19.05.2021 • Energie

Öko-Energie ohne Grenzen?

Lediglich 0,04 Prozent der ins System Erde eingebrachten Energie stehen für die technische Nutzung zur Verfügung.

Die Erde hat ihre Belastungsgrenzen, wie Klimakrise, Artensterbens und die Vermüllung der Ozeane zeigen. Als mögliche Antwort darauf propagieren Regierungen und Institutionen weltweit das Konzept der Kreislaufwirtschaft. So sollen durch das Schließen der Materialkreisläufe die mit der Rohstoffgewinnung einhergehenden Umweltauswirkungen vermieden und das Müllproblem gelöst werden. Im Hinblick auf eine nachhaltige Gesellschaft genügt dieser Ansatz für sich allein jedoch nicht, lässt er doch die Frage offen, wie viel und wie schnell Materialien im Kreis geführt werden und mit welcher Energie diese Kreisläufe betrieben werden. Denn in einer nachhaltigen Gesellschaft müssen nicht nur die Materialflüsse, sondern auch die Energieströme innerhalb der Grenzen bleiben, die unser Heimatplanet uns setzt.

Abb.: Unabhängig von der Nutzung, ob im natürlichen Erdsystem oder der von...
Abb.: Unabhängig von der Nutzung, ob im natürlichen Erdsystem oder der von Menschen erschaffenen Technosphäre, wird die gesamte Energie letztlich wieder ins All abgestrahlt. (Bild: NASA)

Eine zentrale Frage lautet daher: Steht global genügend erneuerbare Energie für die nachhaltige Gestaltung der Materialflüsse in unserer Gesellschaft zur Verfügung, ohne die planetaren Grenzen zu sprengen? Dieser Frage geht ein Team der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt um Harald Desing nach. Betrachtet man die Erde als System, tauscht dieses mit seiner Umgebung lediglich Energie aus. Der weitaus größte Teil der ins System eingebrachten Energie ist Sonnenstrahlung. Diese Energieströme wurden schon immer restlos von der Erde selbst genutzt. Ihre vielen Teilsysteme wie Ozeane, Atmosphäre und Wälder, aber auch reflektierende Eisflächen wurden damit gewissermaßen „in Betrieb gehalten“.

Die meisten der Teilsysteme wandeln die eintretende Energie in weitere erneuerbare Energieströme um, zum Beispiel Wind- und Wasserströmungen oder Biomasseproduktion. Dabei wird den eintretenden Energieströmen freie Energie entzogen. Unabhängig von der Nutzung, ob im natürlichen Erdsystem oder der von Menschen erschaffenen Technosphäre, wird die gesamte Energie letztlich wieder ins All abgestrahlt.

Wenn die Menschheit zunehmend Anteile der erneuerbaren Energieströme für ihre Aktivitäten abzweigt, reduzieren sich die dem Erdsystem zur Verfügung stehenden Anteile. Solche Störungen kann das Erdsystem bis zu einem gewissen Grad ausgleichen. Sind sie jedoch zu groß, steigt das Risiko, dass Kipppunkte überschritten werden: Schnelle und irreversible Veränderungen im Erdsystem wären die Folge, etwa das Abschmelzen der Polkappen, welches wiederum den Klimawandel beschleunigt. Um diese Kipppunkte nicht zu überschreiten, darf die Größe der genutzten Landfläche nicht über der planetaren Belastungsgrenze liegen. Es ist aber auch entscheidend, auf welche Weise die Fläche genutzt wird: Solaranlagen anstelle von Wäldern etwa stören die Biodiversität, die Verdunstung und damit den Wasserkreislauf, die Rückstrahlung von Wärme ins All und vieles mehr.

Die gleichen Obergrenzen wie für die solare Nutzung gelten auch für die Ernte der chemischen Energie – also für die Land- und Forstwirtschaft, die Nahrungs- und Futtermittel, Heizmaterial, Treibstoffe sowie Baumaterialien produziert. Die Erzeugung technischer Energie steht auf vielen Flächen in Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung.

