16.05.2019

Quanten in der Cloud

Phänomene der Teilchenphysik mit zwanzig Quantenbits simuliert.

Mit einem Quanten-Coprozessor in der Cloud stoßen Innsbrucker Physiker die Tür zur Simulation von bisher kaum lösbaren Frage­stellungen in der Chemie, Material­forschung oder Hoch­energiephysik weit auf. Die Forschungs­gruppen um Rainer Blatt und Peter Zoller haben dazu Phänomene der Teilchen­physik auf zwanzig Quantenbits simuliert und gezeigt wie der Quanten­simulator das Ergebnis erstmals selbständig überprüft hat.

Abb.: Eine neue Methode ermöglicht leistungsfähige Quantensimulation auf...
Abb.: Eine neue Methode ermöglicht leistungsfähige Quantensimulation auf heute verfügbarer Hardware. (Bild: H. Ritsch, IQOQI Innsbruck)

Aktuell beschäftigen sich viele Wissen­schaftler mit der Frage, wie die Quanten­überlegenheit auf heute schon verfügbarer Hardware genutzt werden kann. Vor drei Jahren haben Physiker erstmals die spontane Entstehung eines Elementar­teilchen-Paares mit einem digitalen Quanten­computer an der Universität Innsbruck simuliert. Aufgrund der Fehlerrate wären für komplexere Simulationen aber sehr viele Quantenbits nötig, die in heutigen Quanten­computern noch nicht verfügbar sind. Auch der analogen Nachbildung von Quanten­systemen in einem Quantencomputer sind enge Grenzen gesetzt. Mit einer neuen Methode haben Forscher um Christian Kokail, Christine Maier, Rick van Bijnen und Christian Roos am Institut für Quantenoptik und Quanten­information (IQOQI) der Öster­reichischen Akademie der Wissen­schaften diese Grenzen nun gesprengt.

Die Forscher nutzen einen programmier­baren Ionenfallen-Quanten­computer mit zwanzig Quantenbits als Quanten-Coprozessor, in den quanten­mechanische Berechnungen, die an die Grenze klassischer Computer stoßen, ausgelagert werden. „Wir verwenden die besten Eigen­schaften beider Technologien“, erklärt Christine Maier. „Der Quanten­simulator übernimmt die rechen­aufwendigen Quantenprobleme und der klassische Computer löst die restlichen Aufgaben.“ 

Die Wissenschaftler nutzen die aus der theoretischen Physik bekannte Variations­methode, wenden sie aber auf ihr Quanten­experiment an. „Der Vorteil dieser Methode ist, dass wir den Quanten­simulator als eine vom untersuchten Problem unabhängige Quanten­ressource nutzen können“, erklärt Rick van Bijnen. „So lassen sich auch komplexere Fragestellungen simulieren.“ Ein Vergleich macht den Unterschied deutlich: Ein analoger Quanten­simulator ist wie ein Puppenhaus, er bildet die Realität ab. Der programmier­bare Variations-Quanten­simulator bietet hingegen einzelne Bausteine, mit denen viele unter­schiedliche Häuser gebaut werden können. Diese Bausteine sind im Quanten­simulator Verschränkungs­gatter und Einzel-Spin-Rotationen. Mit einem klassischen Computer wird solange an diesen Stellschrauben gedreht, bis sich der gesuchte Quanten­zustand einstellt.

Dafür haben die Physiker einen ausgeklügelten Optimierungs­algorithmus entwickelt, der in rund 100.000 Aufrufen des Quanten-Coprozessors durch den klassischen Computer zum Ergebnis führt. Gepaart mit extrem schnellen Messzyklen des Quanten­experiments wird der Simulator enorm leistungsfähig. So haben die Physiker erstmals auf zwanzig Quantenbits die spontane Entstehung und Vernichtung von Elementar­teilchen-Paaren im Vakuum simuliert. Weil die neue Methode sehr effizient ist, lässt sich mit ihr auch auf noch größeren Quanten­simulatoren rechnen. Demnächst wollen die Innsbrucker Forscher einen Quanten­computer mit bis zu fünfzig Ionen bauen. Dies bietet interessante Perspektiven für weitere Untersuchungen von Festkörper­modellen und Problemen der Hochenergiephysik.

Ein bisher ungelöstes Problem bei komplexen Quanten­simulationen ist die Überprüfung der Simulations­ergebnisse. „Mit klassischen Computern lassen sich solche Berechnungen kaum bis gar nicht mehr überprüfen. Wie kontrollieren wir also, ob das Quantensystem auch das richtige Resultat liefert?“, fragt der Theoretiker Christian Kokail. „Wir haben diese Frage erstmals durch zusätzliche Messungen im Quantensystem gelöst. Anhand der Ergebnisse beurteilt die Quanten­maschine die Qualität der Simulation“, erläutert Kokail. Ein solcher Verifikations­mechanismus ist die Voraussetzung für noch komplexere Quanten­simulationen, weil dabei die notwendige Zahl von Quantenbits stark ansteigt. „Die Simulation auf zwanzig Quantenbits können wir am klassischen Computer noch überprüfen, bei komplexeren Simulationen ist das schlichtweg nicht mehr möglich“, sagt Rick van Bijnen. „In unserem Experiment war das Quanten­experiment sogar schneller als die Kontroll­simulation am PC. Wir mussten diese am Ende aus dem Rennen nehmen, um das Experiment nicht auszubremsen“, sagt er.

Diese Arbeit basiert auf der einzig­artigen Zusammenarbeit zwischen Experiment und Theorie am Quanten­standort Innsbruck. Die Expertise aus jahrelanger experimenteller Quantenforschung trifft in Tirol auf innovative theoretische Ideen. Dies führt gemeinsam zu weltweit beachteten Ergebnissen und begründet eine inter­national führende Stellung der Innsbrucker Quanten­forschung. „In diesem Experiment stecken fünfzehn Jahre sehr harter Arbeit“, sagt Rainer Blatt. „Es ist sehr schön zu sehen, dass dies nun solche schönen Früchte trägt.“ Peter Zoller ergänzt: „Wir in Innsbruck sind nicht nur führend bei der Zahl der verfügbaren Quantenbits, sondern jetzt auch in den Bereich der programmierbaren Quanten­simulation vorgestoßen und konnten erstmals die Selbstverifikation eines Quanten­prozessors zeigen. Mit diesem neuen Zugang bringen wir die Simulation von alltags­relevanten Quanten­problemen in greifbare Nähe.“

IQOQI / JOL

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