18.07.2017

Quantenbeobachtung bestimmt Flussrichtung

Thermodynamische Ströme lassen sich über den Messprozess kontrollieren.

Messungen spielen eine fundamentale Rolle in der Quantenmechanik und sind gleichzeitig tief mit der Frage der Interpretation der Quantenphysik verwurzelt. Die bekannteste Illustration der Prinzipien der Super­position und Verschränkung in der Quantenphysik ist Schrödingers Katze. Diese Katze befindet sich, von außen nicht sichtbar, in einer kohärenten Überlagerung zweier Zustände, sie ist zur gleichen Zeit lebendig als auch tot. Durch eine Messung bricht diese Superposition auf einen konkreten Zustand zusammen, die Katze ist nun entweder tot oder lebendig. In diesem Gedanken­experiment sieht man den Messprozess der „Quantenkatze" als eine Wechsel­wirkung mit einem makro­skopischen Objekt an, welche die Kohärenz des Quanten­systems zerstört.

Abb.: Künstlerische Darstellung der Rolle eines Quantenbeobachters in einem Nanosystem (Bild: K. Aranburu)

Wissenschaftler des MPSD (Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie) bei CFEL (Zentrum für Freie-Elektronen-Laser-Forschung) in Hamburg haben zusammen mit Mitarbeitern der Universität des Baskenlandes (UPV/EHU) in San Sebastian und dem Bremer Zentrum für Computational Materials Science (BCCMS) entdeckt, dass ein mikroskopischer Quanten­beobachter in der Lage ist, thermische und elektrische Ströme in Geräten auf der Nano­meter­skala zu kontrollieren. Diese lokale Quanten­beobachtung eines Systems kann kontinuierliche und dynamische Änderungen in seiner Quanten­kohärenz erzeugen, so dass sich Partikel- und Energie­ströme in Nanosystemen steuern lassen.

Die klassische Nichtgleichgewichts­thermodynamik wurde entwickelt, um den Strom von Partikeln und Energie zwischen mehreren Hitze- und Partikel­reservoirs zu verstehen. Das bekannteste Beispiel ist das zweite Gesetzes der Thermo­dynamik von Clausius, demzufolge Wärme ausschließlich vom heißeren zum kälteren Objekt fließen kann.

Bei makroskopischen Objekten werden weder der Energiefluss noch der Teilchen­fluss zwischen den Objekten durch die Beobachtung des Prozesses verändert. In der Quantenwelt sieht dies jedoch anders aus, hier müssen klassische thermo­dynamische Konzepte hinterfragt und rekapituliert werden. Wenn ein makro­skopischer Beobachter ein Quanten­system misst, zerstört dieser Messprozess den größten Teil der Kohärenz innerhalb des Systems und bestimmt seine Dynamik.

Wenn stattdessen ein mikroskopisch kleiner Quanten­beobachter nur lokal wirkt, ändert sich die Quanten­kohärenz des Systems kontinuierlich und dynamisch. Dadurch wird ein weiteres Maß an Kontrolle über seine Eigenschaften erreicht. Je nachdem, wie stark und wo diese lokalen Quanten­beobachtungen durchgeführt werden, entstehen neue und überraschende Quanten-Transport­phänomene.

Die Gruppe von Angel Rubio an der Theorieabteilung des MPSD hat zusammen mit ihren Forschungs­partnern gezeigt, wie das Konzept der Quantenmessungen neue Möglichkeiten für die thermo­dynamische Steuerung der Energie und Teilchen­ströme in Quanten­systemen bieten kann. Dieses Konzept bietet Möglichkeiten weit über denen, die durch die Anwendung von klassischen thermischen Reservoirs möglich sind.

Die Wissenschaftler studierten dieses theoretische Konzept in einer Brownschen Quanten­ratsche. Innerhalb dieses Systems sind die linke und rechte Seite jeweils mit einem heißen und einem kalten thermischen Bad verbunden. Diese Konfiguration lässt die Energie von heiß nach kalt fließen, während die Elektronen im Uhrzeigersinn innerhalb der Brownschen Ratsche fließen. Die Wirkung eines Quanten­beobachters zwingt diesen Elektronen­strom jedoch, gegen die natürliche Richtung der Nano­maschine zu fließen. Dieses Phänomen wird durch die Lokalisierung des elektronischen Zustandes und die Störung der Symmetrie des Systems verursacht.

Darüber hinaus ist die Quanten­beobachtung in der Lage, die Richtung des Wärmestroms umzukehren, was einen Widerspruch des zweiten Gesetzes der Thermodynamik darzustellen scheint. „Diese Kontroll­möglichkeit der thermo­elektrischen Ströme könnte verschiedene Strategien eröffnen, um quanten­mechanische Transport­systeme zu konzipieren mit Anwendungen in der Thermo­elektrizität, Spintronik, Photonik und Sensorik. Diese Ergebnisse waren ein wichtiger Beitrag zu meiner Doktorarbeit", sagt Robert Biele, Erstautor der Publikation.

Diese Forschungsarbeit hebt die fundamentale Rolle eines Quanten­beobachters hervor: Im Gegensatz zur Schrödinger Katze, wo die kohärente Überlagerung von Zuständen durch die Wechselwirkung mit einem makroskopischen „Beobachter" zerstört wird, ändert der lokale Quanten­beobachter örtlich und dynamisch die Kohärenz und ermöglicht damit eine feine Einstellung zwischen diesen Quanten­zuständen. „Dies zeigt, wie anders sich die Thermodynamik im Quanten­regime verhält. Schrödingers Katzen­paradox führt zu neuen thermo­dynamischen Kräften, die nie zuvor gesehen wurden ", ergänzt César A. Rodríguez Rosario.

Zukünftig werden die Forscher dieses Konzept anwenden, um Spins für Anwendungen in Spin-Injektion und neuartige Magnetspeicher zu kontrollieren. Angel Rubio suggeriert: „Dieser Quanten­beobachter – der bisher nur die Partikel- und Energieübertragung im Nano­meterbereich kontrolliert – könnte auch einzelne Komponenten des Spins messen und damit Spin-polarisierte Ströme ohne Spin-Bahn-Wechselwirkung erzeugen. Dies könnte verwendet werden, um Magnet­speicher zu schreiben."

MPSD / DE

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