06.02.2020 • Energie

Solarstrom vom Baggersee

Neue Analyse offenbart Potenzial für Solarkraftwerke auf Braunkohle-Tagebauseen.

Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE hat eine Potenzial­abschätzung für schwimmende Photovoltaik-Kraftwerke auf Braunkohle-Tagebauseen in Deutschland durchgeführt. Floating PV-Anlagen auf künstlichen Seen können dazu beitragen, Landnutzungs­konflikte für den PV-Ausbau in Deutschland zu entschärfen. Darüber hinaus weist die Technologie einige Vorteile gegenüber Freiflächen­anlagen auf, wie beispielweise die erhöhte Strom­produktion aufgrund des Kühleffekts des Gewässers oder eine höhere Flächennutzungs­effizienz. Das technische Potenzial auf Braunkohle-Tage­bauseen in Deutschland wird in der Studie auf 56 Gigawatt geschätzt. Nach Abzug der geschätzten, für Freizeit­aktivitäten, Tourismus, Natur- und Landschafts­schutz relevanten Flächen verbleibt ein wirt­schaftliches Potenzial von 2,74 GW.

Abb.: Der schwimmende Solarpark Sekdoorn bei Zwolle in den Niederlanden. (Bild:...
Abb.: Der schwimmende Solarpark Sekdoorn bei Zwolle in den Niederlanden. (Bild: BayWa r.e.)

„Schwimmende PV-Kraftwerke sind ein relativ neues Konzept für die Nutzung von Photovoltaik, für das jedoch weltweit ein großes Stromerzeugungs­potenzial besteht, nicht zuletzt, weil sie einen flächen­neutralen Ausbau erlauben“, sagt Andreas Bett, Instituts­leiter des Fraunhofer ISE. Für das Gelingen der Energiewende wird in Deutschland – je nach Szenario – ein Photovoltaik-Ausbau von bis zu 500 Gigawatt benötigt. Aufgrund der begrenzten landwirtschaft­lichen Nutzfläche müssen landneutrale Lösungen entwickelt werden. Floating PV (FPV) erreicht eine hohe Flächennutzungs­effizienz von etwa 1,33 MWp/ha installierte Leistung. Durch die Montage über Wasser kann ein etwas höherer Ertrag aufgrund geringerer Betriebs­temperaturen erzielt werden. Montiert werden die Module, und in den meisten Fällen auch die Wechselrichter, auf Schwimm­körpern, die je nach Lösung am Ufer oder im Seegrund verankert sind. Tagebau­regionen sind insofern gut geeignet, da sie netztechnisch bereits gut angeschlossen sind. Ist eine Verankerung an Land nicht möglich, können beispiels­weise klassische Schiffsanker zum Einsatz kommen, was je nach Seetiefe allerdings zu Mehrkosten führt. Die Stromgestehungs­kosten von Floating PV-Anlagen liegen im Schnitt um zehn bis 15 Prozent über denen von herkömmlichen Freiflächen-PV-Kraftwerken.

Durch den Braunkohle­tagebau entstanden in Deutschland knapp 500 Tagebauseen mit einer Gesamtfläche von 47.251 Hektar. Die meisten davon liegen in Brandenburg (29,8 Prozent), Sachsen-Anhalt (28,2 Prozent) und Sachsen (15,7 Prozent). Um deren Stromerzeugungs­potenzial abzu­schätzen, führten die Wissenschaftler Potenzial­abschätzungen durch, interviewten Behörden, Akteure und Experten und Expertinnen aus den Bereichen Genehmigung, Planung, Installation und Gewässerschutz. Vom technisch nutzbaren Installations­potenzial in Höhe von 56 GW wurden die für Freizeit­aktivitäten, Tourismus, Natur- und Landschafts­schutz relevanten Flächen gemäß Schätzwerten abgezogen.

