29.04.2022 • Energie

Strategien für die urbane Wärmewende

Projekt „Urbane Wärmewende“ legt Empfehlungen für Kommunen vor.

Der voran­schreitende Klimawandel, der Krieg in der Ukraine, die damit verbundenen Unsicher­heiten und Preissteigerungen – es gibt viele Gründe, bei der Wärme­versorgung schnellstmöglich aus Öl und Erdgas auszusteigen. Damit die Wärmewende in Städten schneller und effektiver vorankommt, empfehlen Energieexperten des Projekts „Urbane Wärmewende“ einen Maßnahmenmix: Städte sollten eine räumliche Wärmeplanung entwickeln und alle nachhaltigen Wärme­potenziale wie etwa Abwasserwärme erschließen. Zudem sollten sie die Fernwärme ausbauen, Quartiers­wärmenetze bilden – vor allem rund um öffentliche Gebäude – und faire energetische Sanierungen in Milieuschutz­gebieten unterstützen. Gefördert vom Bundes­ministerium für Bildung und Forschung entwickelte das Institut für ökologische Wirtschafts­forschung (IÖW) federführend Empfehlungen für Länder, Städte, Kommunen und Quartiers­manager.

Abb.: Konzepte für Quatierswärme machen unabhängier vom Erdgas. (Bild IÖW)
Abb.: Konzepte für Quatierswärme machen unabhängier vom Erdgas. (Bild IÖW)

Am Beispiel Berlins untersuchte das Forschungs­vorhaben zentrale Aspekte einer klima­neutralen Wärmeversorgung. Bisher hängt die Hauptstadt im Wärmebereich noch zu zwei Dritteln von Erdgas, zu 17 Prozent von Heizöl und zu fünf Prozent von Kohle ab. „Berlin steht bei der Wärmewende vor Heraus­forderungen, die auch andere Städte kennen: Steigende Mieten schüren Angst vor teuren Sanierungs­projekten, der Wandel kommt trotz Fördertöpfen noch nicht in den Quartieren an und Technologien wie die Nutzung der Abwasserwärme kommen nur langsam in die Umsetzung“, erklärt Projekt­leiterin Elisa Dunkelberg vom IÖW. „In zweieinhalb Jahren praxisnaher Forschung haben wir Lösungs­strategien zusammengestellt, die in keiner städtischen Wärmeplanung fehlen sollten.“

Auf der nächsten Heizkosten­abrechnung bekommen die Mieter zu spüren, wie teuer die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen derzeit ist. Selbst wenn sich die Märkte beruhigen – der CO2-Preis wird steigen. Darum kann sich eine energetische Sanierung, die über die gesetzlichen Mindest­standards hinausgeht, auch aus Sicht der Mieter lohnen: Wenn die Vermieter Fördermittel nutzen und die Modernisierungs­kosten fair umlegen, bleibt die Warmmiete stabil oder kann sogar sinken, wie die Forscherinnen berechnet haben. Gerade in Milieuschutz­gebieten sollten Kommunen daher ambitionierte Sanierungen stärker als bislang ermöglichen: „In den gut siebzig sozialen Erhaltungs­gebieten Berlins werden ambitionierte energetische Sanierungen bisher selten genehmigt. Gleiches gilt für einen Wechsel von Gasetagen­heizungen zu erneuer­baren Energien oder Fernwärme“, so Charlotta Maiworm von BBH. „Um die Mieten langfristig günstig zu halten, sollten diese Projekte genehmigt werden – allerdings nur unter bestimmten Auflagen oder Bedingungen, etwa dass die Kosten für Mieter nicht höher sein dürfen als die Maßnahmen nach dem ordnungs­rechtlichen Mindest­standard.“ 

Um Ressourcen effizient einzusetzen und Energieimporte zu minimieren, müssen lokale Wärmequellen umfassend genutzt werden. Während manche Städte in einzelnen Bereichen große Potenziale haben, wie München bei der Geothermie und Hamburg bei der indus­triellen Abwärme, müssen andere Städte wie Berlin alle Potenziale ausschöpfen und einen breiten Mix aus Umwelt­wärmepumpen, gewerblicher Abwärme, Direkt­stromnutzung und Biomasse anstreben. Eine Wärmequelle, die in allen Städten ganzjährig zur Verfügung steht und nur noch angezapft werden muss, ist die Abwasserwärme: Sie könnte ein wichtiger Baustein im künftigen Energiemix sein und zum Beispiel in Berlin zukünftig bis zu fünf Prozent des Wärmebedarfs decken. „Für ihre kommunale Wärmeplanung brauchen Städte Informationen darüber, wo und in welchem Umfang Abwasser­wärme zur Verfügung steht und wie sie genutzt werden könnte“, sagt Michel Gunkel von den Berliner Wasserbetrieben. „Im Projekt Urbane Wärmewende haben wir diese Daten daher in einem geobasierten Tool – dem Abwasser­wärmeatlas – aufbereitet, den wir derzeit in einer internen Testphase erproben.“

Die Informationen aus dem Abwasser­wärmeatlas müssen für die Wärmeplanung mit anderen Daten wie etwa der Wärme­nachfrage zusammengeführt werden. Ziel der Wärmeplanung ist es herauszufinden, wo mit welcher zukünftigen Wärme­versorgung Klima­neutralität am besten und kosteneffizientesten erreicht werden kann. Quartierswärme ist dort sinnvoll, wo erneuerbare Wärme und Abwärme­potenziale die Bedarfe einzelner Gebäude überschreiten. „Um lokale Wärmequellen zu erschießen, spielen öffentliche Gebäude eine zentrale Rolle“, betont Elisa Dunkelberg. „Wenn dort zum Beispiel eine große Abwasser­wärmepumpe installiert wird, kann diese über ein Quartiers­wärmenetz auch umliegende Häuser mitversorgen.“ Wann immer bei öffentlichen Gebäuden Heizungswechsel oder Sanierungen anstehen, sollte daher geprüft werden, ob ein Quartierswärmesystem möglich ist. Beispiel­berechnungen zeigen, dass mit der geplanten Bundes­förderung für effiziente Wärmenetze Quartierswärme in der Nachbarschaft zu wettbewerbs­fähigen Preisen angeboten werden kann. Die Forschenden schlagen zudem Maßnahmen für eine erleichterte Umsetzung vor – etwa Muster­verträge und Kriterien­kataloge.

IÖW / JOL

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