18.01.2017

Quasiteilchen in Dirac-Semimetall

Computersimulationen zeigen optische Transformation von Dirac-Fermionen zu Weyl-Fermionen.

Die Unter­suchung der Eigen­schaften funda­mentaler Teilchen in Festkörper­systemen ist ein viel­versprechen­der Ansatz für die Quanten­feld­theorie. Quasi­teilchen ermöglichen es, Teilchen­eigenschaf­ten zu beobachten, die keine Entsprechung in der Teilchen­physik haben. Ein inter­nationales Forschungs­team unter der Leitung von Angel Rubio vom Max-Planck-Insti­tut für Struktur und Dynamik der Materie am CFEL in Hamburg und von der Univer­sität des Basken­landes in Donostia-San Sebastián erstellte nun Vorher­sagen, wie Laser­licht dazu verwendet werden kann, um in 3D-Dirac-Materia­lien Weyl-Fermion-Zustände zu erzeugen und auf ultras­chnellen Zeitskalen zwischen einem Weyl-Semi­metall, einem Dirac-Semi­metall und einem topo­logischen Isolator hin- und herzu­schalten. Neben ihrer Bedeutung für grund­legende Fragen der Quanten­physik könnten die Ergebnisse auch zu Anwendungen in der ultra­schnellen Schaltung von Material­zuständen führen.

Abb.: Durch spezielle Laserpulse angeregt, tanzen Weyl-Kegel in einem Dirac-Fermion-Material auf dem durch Laserlicht kontrollierten Pfad. Ein Kegel enthält rechts-, der andere linkshändige Weyl-Fermionen. (Bild: J. M. Harms / MPSD)

Die Quanten­feld­theorie besagt, dass es drei ver­schiedene Arten von Fermionen geben kann: Dirac-, Weyl- und Majo­rana-Fer­mionen, benannt nach Paul Dirac, Hermann Weyl und Ettore Majorana. Trotz ihrer Vorher­sage vor nunmehr fast einhundert Jahren wurden von diesen drei Teilchen­arten bisher nur Dirac-Fermionen als Elementar­teilchen in der Natur beobachtet. Mit der Entdeckung von Graphen im Jahr 2004 erkannte man jedoch, dass sich das Verhalten freier, relati­vistischer Teilchen auch in den elek­tronischen Eigen­schaften von Materialien beobachten lässt. Dies entfachte eine Suche nach Materialien, in denen diese Teilchen beobachtet werden könnten. Erst vergangenes Jahr wurden die ersten Materialien entdeckt, in denen Weyl-Fermionen existieren. Während jedes bekannte Material im Gleich­gewichts­zustand nur eine Art dieser Fermionen beinhaltet, konnte nun gezeigt werden, wie sich die Natur der Fermionen in bestimmten Materialien mithilfe maßge­schneiderter Licht­pulse umwandeln lässt.

Die Beobach­tung von Dirac-Fermionen in den Eigen­schaften von Graphen hat ihren Ursprung in einer komplexen Wechsel­wirkung der großen Zahl von Elektronen und Ionen, aus denen das Material aufgebaut ist. Während jedes einzelne Elektron durch elektrostatische Kräfte mit seinen benachbarten Ionen und Elektronen wechselwirkt, führt das spezielle Muster der Kohlen­stoff-Ionen in der Waben­struktur der Graphen­lagen dazu, dass sich die Elektronen kollektiv wie masselose freie Fermionen verhalten – Dirac-Fermionen. Daher hat sich die Suche nach weiteren Materialien, die Quasi­teilchen beinhalten, welche sich wie Elementar­teilchen verhalten, bisher auf die Kristall­struktur der Materialien fokussiert.

Nun hat man jedoch entdeckt, dass sich durch die Bestrahlung eines Materials mit einem Laser Quasi­teilchen des Materials mit Photonen des Laser­feldes zu einem wiederum neuen Quasi­teilchen verbinden können, das sich nochmals grund­legend anders verhalten kann. Ins­besondere kann die Kopplung mit Photonen die Topo­logie der Quasi­teilchen beein­flussen. Die Topo­logie ist eine Eigen­schaft der Teilchen eines Materials, die zu merkwürdigen Eigen­schaften führt, beispiels­weise zu metal­lischen chiralen Zuständen, die eine widerstands­lose einspurige Quanten-Autobahn entlang der Ober­fläche eines im Inneren iso­lierenden topo­logischen Isolators bilden. Diese Chiralität ist topologisch in dem Sinne, dass rechts­händige und links­händige Zustände nicht konti­nuierlich ineinander überführt werden können. Der Nobelpreis für Physik im Jahr 2016 wurde gerade erst an Michael Kosterlitz, Duncan Haldane und David Thouless für die Entdeckung solcher topo­logischer Zustände verliehen.

