13.07.2023

Polarlichter erlauben tiefen Einblick

Jupiters Stratosphärenchemie wird durch seine großen Polarlichter beeinflusst.

Über den Polen des Gasriesen Jupiters leuchten fortwährend Polarlichter von riesigem Ausmaß. Das malerische Phänomen prägt die Vorgänge in der Atmosphäre des Gasriesen stärker als bisher gedacht. Das berichtet eine Gruppe von Forschern, zu denen auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Sonnen­system­forschung (MPS) in Göttingen zählen. Mit Hilfe von Messdaten des Atacama Large Millimeter/Submillimeter Arrays (ALMA) in Chile und des International Gemini Observatory auf Hawaii beschreibt das Forscherteam die Verteilung von Kohlen­monoxid und Blausäure in der Jupiter­atmosphäre in bisher unerreichter Genauigkeit und räumlicher Auflösung. Dabei stechen die Regionen unterhalb der Polarlichter besonders heraus. Möglich wurden die neuen Erkenntnisse durch einen kosmischen Zusammen­stoß, der sich vor fast dreißig Jahren ereignete.

 

Abb.: Diese Aufnahme des James-Webb-Weltraumteleskops zeigt die imposanten...
Abb.: Diese Aufnahme des James-Webb-Weltraumteleskops zeigt die imposanten Polarlichter an den Polen des Jupiters. (Bild: NASA / ESA / Jupiter ERS Team / R Hueso, UPVEHU / J. Schmidt)

Das Eintauchen der insgesamt 21 Bruchstücke des Kometen Shoemaker-Levy 9 in den Jupiter im Juli 1994 war ein spektakuläres Ereignis. Da sich die Kollision schon Jahre zuvor vorhersagen ließ, konnten leistungs­starke Teleskope auf der Erde und im Weltraum den Zusammenstoß und seine Auswirkungen genau mitverfolgen. Als markante, schwarze, wolkenartige Gebilde zeigen sich die Einschlag­stellen etwa auf Aufnahmen des Hubble-Weltraum­teleskops.

Weitere Messungen ergaben, dass der Komet zahlreiche Molekülarten wie Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Wasser und Blausäure in die Jupiter­atmosphäre eintrug, die dort zuvor nicht heimisch waren. Da diese Moleküle über viele Jahrzehnte stabil bleiben, boten diese Fremdkörper Forschern eine einzig­artige Gelegenheit: Über viele Jahre konnten sie beobachten, wie sich die Moleküle über den Jupiter verteilen, und so wertvolle Einblicke in die Winde und chemischen Reaktionen in der Atmosphäre des Gasriesen gewinnen. Die Messungen von 2017, die die Forscher unter Leitung der Universität von Bordeaux jetzt ausgewertet haben, zeichnen die Verteilung des eingetragenen Kohlen­monoxids und der Blausäure in bisher unerreichter Genauigkeit nach.

Das Forscherteam hat auf diese Weise den gesamten Planeten kartiert und dabei auch die Polarregionen des Jupiter in hoher Auflösung erfasst. Diese sind Schauplatz seiner gewaltigen Polarlichter, die sich über eine Fläche mit einem Durchmesser von mehr als 40.000 Kilometern erstrecken. In deutlich kleinerer Ausführung ist dieses Phänomen auch auf der Erde bekannt. Wenn in Phasen starker Sonnen­aktivität hoch­energetische Sonnenwindteilchen entlang der Feldlinien des Erdmagnetfeldes auf die irdische Atmosphäre treffen, werden dort in einer Höhe von 100 bis 1000 Kilometern Moleküle ionisiert. Als Folge emittieren diese Licht verschiedener Wellenlängen und erzeugen so das diffuse Leuchten in Grün-, Blau- und seltener Rottönen. Auch auf dem Jupiter erzeugt ein Zusammenspiel aus geladenen Teilchen, Magnetfeld und Atmosphäre die Polarlichter. Allerdings ist das Magnetfeld des Jupiter etwa zwanzigmal stärker als das der Erde; die Polarlichter leuchten in allen Wellenlängen­bereichen vom Infraroten bis hin zur Röntgen­strahlung. Zudem sind die Polarlichter des Jupiters – anders als die der Erde – eine ständige Erscheinung. Als Auslöser werden neben Sonnenwind­teilchen auch Teilchen vermutet, die den heftigen Vulkan­ausbrüchen des Jupiter­mondes Io entstammen.

