der Medizintechnik – das heißt bei Gerätemedizin und Patientenmedizin – bereits in der Führungsposition. Und bei den Industrielasern liegen wir mit unserer Berliner Tochter FiberTech ganz weit vorn. Auch in der Datenkommunikation im weitesten Sinne sehe ich uns in einer führenden Rolle. Beim Thema „fiber to the home“ zähle ich uns europaweit zu den mittelgroßen Spielern. Das ist ein stark wachsender Markt und damit auch für uns ein wichtiges strategisches Feld.

O&P: Als drittes Ziel wollen Sie sich in neuen regionalen Märkten positionieren. Welche Länder oder Kontinente haben Sie speziell für die Faseroptik im Auge und wie gehen Sie die Märkte an?

Probst: In dieser Beziehung gilt für alle Geschäftsfelder die gleiche Strategie: Zunächst bauen wir uns in unserem Heimatmarkt – Deutschland bzw. Westeuropa – eine starke Position auf. Erst wenn wir dort unsere Ziele bezüglich Marktstellung, Markenpositionierung und Image erreicht haben, kommt der nächste Schritt, die Internationalisierung. Das heißt, wir gehen nach Asien, in die USA oder in andere Regionen. Da sind wir je nach Geschäftsfeld unterschiedlich weit. Bei unseren Faseroptik-Aktivitäten haben wir in den letzten zwei Jahren nicht nur unser Produktportfolio erweitert sondern auch unsere Marktposition gestärkt. Derzeit optimieren wir die Organisation. Sie können sich vorstellen, dass es Zeit kostet, die zugekauften Unternehmen zu integrieren. Aber parallel dazu geht jetzt schon der Blick in Richtung Internationalisierung.

 

O&P: Was denken Sie, wie lange dauert es von der Akquisition bis zur vollen Integration der zugekauften Unternehmen?

Probst: Solche Integrationsprozesse sind sicher nie vollständig beendet. Denn es gibt immer wieder Ansätze für weitere Verbesserungen. Auf jeden Fall muss man möglichst schnell erreichen, dass die Prozesse funktionieren und sich die Mitarbeiter mit der Muttergesellschaft identifizieren, also beispielsweise die Mitarbeiter von FiberTech sagen: Wir sind Leoni. Da haben wir inzwischen bestimmt 80 % erreicht. Und zwar in sehr kurzer Zeit. Fiber-Optic-Systems haben wir vor sieben Jahren gekauft. Das war der Nukleus, an den wir die anderen Firmen angedockt haben. Die letzte Akquisition war 2007, also vor zwei Jahren. Heute sind wir nahe am Abschluss der Integration.

O&P: Gehen wir noch einmal zu den regionalen Märkten zurück: Jeder Markt hat seine lokalen Spezifika. Nehmen wir beispielsweise China. Was ist Ihr Rezept, um dort mit der Faseroptik erfolgreich zu sein?

Probst: Im ersten Schritt begleiten wir unsere Kunden in diese neue Region. Das setzt allerdings voraus, dass wir in unserem Heimatmarkt stark sind und gute Beziehungen zu Schlüsselkunden haben. Nachdem wir gemeinsam mit bestehenden Kunden den ersten Stützpunkt aufgebaut haben, versuchen wir im nächsten Schritt in der Region durch lokale Vertriebsaktivitäten eigene Märkte zu gewinnen. Dieses Vorgehen ist sehr erfolgversprechend: nicht nur in China. Denn von Null aus und gegen den lokalen Wettbewerb in einem neuen Land eigene Aktivitäten aufzubauen, das ist sehr schwierig. Und es dauert sehr viel länger, bis man Erfolg hat.

 

O&P: Lassen Sie uns einen Blick auf den nordamerikanischen Markt werfen. Von dort kamen in den letzten zwölf Monaten eher besorgniserregende Signale. Woher nimmt Ihr Konzern den Mut, trotz der aktuellen Marktsituation dort voranzugehen?

Probst: Grundsätzlich sollte man antizyklisch denken. Wenn alle auf die Bremse treten, und man tut das gleiche, dann kommt man nicht wirklich weiter. Trotzdem ist Vorsicht geboten. Das gilt besonders für die Finanzen – die Finanzierung muss sicher stehen. Es gehört sicher auch Mut dazu, da haben Sie Recht. Aber dadurch, dass unser Konzern in 23 Ländern der Welt produziert, haben wir sehr viele lokale Anknüpfungspunkte. Wir wissen, wie die Industrie in den USA tickt. Wir können abschätzen, wie sich dort die Märkte entwickeln und haben damit eine gewisse Stabilität für Investitionsentscheidungen.

O&P: Kommen wir zur Faseroptik zurück: Wie sehen Sie da in den nächsten zwei Jahren Ihre Investitionsbereitschaft? Wovon würden Sie ein weiteres Engagement abhängig machen?

Probst: Selbstverständlich investiert ein Konzern immer dort bereitwilliger Geld, wo sich die besseren Gewinne erzielen lassen. Unsere Faseroptik-Aktivitäten stehen gut da. Wir sind nicht nur mit der Rendite zufrieden, sondern auch mit der bisherigen Wachstumsstory und der strategischen Entwicklung. Und das sind gute Voraussetzungen für weiteres Wachstum und Investitionen. Wir müssen nun lediglich entscheiden, wie der nächste Schritt aussehen soll: in welcher Region, ob wir dem organischen oder dem externen Wachstum Präferenz einräumen und was wir damit in der strategischen Positionierung erreichen.

O&P: Gerade in der Faseroptik setzen Sie gezielt auf Nischenmärkte z.B. auf Anwendung für den Healthcare-Bereich. Wie schaffen Sie es, dass ein Konzern wie Leoni mit immerhin drei Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2008 in den Nischen erfolgreich sein kann?

