27.07.2020

NMR-Spektrometer mit 28,2 Tesla

Göttinger Max-Planck-Institut installiert Spektrometer mit extrem hoher magnetischer Feldstärke.

Es sieht aus wie eine riesige Thermos­kanne und wiegt acht Tonnen. Nicht nur deshalb ist das neue 1,2-Gigahertz-NMR-Spektrometer ein Schwer­gewicht in der weltweiten Forschungslandschaft: Mit seiner magnetischen Feldstärke setzt es neue Maßstäbe in der hoch­auflösenden Kernspin­resonanz (NMR)-Spektroskopie: 28,2 Tesla – fast 600.000-mal stärker als das Erdmagnetfeld. Derzeit gibt es drei dieser Hightech-Geräte, neben der Universität von Florenz und der ETH Zürich steht jetzt eines in Göttingen am Max-Planck-Institut für biophysi­kalische Chemie. Die Kosten für die Anschaffung des Spektro­meters belaufen sich auf 12,5 Millionen Euro.

Abb.: Markus Zweck­stetter (l.) und Christian Griesinger vor dem neuen...
Abb.: Markus Zweck­stetter (l.) und Christian Griesinger vor dem neuen 1,2-GHz-NMR-Spektro­meter. (Bild: S. Pförtner, MPI-BC)

Die innovative Technik wird den Teams um die Struktur­biologen Christian Griesinger und Markus Zweckstetter künftig ermöglichen, ihre Forschung auf dem Gebiet neuro­degenerativer Erkrankungen weiter auszubauen. Auch neue Erkenntnisse in der Krebs- und Infektions­forschung erhoffen sich die Göttinger NMR-Experten. „Das wissenschaftliche Konzept zur Beschaffung dieses Hochleistungs­geräts hatte die Leitung der Max-Planck-Gesellschaft überzeugt und so wurde die Finanzierung beschlossen. Denn mit diesem einzig­artigen Spitzengerät werden ganz neue Einblicke möglich sein, wie Biomoleküle strukturell aufgebaut sind und wie diese sich bewegen. Eine vielver­sprechende Basis für bahnbrechende Erkenntnisse“, freut sich Max-Planck-Präsident Martin Stratmann mit den Göttinger Wissen­schaftlern über die Lieferung des neuen Spektrometers. 

Entstanden ist das wissen­schaftliche Konzept in Zusammenarbeit mit der Universitätsmedizin Göttingen, für die Diethelm Richter mit weiteren Kollegen des Göttingen Campus zeitgleich das thematisch passende „Center for Bio­structural Imaging of Neuro­degeneration“ (BIN) initiierte und plante. Wolfgang Brück, Vorstand Forschung und Lehre der UMG, sagt: „Mit dem neuen 1,2-GHz-Spektro­meter wird das exzellent aufgestellte und hochmoderne Bild­gebungs-Portfolio am Göttingen Campus weiter verstärkt. Forschungs­vorhaben der Universitäts­medizin Göttingen werden insbesondere über die etablierten Kooperationen mit außeruniversitären Partnern im Rahmen des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen und des Center for Biostructural Imaging in Neuro­degeneration von der hochauf­lösenden NMR-Spektro­skopie profitieren. Dies wird für die Erforschung und Behandlung von Erkrankungen auf dem Gebiet der Neurologie und Onkologie ein wichtiger zukünf­tiger Baustein sein.“ 

„Die NMR-Spektro­skopie erlaubt es, für jedes Atom in einem Molekül seine Beweglichkeit auf einem breiten Spektrum von Zeitskalen zu analysieren. Das neue Gerät wird uns bei den Messungen eine um bis zu sechzig Prozent höhere Empfind­lichkeit liefern als unser bisher stärkstes Spektrometer mit 950 Megahertz“, sagt Max-Planck-Direktor Griesinger. Er ist einer der weltweit führenden Experten in der Entwicklung von Methoden für die NMR-Spektro­skopie und deren Anwendung auf biologische Frages­tellungen. „Unsere Wissenschaft­lerinnen und Wissenschaftler verschieben immer wieder Grenzen. Das bedeutet, dass sie auch Instrumente brauchen, die Grenzen verschieben“, sagt die Vize-Präsidentin der Max-Planck-Gesellschaft, Asifa Akhtar.