„Die Polarlichter des Jupiter faszinieren Forscher, die sich mit der Dynamik und Chemie der Jupiteratmosphäre beschäftigen, schon seit Langem“, so Paul Hartogh vom MPS, Koautor der aktuellen Studie. Im vorvergangenen Jahr etwa berichtete ein Forscherteam, zu dem neben Paul Hartogh zwei weitere Wissenschaftler vom MPS zählten, von stabilen stratosphärischen Winden, die unterhalb der Polarlichter wehen. „Wir denken, dass uns die Moleküle, die der Komet vor fast dreißig Jahren in die Jupiter­atmosphäre eingetragen hat, helfen können, die Vorgänge im Bereich der Polarlichter besser zu verstehen“, so Ladislav Rezac vom MPS, Zweitautor der aktuellen Studie. Mit Hilfe von Messungen vom Radio­teleskop ALMA der Europäischen Süd­sternwarte (ESO) in der chilenischen Atacama-Wüste und des International Gemini Observatory auf Hawaii von 2017 konnte die Forschergruppe nun die Verteilung von Kohlenmonoxid und Blausäure in der Jupiter­atmosphäre genau untersuchen. Im Vergleich zu älteren Studien, die auf den Messungen anderer boden­gebundener Teleskope beruhen, bieten diese Messdaten eine deutlich höhere räumliche Auflösung.

Wie die Auswertungen nun genau belegen, haben sich beide Molekülsorten seit des Einschlags des Kometen Shoemaker-Levy 9 im Jahr 1994 in ähnlicher Weise weit in der Jupiter­atmosphäre verteilt und bevölkern mittlerweile auch einen ausgedehnten Höhenbereich. In der Region unterhalb der Polarlichter fand das Forscher­team allerdings eine unerwartete Auffälligkeit: Dort zeigen die Messungen deutlich weniger Blausäure als erwartet. „Da beide gemessenen Molekülsorten den gleichen dynamischen Kräften wie etwa Winden unterliegen, bedeutet dies, dass die Blausäure durch andere Mechanismen beeinflusst wird“, so Ladislav Rezac. Winde hätten beide Molekül­sorten in gleicher Weise verteilt. „Stattdessen muss es offenbar einen chemischen Vorgang geben, an dem nur die Blausäure beteiligt ist und der nur unterhalb der Polarlichter auftritt“, schlussfolgert der Forscher.

Die Erklärungen drehen sich vor allem um winzige Aerosole, die sich im Bereich der Polarlichter bilden. Angeregt durch elektro­magnetische Strahlung im Höhenbereich der Polarlichter bilden sich einfache Kohlenwasserstoffe, die zu komplexeren Kohlenwasserstoffketten wie Benzol anwachsen, bis sich schließlich gasförmige polyzyklische aromatische Kohlen­wasserstoff (PAHs) bilden. Diese kondensieren nach und nach, und die so entstandenen Aerosole sinken in niedrigere Schichten der Stratosphäre. Chemische Reaktionen auf diesen Aerosolen führen zur Zerstörung der Blausäure. Dieser Mechanismus erinnert an die Ozonzerstörung in der polaren Erdstratosphäre durch chemische Reaktionen auf polaren Stratosphären­wolken.

„Aerosole spielen offenbar in der Atmosphärenchemie der polaren Jupiterstratosphäre eine wichtige Rolle, ähnlich wie in der polaren Erdstratosphäre“, so Hartogh. Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, hoffen die Forscher nun auf Messungen des James-Webb-Weltraum­teleskops, das seit vergangenem Jahr in Betrieb ist. Das Teleskop ist in der Lage, die Verteilung von Kohlendioxid in der Jupiteratmosphäre mit hoher Genauigkeit zu bestimmen. Und auch die Weltraummission Juice dürfte genauere Erkenntnisse liefern. Die gleichnamige ESA-Raumsonde, die seit April dieses Jahres den Jupiter ansteuert, trägt das Submillimetre Wave Instrument (SWI) an Bord. Es wurde unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut und wird vor Ort im Jupitersystem ab 2031 einen besonders guten Blick auf die Vorgänge in der Atmosphäre des Gasriesen haben. So wird etwa die räumliche Auflösung der Messdaten von SWI die von ALMA um das Hundertfache übertreffen; zudem wird SWI weitere Spurengase, die auf den Kometen­einschlag zurückzuführen sind, wie etwa Schwefel­kohlenstoff detektieren können.

MPS / DE

 

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