26.11.2020

Molekulare Quantenschalter nutzen Wasserstofftunnel

Neuer Einblick in den Wasserstofftransfer innerhalb eines adsorbierten molekularen Schalters.

Die Entwicklung miniaturisierter techno­logischer Komponenten macht die molekular­basierte Nanotechno­logie zu einem ständig wachsenden Interessen­gebiet. Hier werden einzelne Moleküle zu den grundlegenden Komponenten von elek­tronischen Geräten. Die schiere Vielfalt der möglichen molekularen Archi­tekturen und die Möglichkeit, die Molekül­synthese präzise zu steuern, öffnen die Tür zu endlosen funktionalen Komponenten. Die größte Heraus­forderung besteht jedoch darin, die Kontrolle über diese Funktionen im Nanobereich zu erlangen, wo quanten­mechanische Effekte in den Vordergrund treten.

Abb.: Innerhalb des an metallischen Obe­rflächen adsor­bierten...
Abb.: Innerhalb des an metallischen Obe­rflächen adsor­bierten Porphycen­moleküls laufen Wasserstoff-Transfer­reaktionen durch nukleare Tunnelung auch knapp unter der Raum­temperatur ab. (Bild: M. Rossi, MPSD)

Das Porphycen-Molekül ist ein Beispiel für den Prototyp eines molekularen Schalters. Porphycen ist ein strukturelles Isomer von Porphyrin mit starken H-Bindungen in seinem inneren Hohlraum. Seine Schalt­fähigkeit beruht auf einer in der chemischen Physik sehr grundlegenden Reaktion: Einem doppelten Wasserstoff­transfer, der die Positionen der Wasserstoffatome im inneren Hohlraum vertauschen und so verschiedene Zustände des Moleküls definieren kann. Um die atomare Struktur und die Schalt­geschwindigkeit dieser Molekül­einheiten zu kontrollieren und zu messen, werden sie typischerweise immo­bilisiert, indem man sie mit Metall­oberflächen in Kontakt bringt. Daher müssen Forscher die Wasserstoffdynamik in einer Umgebung verstehen, wo sich die Wechselwirkung zwischen den Atomen innerhalb des Moleküls qualitativ von der zwischen dem Molekül und der Oberfläche unterscheidet.

In diesem Zusammenhang wurde Porphycen umfassend mit Einzelmolekül-Experimentier­techniken untersucht. Forscher haben mehrere rätselhafte Aspekte der Tauto­merisierungs­rate über verschiedene Temperatur­bereiche beobachtet. Bei bestimmten Temperaturen verhalten sich die Atome nicht mehr wie klassische Teilchen, sondern können statt­dessen durch Barrieren tunneln. In Analogie zu einem Berg würden die Atome sofort zwischen zwei Tälern in einer geraden Linie unter dem Berg hindurch schießen, anstatt die längere Strecke über den Berg und wieder hinab zurückzulegen. Nun unter­suchten Yair Litman und Mariana Rossi vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg diesen unterstützten molekularen Schalter mit modernster Methodik und neuen Computer­algorithmen.

Die Kombination aus Dichte­funktional­theorie und Ring-Polymer-Instantonen ermöglichte die Untersuchung solcher Systeme mit atomis­tischen Simulationen im großen Maßstab, die sowohl Elektronen als auch Kerne als quanten­mechanische Teilchen behandeln. Die Forscher zeigen, dass für Porphycen, das an Cu(110)- und Ag(110)-Oberflächen adsorbiert ist, die Wasserstoff­transferreaktion tatsächlich einen großen Beitrag des nuklearen Tunnelns darstellt, selbst bei Temperaturen nicht weit unter der Raum­temperatur. Überraschender­weise entdeckten Litman und Rossi, dass mit der Absenkung der Temperatur schwere Oberflächenatome wie Kupfer an der intra­molekularen Wasserstoff­tunnelreaktion teilnehmen und bei einer Temperatur von etwa achtzig Kelvin eine Erhöhung der Tunnelrate um bis zu zwei Größenordnungen bewirken können. Je stärker die Wechsel­wirkung des Moleküls mit der Oberfläche, desto ausgeprägter ist die Beteiligung der Ober­flächenatome am Tunnel­ereignis.

Bemerkenswert ist, dass die Forscher auch eine unkonven­tionelle Temperatur­abhängigkeit der Tunnelrate erklären, die zuvor in Experimenten beobachtet wurde. Sie wird verursacht durch eine intermediäre meta­stabile Struktur in der Reaktion, die nur für eine ultrakurze Zeitspanne von etwa hundert Pikosekunden existiert, so dass sie mit den bislang verwendeten experi­mentellen Techniken nicht nachgewiesen werden konnte. Mit diesen neuen Erkenntnissen konnten Litman und Rossi verschiedene Temperatur­abhängigkeits­regime der Rate im Tunneling-Regime erklären. Daraus entwickelten sie wiederum ein einfaches Modell zur Vorhersage der Temperatur­abhängigkeit für andere Metall­oberflächen, an denen der Schalter adsorbiert ist.

Die Forscher liefern wichtige neue Einblicke in die Tatsache, dass bestimmte Eigenschaften des Oberflächen­trägers die atomaren quanten­mechanischen Eigenschaften der Schaltreaktion in diesen und wahr­scheinlich auch in anderen Molekülen beeinflussen können. Sie zeigen zudem, dass Einkristall­substrate eine ideale Plattform bieten, auf der modernste Theorie und Experiment gemeinsam ein tieferes Verständnis der nuklearen Quanten­dynamik in komplexen Umgebungen hervorbringen können. Solche fundamentalen Erkenntnisse können die Gestaltung und Inter­pretation von experi­mentellen Architekturen in der molekularen Nanotechnologie­entwicklung leiten.

MPSD / JOL

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