Die Teams um Griesinger und Zweckstetter sowie die Forschungs­gruppen um Loren Andreas und Stefan Glöggler werden mit dem Hochleistungs-Gerät zukünftig Proteine charakterisieren, die sich mit anderen Methoden nur schwer untersuchen lassen. Dazu gehören beispielsweise Membranproteine oder Proteine, die miteinander verklumpen. „Solche Protein­verklumpungen schädigen Nervenzellen und tragen zur Entstehung neuro­degenerativer Erkrankungen wie der Parkinson- und Alzheimer-Krankheit bei“, erklärt Zweckstetter, Professor an der UMG und Gruppenleiter am MPI für biophysikalische Chemie sowie am Deutschen Zentrum für Neuro­degenerative Erkrankungen (DZNE).

Auf dem Gebiet der neuro­degenerativen Erkrankungen kann Griesingers Gruppe gemeinsam mit dem Team um Armin Giese an der Ludwig-Maximilians-Universität München bereits erste Erfolge vorweisen. Ihnen war es 2013 gelungen, einen Wirkstoff namens anle138b zu entwickeln, der in Tests an Mäusen das Fortschreiten der Protein­verklumpungen und Schädigungen von Nervenzellen verzögert hat. „Das Besondere an unserer neuen Substanz ist, dass sie erstmals direkt an den Protein­verklumpungen ansetzt und deren Bildung hemmt“, erläutert der Struktur­biologe. Anle138b wird durch die Firma MODAG, einer Ausgründung aus der LMU und der Max-Planck-Gesellschaft, derzeit in einer klinischen Phase I-Studie auf eine Verträg­lichkeit für den Menschen geprüft. „Mit dem neuen 1,2-GHz-Spektrometer können wir die strukturellen Veränderungen, die anle138b an den Proteinverklumpungen erzeugt, mit atomarer Auflösung sichtbar machen“, so Griesinger.

Andere Proteine sind experimentell schwer zugänglich, weil sie in der Zelle in oder an einer biologischen Membran sitzen. Können diese Proteine ihre Arbeit nicht mehr verrichten, kann dies zu ernsten Erkrankungen führen. Membran­proteine dienen daher als Angriffsziele für eine Vielzahl medizinischer Wirkstoffe. „Hier bietet uns das neue Hochleistungs-Spektro­meter ganz neue Möglichkeiten, diese Membranproteine in ihrer natürlichen Umgebung zu untersuchen“, berichtet Zweckstetter. Die Göttinger Forscher arbeiten derzeit unter anderem an Membranproteinen, die Infektionen durch Viren ermöglichen, darunter auch das Influenza- und Corona-Virus. 

Bis das Gerät für die Forschung einsatzbereit ist, werden allerdings noch Wochen ins Land gehen. Zunächst muss die Isolations­hülle des NMR-Spektro­meters – ähnlich wie bei einer Thermoskanne – für rund drei Wochen luftleer gepumpt werden, um ein Hochvakuum zu erzeugen. Parallel wird das Gerät in zwei Schritten abgekühlt, erst mit flüssigem Stickstoff, dann mit flüssigem Helium auf die End­temperatur von -271 Grad Celsius. Nur bei dieser tiefen Temperatur können die supraleitenden Magnete im Inneren des NMR-Spektro­meters ihre hohe Stromdichte und Stromstärke sowie das starke Magnet­feld stabil halten. Nach rund vier Wochen kann das Herzstück des Geräts – die Magnetspule – geladen werden. 

MPI-BPC / JOL

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