Probst: Das ist eine Frage der strategischen Positionierung und vor allem, wie man das Unternehmen aufbaut. Wir führen den Konzern mit zwei Divisionen. Die eine – Bordnetz-Systeme – macht klassische Massenproduktion ausschließlich für die Automobil- und Nutzfahrzeugindustrie sowie andere Zulieferer, zum Beispiel Kabelsätze für die Mercedes E- Klasse. Das Umsatzvolumen für diese Division lag 2008 bei gut 1,5 Milliarden Euro. Das kann man natürlich nicht mit der gleichen Organisation abarbeiten, wie die Produkte rund um die Faseroptik.

Deshalb ist die zweite Division – Draht und Kabel – anders strukturiert. Hier gibt es Business Groups, die sich ganz fokussiert mit bestimmten Märkten oder mit Technologien beschäftigen. Sie organisieren sich selbst und arbeiten weitgehend dezentral. Das gilt auch für die untergeordneten Business Units, von denen sich zum Beispiel eine nur mit der Faseroptik befasst. Sie setzt sich Ziele und verantwortet weltweit die gesamte Prozesskette: vom Vertrieb über die Entwicklung bis zur Produktion. Das ist wie ein Unternehmen im Unternehmen. Überspitzt gesagt, spielt der Konzern für die in der zweiten Division zusammengefassten Einheiten eher die Rolle der Finanzholding.
 

Aber, und das ist das Positive, der Konzern bietet Zusatzchancen, die ein alleinstehendes Unternehmen in der Faseroptik nicht hätte. Dazu zählen etwa die Vertriebskanäle der anderen Business Groups, aber auch die Finanzkraft des Konzerns und dessen globale Aufstellung. Darüber hinaus ergeben sich im Konzern technische Synergien über verschiedene Märkte hinweg. Was in einer Division oder Business Group gebraucht und verkauft wird, kann durchaus für die andere Division oder eine andere Business Group technologisch befruchtend sein und umgekehrt.
 

Man könnte es die Quadratur des Kreises nennen: Wir stellen eine Organisationseinheit als Schnellboot auf, das schnell und flexibel auf die Marktanforderungen reagieren kann und parallel dazu realisieren wir Synergien im Konzern-Frachter. Das ist unsere Strategie. Und ich bin davon überzeugt, dass uns das in der Vergangenheit gut gelungen ist. Man sieht es ja an unseren Ergebnissen und vor allem an unserem Wachstum.

 

O&P: Sie bewahren also die mittelständischen Strukturen und organisieren diese unter dem Dach des Konzerns so, dass dessen Finanz- und Vermarktungskraft sowie die weltweite Position den mittelständischen Strukturen optimal nützt?

Probst: Genau das ist es, was wir tun.

O&P: Noch eine weitere Frage zum Spannungsfeld Mittelstand zu Großkonzern: Für Fibertech und die damit verbundenen Unternehmen spielt Innovation eine ganz große, wenn nicht gar die entscheidende Rolle. Wie kann der Konzern die Innovationsfähigkeit und Innovationsbereitschaft der kleinen Units stabilisieren, fördern und beibehalten?

Probst: Das ist ein ganz wichtiger Aspekt in unserer Nischenstrategie. Nehmen Sie das Faseroptik-Umfeld generell. Die dort arbeitenden Naturwissenschaftler und Techniker stellen ein Innovationspotential per se dar. Das muss genutzt werden – primär selbstverständlich für das eigentliche Geschäft, für die Faseroptik. Im Rahmen der Integration ist es aber notwendig, die Mitarbeiter der einzelnen Unternehmen in dem Geschäftsfeld für die gesamte Faseroptik-Aktivität zu gewinnen und zu motivieren. Wir wollen über die bisherigen Rechtsformgrenzen hinweg Synergien erarbeiten. So muss man das Rad nicht zweimal erfinden. Das läuft sehr gut.
 

Innerhalb der Faseroptik gibt es außerdem Know-how, das für andere Business-Aktivitäten der Leoni-Gruppe genutzt werden kann. Beispielsweise bauen wir im Automobilbereich in den Kabelsatz Faseroptik-Teile ein. Damit das funktioniert und eine echte Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe entsteht, mussten wir im Vorfeld ein sehr kommunikatives Umfeld aufbauen. Das existiert inzwischen und funktioniert von Tag zu Tag besser. Wir haben heute eine gute Zusammenarbeit über Business Units, Business Groups und Divisionen hinweg. Das ist eine der Stärken des Konzerns. Es setzt allerdings voraus, dass er organisatorisch richtig aufgestellt ist und die Mitarbeiter so motiviert sind, dass sie konzernweit zusammenarbeiten: sei es beim Marktauftritt, der Technologie oder bei anderem. Da zeigt sich die eigentliche Kraft eines Konzerns gegenüber der eines kleinen, mittelständischen Unternehmens, wie es auch FiberTech vorher war. Und ich bin mir sicher: In der Beziehung sind wir auf einem sehr guten Weg.

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LEONI ist ein weltweit tätiger Anbieter von Drähten und optischen Fasern, Kabeln und Kabelsystemen sowie zugehörigen Dienstleistungen. Die im deutschen MDAX börsennotierte Unternehmensgruppe beschäftigt rund 48.000 Mitarbeiter in 36 Ländern und erzielte 2008 einen Konzernumsatz von 2,9 Mrd. Euro. LEONI entwickelt, produziert und verbreitet seine anspruchsvollen Produkte für die Automobilindustrie und zahlreiche weitere industrielle Branchen.


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 KP

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