Um die verschiedenen Potenziale an erneuerbarer Energie vergleichen und summieren zu können, haben die Forscher sie in elektrische Energieäquivalente umgerechnet. Dazu werden in den Berechnungen die Wirkungsgrade heute verfügbarer Kraftwerkstechnik verwendet. Es macht einen Unterschied, ob Elektrizität aus Solarenergie, aus Holz oder aus Wasserkraft erzeugt wird. Diese Umwandlungsverluste schmälern die mögliche Ernte einiger Potenziale nochmals erheblich.

Das Ergebnis der Studie überrascht: 99,96 Prozent der aus dem All auf die Erde eintreffende Energie werden für den Antrieb des Erdsystems und der Nahrungsmittelproduktion benötigt, daher können lediglich 0,04 Prozent technisch genutzt werden. Dennoch liegt dieses Potenzial immer noch etwa um das Zehnfache über dem heutigen globalen Energiebedarf.

Das Ergebnis aus der Betrachtung der Umwandlungsverluste ist wenig überraschend: Wir sollten die verfügbare Energie bevorzugt mittels Solarzellen ernten und nutzen. Denn fast alle erneuerbaren Energieressourcen – auch Wind- und Wasserkraft und die Biomasseproduktion – werden letztlich von der Sonne angetrieben. Eine direkte Nutzung der Sonnenenergie bedeutet weniger Umwandlungsschritte und dadurch weniger Verluste.

Ein Großteil der Sonnenenergie ließe sich auf einem kleinen Teil der Wüstenflächen der Erde ernten, was jedoch technisch und logistisch aufwändig ist. Das Forschungsteam betrachtet daher auf Wüstenflächen geerntete Sonnenergie als eine globale Energiereserve für den Fall, dass alle anderen Erntemöglichkeiten ausgeschöpft sind. Als Konsequenz daraus sollten wir weltweit damit beginnen, alle bereits versiegelten Oberflächen – Gebäudedächer und Fassaden, aber auch Straßen, Schienenwege und Parkplätze – zu nutzen. Diese Fläche würde ausreichen, um eine globale 2000-Watt-Gesellschaft zu versorgen.

Möchte man jedoch den weltweiten Energiebedarf auf das Niveau des heutigen Pro-Kopf-Bedarfs in einem Land wie der Schweiz anheben, so müssten auch Wüstenflächen mitgenutzt werden. Alle weiteren Energiepotenziale sind um Größenordnungen kleiner als die direkte Nutzung der Sonnenenergie – und sie sind zum Teil bereits übernutzt. Trotzdem können sie lokal eine bedeutende Rolle spielen, insbesondere auch, weil sie den Bedarf an Speicherkapazitäten verringern können – eine Problematik, die in dieser Studie nicht mitberücksichtigt worden ist.

Also einfach massenweise Solaranlagen bauen, und das Energieproblem ist gelöst? Ganz so einfach ist es nicht. In der Studie hat das Team nur den ersten Schritt betrachtet – die Berechnung des verfügbaren Energiepotenzials. Die tatsächliche verfügbare Menge an Energie ist kleiner. Limitierende Faktoren sind etwa die Verfügbarkeit von Rohstoffen, aber auch Finanzkapital und Arbeitskraft, Umweltauswirkungen bei der Rohstoffgewinnung oder Produktion, Betrieb und Entsorgung der Anlagen sowie der Bedarf an zusätzlicher Infrastruktur für die Energieverteilung, und -speicherung.

Jetzt geht das Forschungsteam der Frage nach, wie ein solcher Weg von der fossilen hin zur solaren Gesellschaft aussehen könnte. Denn das solare Energiesystem muss nicht nur groß genug sein, um den globalen Bedarf decken zu können, sondern auch rasch genug das fossile System ersetzen können, um die Klimakatastrophe noch rechtzeitig abzuwenden.

Empa / RK

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