11.03.2022

Polaritonen schalten Ferroelektrizität

Elegante Regelung der Polarisationsumkehr in ferroelektrischem Lithiumniobat.

Die intensive Anregung im mittleren Infrarot ist ein leistungs­fähiges Instrument zur Steuerung der magnetischen, ferro­elektrischen und supra­leitenden Eigenschaften komplexer Materialien. Nicht­lineare Phononik ist der Schlüssel zu diesem Effekt, da sie bestimmte Atome aus ihrer Gleichgewichts­position bringt um mikroskopische Wechselwirkungen zu manipulieren. Jetzt haben Hamburger Forscher herausgefunden, dass die Polarisations­umkehr in ferro­elektrischem Lithium­niobat (LiNbO3) nicht nur innerhalb des optisch angeregten Volumens, sondern auch in Bereichen fernab vom direkten Licht-Treffer auftritt. 

Abb.: Ein intensiver Laserpuls im mittleren Infrarot­bereich trifft auf einen...
Abb.: Ein intensiver Laserpuls im mittleren Infrarot­bereich trifft auf einen ferro­elektrischen Lithium­niobat-Kristall und löst atomare Schwin­gungen nur in einer geringen Tiefe unterhalb der Oberfläche aus. (Bild: J. M. Harms, MPSD)

Ferro­elektrische Materialien wie LiNbO3 besitzen eine statische elektrische Polari­sation, die durch Linien positiver und negativer Ladung erzeugt wird und mit einem elektrischen Feld umge­schaltet werden kann. Diese einzigartige Eigenschaft macht solche Materialien zum Grund­baustein vieler moderner elek­tronischer Komponenten in Smartphones, Laptops und Ultraschall-Bildgebungs­geräten. Die Verwendung von Laserlicht zur Änderung der ferroelektrischen Polarisation ist ein neuer Ansatz, der extrem schnelle Prozesse ermöglicht – ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung hoch­effizienter ultra­schneller optischer Schalter für neue Geräte. 

Die Forschenden in der Gruppe von Andrea Cavalleri am Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik verwendeten Pulse im mittleren Infrarot­bereich, um die Oberfläche eines ferro­elektrischen LiNbO3-Kristalls anzuregen. Hierdurch entstand eine starke Vibration in einem Bereich, der sich über eine Tiefe von drei Mikrometern unterhalb der Kristall­oberfläche erstreckt. Das Team maß dann die ultraschnellen Änderungen der ferro­elektrischen Polarisation über die gesamte Kristalldicke von fünfzig Mikrometern mithilfe der Femto­sekunden-stimulierten Raman-Streuung. Die Messungen ergaben, dass Lichtpulse mit einer sehr hohen Energie­dichte eine Umkehr der ferro­elektrischen Polarisation im gesamten Kristall bewirken.

Durch den Einsatz von Simulationen zu Auswirkungen der nicht­linearen Phononik in LiNbO3 fanden die Forscher heraus, dass starke Polarisations­wellen, Polaritonen, aus der kleinen vom Lichtpuls durchquerten Region austreten und sich durch die restliche Tiefe des Kristalls bewegen. Es wird angenommen, dass diese Polaritonen eine wichtige Rolle bei der Veränderung der ferro­elektrischen Polari­sation in den Bereichen des Kristalls spielen, die dem Lichtpuls nicht direkt ausgesetzt sind.

Die Ergebnisse geben neue Einblicke in das schwer fassbare Rätsel der ultra­schnellen Mani­pulation von Ferro­elektrizität, deren Verständnis zu neuen Bau­elementen wie nachhaltigen optischen Schaltern führen kann. Im weiteren Sinne wirft diese Arbeit die Frage auf, ob auch andere Systeme, die durch nicht­lineare Phononik angetrieben werden, eine ähnliche Art von nicht­lokalem Charakter aufweisen können. Die Fähigkeit, funktionale Eigen­schaften aus der Ferne zu mani­pulieren, könnte neue Möglich­keiten für die Integration nicht­linearer Phononik in integrierte Geräte und andere komplexe Materialien aufzeigen und neue Wege für die Steuerung von Systemen mit Licht eröffnen.

MPSD / JOL

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