04.11.2019

Neuer Sensor für eine elektronische Haut

Modul verarbeitet Reize sowohl berührungslos als auch durch den direkten Kontakt.

Durch den geschickten Einsatz von Magnetfeldern konnten Wissen­schaftler des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf HZDR und der Johannes Kepler Universität Linz erstmals einen elek­tronischen Sensor entwickeln, der gleichzeitig Reize sowohl berührungslos als auch durch den direkten Kontakt verarbeiten kann. Bisher sind Versuche, diese Funktionen auf einem einzelnen Gerät zu vereinen, an den über­schneidenden Signalen der verschiedenen Stimuli gescheitert. Da sich der Sensor problemlos auf der menschlichen Haut auftragen lässt, könnte er intuitivere und natürlichere Inter­aktionen in Umgebungen der Virtuellen oder Erweiterten Realität ermöglichen.

Abb.: Ein elek­tronischer Sensor verarbeitet Signale sowohl taktil als auch...
Abb.: Ein elek­tronischer Sensor verarbeitet Signale sowohl taktil als auch berüh­rungslos. Diese elek­tronische Haut könnte eine bessere Schnitt­stelle zwischen Mensch und Maschine bilden. (Bild: D. Makarov, HZDR)

Das größte Organ des Menschen – die Haut – ist das wohl funktionell vielseitigste Körperteil: Sie kann nicht nur verschiedenste Reize sekunden­schnell unterscheiden, sondern auch die Intensität der Signale über eine weite Spanne einordnen. Einem Forscherteam um Denys Makarov vom HZDR-Institut für Ionenstrahl­physik und Material­forschung sowie dem Soft Electronics Laboratory von Martin Kalten­brunner der Linzer Universität ist es gelungen, ein elek­tronisches Gegenstück herzustellen, das ähnliche Eigen­schaften aufweist. Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte ihr neuer Sensor das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine stark vereinfachen, wie Denys Makarov erklärt: „Anwendungen in der Virtuellen Realität werden immer komplexer. Wir benötigen deswegen Verbindungs­geräte, die unter­schiedliche Interaktions­methoden kombinieren.“

Die bisherigen Systeme funktionieren allerdings entweder nur, indem sie tatsächliche physische Berührungen registrieren oder indem sie Objekte über technische Mittel berührungslos verfolgen. Zum ersten Mal sind die beiden Interaktions­wege nun auf dem Sensor, den die Wissenschaftler als „Magnetisches mikroelektro­mechanisches System“ (m-MEMS) bezeichnen, vereint. „Unser Sensor verarbeitet die elektrischen Signale der berührungs­losen und der taktilen Interaktionen in unter­schiedlichen Regionen“, erläutert Jin Ge vom HZDR.„Dadurch kann er den Ursprung der Reize in Echtzeit unterscheiden und störende Einflüsse von anderen Quellen ausblenden.“

Auf einer hauchdünnen Polymer-Folie haben sie zunächst einen Magnetsensor angebracht, der auf dem Riesenmagneto­widerstand (GMR) aufbaut. Diese Folie wiederum verschließt ein Loch, das genau in der Mitte einer zweiten Silizium-basierten Polymer­schicht (Polydimethyl­siloxan) liegt. In diese runde Aussparung fügten die Forscher einen Permanent­magneten ein, aus dessen Oberfläche weiche, pyramidenartige Spitzen herausragen. „Das Ergebnis erinnert zwar eher an ein Stück Frischhalte­folie mit optischen Verzierungen“, scherzt Makarov. „Aber gerade darin liegt eine der Stärken unseres Sensors.“ Denn so bleibt er äußerst flexibel: Er passt sich an alle Umgebungen perfekt an. Selbst unter gekrümmten Bedingungen funktioniert er ohne seine Funktionalität einzubüßen. Der Sensor lässt sich somit ganz einfach zum Beispiel auf der Finger­spitze platzieren.

Und genau auf diese Weise haben die Wissenschaftler ihre Entwicklung getestet, beschreibt Jin Ge: „Wir haben auf das Blatt eines Gänse­blümchens einen Permanent­magneten angebracht, dessen Feld in die entgegen­gesetzte Richtung zu dem in unserer Plattform eingebauten Magneten zeigt.“ Wenn sich der Finger nun diesem externen Magnetfeld nähert, ändert sich der elektrische Widerstand des GMR-Magnet­sensors: er fällt. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Finger tatsächlich das Blatt berührt. In dem Moment steigt er schlagartig an, da der eingebaute Permanent­magnet näher an den GMR-Sensor gedrückt wird und so das externe Magnetfeld überlagert. „Auf diese Weise kann unsere m-MEMS-Plattform sekunden­schnell eindeutig den Wechsel von der berührungs­losen zur taktilen Interaktion registrieren“, fasst Jin Ge zusammen.

Dadurch lassen sich mit dem Sensor sowohl physische, als auch virtuelle Objekte gezielt steuern, wie ein Experiment des Teams zeigt: Auf eine Glasplatte, die sie mit einem Permanent­magneten versehen haben, haben die Physiker virtuelle Knöpfe projiziert, die reale Bedingungen, zum Beispiel die Raumtemperatur oder die Helligkeit, manipulieren. Durch das Zusammenspiel mit dem Permanent­magneten konnten die Wissenschaftler mit Hilfe eines hölzernen Fingers, auf dem sie die elek­tronische Haut aufgetragen hatten, zunächst ohne Berührung die gewünschte virtuelle Funktion auswählen. Sobald der Finger die Platte berührte, ist die m-MEMS-Plattform automatisch auf den taktilen Interaktions­modus umgesprungen. Über leichten oder starken Druck ließ sich im Anschluss beispiels­weise die Temperatur im Raum dement­sprechend senken oder steigen.

Eine Handlung, die bislang mehrere Interaktionen erfordert hätte, konnten die Forscher somit auf eine einzige reduzieren. „Das mag zunächst vielleicht nur wie ein kleiner Schritt klingen“, schätzt Martin Kalten­brunner ein. „Langfristig lässt sich auf dieser Grundlage jedoch eine bessere Schnitt­stelle zwischen Mensch und Maschine aufbauen.“ So könnte die elektronische Haut – neben Räumen der virtuellen Realität – auch Einsatz in sterilen Umgebungen finden. Chirurgen könnten die Sensoren nutzen, um medi­zinische Geräte während einer Behandlung berührungs­los zu bedienen, was die Gefahr einer Konta­mination verringern würde.

HZDR / JOL

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