15.03.2024

Nanohype und Ansprüche an Grundlagenforscher

Im Gedenken an Herbert Kroemer veröffentlicht die „Physik in unserer Zeit“ ein Interview mit dem Physiknobelpreisträger.

Der Physiknobelpreisträger Herbert Kroemer veröffentlichte im Jahr 2005 einen kritischen Beitrag mit dem Titel „Nano-Whatever: Do we really know where we are heading?“. Physik in unserer Zeit sprach seinerzeit mit Kroemer über den Nanohype und Probleme der Grundlagenforschung. Zur Erinnerung an den Visionär und Mahner, der am 8. März 2024 verstorben ist, bringen wir noch einmal dieses Interview.


Der 1928 in Weimar geborene Physiker Herbert Kroemer erhielt im Jahr 2000 für...
Der 1928 in Weimar geborene Physiker Herbert Kroemer erhielt im Jahr 2000 für seine Beiträge zu Halbleiter-Heteroübergängen den Nobelpreis für Physik, gemeinsam mit Zhores Alferov und Jack Kilby. Er war Professor of Electrical Engineering and of Materials an der University of California in Santa Barbara.

Physik in unserer Zeit: Herr Professor Kroemer, könnte es den Nanoforschern wie einst Kolumbus ergehen, der einen Seeweg nach Indien suchte und dabei Amerika entdeckte?
Herbert Kroemer: Das ist durchaus denkbar. Man ist doch häufig auf Dinge gestoßen, die man nicht erwartet hat, besonders was die Anwendungen betrifft. Meine These ist ja, dass die wichtigen Anwendungen jeder hinreichend neuen und innovativen Technologie immer diejenigen sind, die durch die neue Technologien erst erschaffen werden. Es geht nicht darum, etwas ein bisschen besser zu machen, als man es bereits kann, sondern um ganz Neues.

Angesichts des derzeitigen „Nanohypes“ haben Sie vom „Nano-Whatever“ gesprochen. Macht Ihnen Kopfzerbrechen, dass das Attribut Nano oft sehr beliebig verwendet und für tolle Versprechungen missbraucht wird?
Oh ja, und von Leuten, die keine Ahnung von Tuten und Blasen haben!

Könnte die ernsthafte Nanoforschung dabei Schaden nehmen?

Das macht mir große Sorgen. Wenn zu viel zu schnell versprochen wird, was dann entweder gar nicht oder viel langsamer als vorhergesagt realisiert wird. Daran kann die Forschung wirklich Schaden nehmen. Für Rückschläge gibt es genügend Beispiele.

Gilt das für die Kohlenstoff-Nanoröhrchen? Für die Grundlagenforschung sind sie ja nach wie vor hoch interessant. Der Enthusiasmus um ihre technische Anwendung scheint sich jedoch etwas gelegt zu haben, vielleicht weil sich metallische und halbleitende Röhrchen immer noch nicht getrennt synthetisieren lassen.

Das ist durchaus denkbar, obwohl ich die Kohlenstoff-Nanoröhrchen für eine eminent wichtige Entwicklung halte. Aber viele Dinge, die man von ihnen erwarten könnte – ich rede jetzt nicht von Anwendungen – erfordern eine Kontrolle über die Technologie, die wir überhaupt noch nicht haben. Dazu muss man wirklich defektfreie oder defektarme Strukturen herstellen, und das dürfte noch eine Weile dauern. Auch bei Siliziumstrukturen kämpfen wir ja immer noch darum. Der Fortschritt in der integrierten Schaltungstechnik erforderte eine Beherrschung der Technologien, die Jahrzehnte gebraucht hat.

Politiker, die Nanotechnologie in der Hoffnung fördern, dass daraus schnell Arbeitsplätze entstehen, sind also zu ungeduldig?
Das ist Wunschdenken. Es wäre schön, wenn das einträfe, und auf einzelnen Spezialgebieten mag das auch der Fall sein. Aber nicht in den Riesenzahlen, die heute im Umlauf sind.

Es kommt natürlich darauf an, was man unter Nanotechnologie versteht. Wenn man zum Beispiel dazu auch Nanokristalle aus Titandioxid zählt, die als UV-Filter in Sonnencremes wirken, ist der Markt schon recht groß.
Ja, aber das ist einfach eine Umetikettierung von etwas, das es schon seit Jahrzehnten gibt. Zum Beispiel auf meinem eigenen Gebiet, der Molekularstrahlepitaxie, haben wir schon seit dreißig Jahren Nanotechnologie betrieben. Wir haben es nur nicht so genannt! Die Molekularstrahlepitaxie ist ein gutes Beispiel. Dort gelang es uns zum ersten Mal, Schichten aus nur wenigen Atomlagen herzustellen, und dabei ihre Dicke und Zusammensetzung zu kontrollieren. Das war ein großer Fortschritt und hat auch zu Anwendungen geführt – allerdings nicht die Anwendungen, die man erwartet hatte. Die Nanostrukturen, die damit möglich sind, wurden zur Grundlage aller Festkörperlaser.