Tagebauseen mit weniger als einem Hektar Fläche oder erheblichen Seetiefen­schwankungen sowie Seen, die keine Verankerung der Anlage am Ufer zulassen, wurden aus Kostengründen ausge­schlossen. Das gesamte wirtschaftlich erschließbare Potenzial für Floating PV-Kraftwerke schätzt das Projektteam auf 4,9 Prozent der theoretischen Seefläche, was einer installierten Leistung von 2,74 GWp in Deutschland entspricht. Die größten Potenziale für Floating PV liegen dabei in der Lausitz und im Mittel­deutschen Revier. Andere künstliche Gewässer­typen sowie die natürlichen Standgewässer wurden in der Studie nicht berücksichtigt, sodass von einem insgesamt deutlich größeren Potenzial auszugehen ist. In Deutschland gibt es 4474 künstliche Standgewässer, die meist aus dem Tagebau für Bau­materialien entstanden sind. So gibt es 725 Baggerseen und 354 Kiesseen, der Anteil der Braunkohle­tagebauseen liegt nur bei 12,9 Prozent.

In den Niederlanden ist die Vergütung ausreichend, um Floating PV wirtschaftlich umsetzen zu können. Der Spezialist für erneuerbare Energien, BayWa r.e., hat dort bereits erste Anlagen installiert. Edgar Gimbel, Head of Power Plant Engineering bei der BayWa r.e. Solar Projects sagt: „In den Nieder­landen haben wir bereits drei Projekte mit einer installierten Leistung von insgesamt rund 25 MWp realisiert. Mit den Bauarbeiten für Europas größten schwimmenden Solarpark (27,4 MWp) haben wir kürzlich begonnen. Die Studie des Fraunhofer ISE zeigt eindrucksvoll, dass in Deutschland ein immenses Potenzial für Floating PV besteht. Jetzt gilt es die richtigen Rahmen­bedingungen zu schaffen und die Genehmigungs­praxis zu vereinfachen, um dieses Potenzial heben zu können.“ In Deutschland ging das erste FPV-Kraftwerk 2019 in Betrieb, aufgrund der EEG-Bestimmungen allerdings nur mit einer Nennleistung von 750 kW.

Weil die Investitions­kosten für FPV etwas höher liegen als bei herkömmlichen PV-Freiflächenanlagen (FFA), kommen sie bisher in Ausschreibungen nicht zum Zug. „Sinnvoll wären deshalb Innovations­ausschreibungen speziell für FPV und andere flächenneutrale PV-Kraftwerke, die noch einen Marktanschub benötigen. Um aufwändige Änderungs­verfahren des Flächen­nutzungsplans zu vermeiden, sollte die flächen­neutrale FPV privilegiert werden, ähnlich wie es heute schon für die Nutzung von Flächen für Windkraft und Kernkraft vorgesehen ist“, erklärt Harry Wirth, Bereichsleiter Photovoltaik- Module und Kraftwerke am Fraunhofer ISE. Zudem empfehlen die Wissen­schaftler, Tagebau-Seen im EEG als Konversions­fläche einzuordnen, weil sich künstliche Standgewässer oft in Rohstoffabbau­gebieten befinden. So könnten FPV-Projekte an Ausschreibungen der Bundesnetz­agentur teilnehmen. Um FPV auf Tagebauseen zu installieren, könnte es auch sinnvoll sein, diese Nutzungsform in die Sanierungs­rahmenpläne der ehemaligen Tagebaue mit aufzunehmen. Da FPV-Anlagen eine konkurrierende Nutzungsform zu Tourismus, Naherholung, Naturschutz und Wasser­wirtschaft darstellen können, wird zudem die Erforschung der Umwelt­verträglichkeit und Akzeptanz an einem FPV-Prototypen in Deutschland empfohlen. Auch eine Methode zur Bürger­beteiligung speziell für die Umsetzung von FPV-Kraftwerken sieht das Projektteam des Fraunhofer ISE als sinnvoll an.

Fh.-ISE / JOL

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