Dirac- und Weyl-Fermionen unter­scheiden sich durch ihre Chira­lität. Genauso wie unsere linken und rechten Hände kommen Weyl-Fermionen immer in Paaren vor, bei denen ein Teilchen das Spiegel­bild des anderen ist. Die beiden Partner sind beinahe identisch, können jedoch nicht einfach überl­agert werden. Dirac-Fermionen haben diese Eigen­schaft nicht. Ein Zugang zur Chira­lität in einem Material ist die Anregung mit einem Laser­strahl. „Vor etwa zehn Jahren erkannte man, dass die Floquet-Theorie − eine Theorie für laser­getriebene Systeme, die periodisch in der Zeit schwingen − es uns ermöglicht, Parameter und Symmetrien in Materia­lien so zu beein­flussen, dass dadurch ihre Topologie verändert werden kann“, erklärt Michael Sentef, Emmy-Noether-Gruppen­leiter am MPSD in Hamburg. Indem man Dirac-Fermionen mit den Photonen eines Laser­strahls kombiniert, kann man neue Quasi­teilchen erzeugen und die für Weyl-Fermionen benötigte Chira­lität induzieren. Dadurch verwandelt man das Dirac-Semi­metall in ein Weyl-Semi­metall.

In seiner Arbeit nutzte das Forscher­team um Angel Rubio modernste Computer­simulationen von Material­eigen­schaften, um die optische Transformation von Dirac-Fermionen zu Weyl-Fermionen in dem realen Material Na3Bi zu demons­trieren. Dieses Material ist ein drei­dimensionales Dirac-Semi­metall. Es besteht aus Schichten von Natrium- und Wismut-Atomen, die sich zu einem drei­dimensionalen Äquivalent von Graphen anordnen. Diese Drei­dimensionali­tät ist entscheidend für die Möglich­keit der Trans­formation von Dirac- in Weyl-Fermionen. In zwei­dimensionalem Graphen ist diese Umwandlung nicht möglich. „Die entschei­dende Heraus­forderung in dieser Arbeit bestand darin, die Ideen aus der Floquet-Theorie und Topologie von Modell­systemen auf reale Materialien zu übertragen und somit zu zeigen, dass topo­logische Nicht­gleichgewichts-Phasen­übergänge im Kontext der Material­wissenschaf­ten realisiert werden können“, sagt Hannes Hübener, Marie-Curie-Stipendiat an der Uni­versität des Basken­landes in San Sebastián.

Ins­besondere konnten die Forscher zeigen, wie der topo­logische Schutz der Händigkeit von Weyl-Fermionen entsteht und durch die Stärke des Laser­strahls verstärkt werden kann. „Wir bemerkten in unseren Simu­lationen, dass sich die Weyl-Fermionen umso weiter von­einander ent­fernten, je mehr wir das Laser­feld erhöhten“, sagt Sentef. „Dieses Sich-Entfernen passiert dabei im sogenannten Impulsraum, in dem die Quasiteilchen leben. Da rechts- und links­händige Teilchen gerade Anti­teilchen zueinander sind, müssen sie zusammenkommen, um sich gegen­seitig auszu­löschen. Die Separation im Impuls­raum schützt sie also gerade vor dieser Vernichtung, was bedeutet, dass wir die topo­logische Stabilität dieser Teilchen erreichen können.“ Die theore­tischen Resultate legen nahe, dass Experimental­physiker in der Lage sein sollten, diese Umwandlung zwischen Dirac- und Weyl-Fermionen in ultra­schnellen Laser-Experi­menten zu messen. Mit der Pump-Probe-Photo­emissions­spektro­skopie besteht eine Möglichkeit, den photo­elektrischen Effekt zu nutzen, um Elektronen aus dem laser­getriebenen Material zu emittieren.

Angel Rubio, Direktor der MPSD Theorie-Abteilung, ergänzt: „Mit dieser Arbeit betreten wir aufregende neue Wege, um die Eigen­schaften von Materialien und Molekülen mittels der funda­mentalen Licht-Materie-Wechsel­wirkung zu mani­pulieren. Wir schaffen damit die Grundlage, um letztlich das Verhalten von Materie auf der Nanoskala und mit ultra­schnellen Schalt­zeiten zu kontrollieren.“ Im Ideal­fall hoffen die Wissen­schaftler sogar einen Weg zu finden, um diese licht­induzierten Zustände auf längeren Zeitskalen zu stabi­lisieren und gleich­zeitig die Möglich­keit des ultra­schnellen Schaltens mit Terahertz- oder sogar noch schnelleren Frequenzen zu bewahren. Dies könnte ultra­schneller Elektronik für super­schnelle Computer der Zukunft den Weg ebnen.

MPSD / JOL

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