Die Geschichte der vorhergesagten Anwendungen ist ja eine Geschichte der Irrtümer…

Ja, als ich die Idee für den Doppelheterostruktur-Laser hatte, habe ich niemals daran gedacht, dass daraus eines Tages CD-Spieler werden könnten. Häufig sind die Leute, denen Anwendungen einfallen, andere als Grundlagenforscher. Das erfordert eine andere Denkweise, weshalb man beide Gruppen braucht. Und die beiden müssen miteinander kommunizieren, damit etwas passiert. Das dauert häufig zu lange.

Es wird oft beklagt, dass es zu wenig Kommunikation zwischen Grundlagenforschern und industriellen Anwendern gibt…

Beide Gruppen haben in der Gesellschaft verschiedene Funktionen. Ich beobachte heutzutage eine Tendenz, selbst an Universitäten, also an Lehr- und Forschungsinstitutionen, dass man von Grundlagenforschern verlangt, sie müssten sofort mit technischen Anwendungen aufwarten. Das führt am Ende dazu, dass ein Wissenschaftler Ammenmärchen erzählt, von denen er weiß, dass sie nicht stimmen. Oder er verspricht zu wenig, dann werden ihm die finanziellen Mittel gestrichen. Damit beschleunigt man nicht den Fortschritt, sondern verzögert ihn!

Ein junger Nachwuchsforscher beklagte sich heute bei uns, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft ihm einen Förderantrag abgelehnt habe, weil er nicht präzise vorhersagen konnte, was bei dem Experiment herauskommen wird.
Das ist Wahnsinn! Ich kann es durchaus verstehen, dass die Industrie keine endlose Forschung ohne genaue Vorstellung von einer Anwendung betreiben will. Wenn man das aber von Universitäten verlangt, halte ich das für sehr gefährlich. Das sind ja Lehrinstitutionen, welche die Elite der nächsten Generation ausbilden. Und für die gibt es wohl kaum eine bessere Ausbildung, als sie an Dingen forschen zu lassen, deren Resultat und mögliche Anwendungen man nicht vorhersagen kann. Das vermittelt jungen Menschen ein ganz anderes Urteilsvermögen.

Zurück zur Nanotechnologie. Wie würden Sie diesen Begriff definieren?

Ich habe keine Ahnung! Dieser Begriff ist einfach ein Schlagwort. Wo fängt Nanotechnologie an und wo hört sie auf? Sie fängt vielleicht da an, wo man kontrolliert Nanostrukturen herstellt, mit reproduzierbaren und ausgesuchten Eigenschaften. Das Gebiet ist groß. Die Halbleitertechnologie liefert einen Beitrag, aber auch die Kolloidchemie. Und man kann es auf die Biologie ausdehnen. Auch die DNS-Sequenzierung ist Nanotechnologie. Das Interessante an diesem ganzen Nanogebiet wird oft dort auftreten, wo man Technologien verschiedenen Ursprungs miteinander verschmilzt und so etwas Neues schafft. Auf jeden Fall sollte man die Forschung nicht auf Anwendungen beschränken, die vorhersehbar sind.

Man kann ja schön an der Geschichte des Halbleiterlasers sehen, also dem Gebiet, für das Sie den Nobelpreis erhalten haben, dass technische Anwendungen kaum vorhersehbar sind.

Im Gegenteil! Man hat mir sogar erklärt, es gäbe niemals irgendwelche Anwendungen. Der Irrtum lag im direkten Vergleich mit damals schon existierenden Lasersystemen. Gegen die konnte das neue Prinzip nicht konkurrieren. Das Spektrum war garantiert nicht so sauber wie das eines He-Ne-Lasers, und die Leistung würde garantiert niemals die eines CO2-Lasers erreichen. Dass die Hauptanwendungen auf einem Gebiet liegen würden, wo man diese Laser nicht verwenden kann, ging keinem auf. Auch ich konnte nicht vorher sagen, welche Anwendungen das sein würden.

Ein medienwirksamer Visionär der Nanotechnologie ist ja der Ex-MIT-Forscher Eric Drexler. Er hatte die Idee eines molekularen Assemblers, der selbstorganisiert Atome oder Moleküle zu größeren Objekten zusammenfügt. Wird das je möglich sein?
Drexler hat mit diesen Versprechungen mehr geschadet als genutzt.

Ein Problem an solchen Visionen ist ja, dass Atome oder Moleküle extrem mobil sind und deshalb starken Fluktuationen unterliegen.
Das ist eines der großen Probleme. Nanostrukturen sollen vor allem reproduzierbar immer dieselben Eigenschaften haben, und das ist furchtbar schwer! In einer Dimension können wir das, bei den dünnen Schichten, die wir mit modernen Epitaxietechniken machen. Aber in zwei oder drei Dimensionen wird das viel schwieriger, denn die Natur hilft uns da nicht. Dort müssen wir die Lithographie und ähnliche Techniken anwenden.

Oder man geht das Problem wie die Chemiker an…

Ja, die Kolliodchemiker können ihre Einzelteilchen nach gewünschten Eigenschaften sortieren. Und dieses Sortieren wird wahrscheinlich ein großes Arbeitsgebiet werden. Aber wenn man die Teilchen sortiert hat, dann hat man das nächste Problem: Wie kann man daraus eine organisierte, dreidimensionale Struktur bauen? Ich halte das für eines der wichtigen Forschungsgebiete. Man darf nur nicht im Voraus versprechen, was daraus wird.

Herr Kroemer , wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Roland Wengenmayr.


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